Washington. Von illegaler Einwanderung bis Kriminalität: Der Ex-Präsident will inhaltlich gegen seine Rivalin punkten. Doch es gibt ein Problem.
Wenn Donald Trump über illegale Einwanderung an der amerikanisch-mexikanischen Grenze redet, ist kein Superlativ wuchtig genug. „Die größte Invasion der Geschichte“ ist für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten ein Hauptgrund für den „Niedergang” der USA. Trump legt Präsident Joe Biden – und damit auch dessen Nachfolgerin Kamala Harris – zur Last, seit 2021 über 20 Millionen Flüchtlinge unkontrolliert über die amerikanisch-mexikanische Grenze ins Land gelassen zu haben.
Darunter seien Tausende Schwerbrecher, Mörder, Vergewaltiger und Geistesgestörte, die für den Tod zigtausender Amerikaner verantwortlich seien, behauptet Trump ohne jeden Beleg – und spricht zum Entsetzen von Kirchen und Sozialverbänden von „Tieren” und menschlichem „Müll“. Auch wenn sowohl Grenzschutz- als auch Polizeibehörden beteuern, dass Asylsuchende nicht krimineller sind als Einheimische: Trumps Schreckensszenario von einer „überrannten” Nation verfängt.
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„Immigration” ist neben Wirtschaft und Kriminalität in Umfragen das beständig wichtigste Einzelthema im Wahlkampf. Und eine Mehrheit der Wähler traut Trump, der sich die Fortsetzung des Baus einer Grenzmauer zu Mexiko und Massenabschiebungen von über zehn Millionen Illegalen auf die Fahnen geschrieben hat, bei diesem Thema bislang mehr zu als Kamala Harris.
USA: Unter Biden-Regierung nahm die Zahl der Asylgesuche ab
Was aber, wenn die Prämisse längst nicht mehr stimmt, wenn der Einwanderungsdruck rapide nachgelassen hat? Mit Blick auf die erste TV-Debatte zwischen Trump und Harris am 10. September droht Trump womöglich eine neuerliche Blamage. Der Grund: Allein in Trumps letztem Amtsmonat im Januar 2021 wurden laut US-Grenzschutz 75.000 Asylsuchende entlang der 3200 Kilometer langen Grenze registriert. Zum Vergleich: Im Juli dieses Jahres lag die Zahl bei 57.000.
Seit Februar dieses Jahres, als noch 140.000 Personen zu bewältigen waren, hat es zwischen San Diego im Westen und Brownsville im Süden von Texas monatlich immer weniger illegale Einwanderung gegeben. Entsprechend entspannter sei die Lage in Auffanglagern und Grenzkommunen, berichten Bürgermeister aus Texas und Arizona.
Als Gründe dafür nennen Migrations-Experten unter anderem die Einführung einer Handy-App, mit der Flüchtlinge sich vor Einreichung ihres Asylgesuchs bei den US-Behörden anmelden müssen. Sonst werden sie umgehend zurückgeschickt. Parallel dazu hat die Biden-Regierung mit ihrem mexikanischen Gegenüber, Andrés Manuel López Obrador, engmaschige Maßnahmen vereinbart, die den Zustrom von Armutsflüchtlingen aus Latein- und Mittelamerika an die US-Grenze drosseln sollen.
„Trump wollte lieber Wahlkampf machen, als das Problem lösen”
Mit Hilfe von Kontrollstationen im Land wurden zuletzt Zehntausende Flüchtlinge dingfest gemacht und per Bus zurück an die Grenze Guatemalas geschickt. Im Heimatschutzministerium erwarten Fachleute, dass die neue mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum, mit einer etwaigen US-Präsidentin Harris „unaufgeregter und zielorientierter zusammenarbeiten würde”, als dies unter Trump möglich wäre. Er hat dem Nachbarland mehrfach mit dem Einsatz des US-Militärs, etwa gegen Drogen-Kartelle, gedroht.
Die Reduzierung der illegalen Einwanderung wird in demokratischen Kreisen nicht überbewertet. Der Zustrom könne bedingt durch politische Verwerfungen wie etwa in Venezuela wieder zunehmen, heißt es. Gleichzeitig betont man, dass Trump im Frühjahr eine überparteilich ausgehandelte Reform der Einwanderungspolitik, die etwa beschleunigte Rückführung von nicht asylberechtigten Flüchtlingen vorsah, scheitern ließ. „Trump wollte lieber mit dem Problem Wahlkampf machen, als es konstruktiv zu lösen.”
Kamala Harris‘ Wahlkampf-Team hat die Schwachstelle erkannt. Bei Kundgebungen kündigte die Vize-Präsidentin zuletzt an, besagten Gesetzentwurf im Falle eines Wahlsieges im Januar nächsten Jahres zu unterschreiben. Und die demokratische Kandidatin dürfte auch versucht sein, Nutzen aus der Tatsache zu ziehen, dass Trumps Einwanderungsbilanz anders als von ihm dargestellt („sicherste Grenze aller Zeiten”) in Wahrheit nicht berauschend war.
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Auch beim Thema Kriminalität ist die Bilanz von Trump verheerend
Nach Recherchen der „National Foundation for American Policy Analysis” stieg die Zahl der vorübergehenden Festnahmen an der Grenze von 400.000 im Jahr 2016, als Präsident Barack Obama ausschied, auf stolze 850.000 im Jahr 2019, als Trump voll in der Verantwortung stand. Eine ähnliche Diskrepanz wird bei Trumps zweitem Leib- und Magenthema Kriminalität registriert. Der Republikaner erzeugt permanent den Eindruck, die Amerikaner seien dank liberaler Justiz und Polizei leichte Beute für Straftäter.
Dagegen stehen die offiziellen Statistiken: Schon 2021, 2022 und 2023 waren Morde, schwere Körperverletzungen, Raubüberfälle und Vergewaltigungen zurückgegangen. Im ersten Halbjahr 2024 meldeten 54 von 69 Großstädten wie Washington, Dallas, Boston und Altlanta erneut einen teils drastischen Rückgang.
Joe Biden und Kamala Harris nehmen für sich in Anspruch, Amerika sicherer gemacht zu haben und wollen mit zusätzlichen 100.000 Polizeibeamten und neuen Waffengesetzen darauf aufbauen. Trumps Horrorgemälde, wonach die Vereinigten Staaten in Verbrechen versinken, habe „nichts mit der Realität zu tun“. Eine Tatsache, auf die der republikanische Kandidat bislang keine fundierte Antwort gegeben hat.
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