Düsseldorf. NRW-Umweltministerin Heinen-Esser im Interview: Über Wege zur Luftreinhaltung und vermehrten Müll durch Einweg-Artikel in der Corona-Pandemie.

NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (55) ist eine der wenigen profilierten Umweltpolitikerinnen der CDU. Wie ihre Partei mit den Grünen umgehen sollte, wie es mit Diesel-Fahrverboten weitergeht und welche Öko-Spuren die Corona-Krise hinterlässt, erklärt sie im Gespräch mit unserer Redaktion.

Frau Heinen-Esser, Sie sind Deutschlands einzige CDU-Umweltministerin. In welchen Momenten fühlen Sie sich als Exotin?

Ein bisschen einsam ist es zum Beispiel auf der Umweltminister-Konferenz. Zweimal im Jahr treffen wir uns als Ressortchefs aller Bundesländer. Da bin ich dann immer allein unter vielen Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenigen von der SPD und Minister Glauber von den Freien Wählern aus Bayern. Gut, dass wir in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, das Ressort besetzen.

„CDU muss Umwelt- und Klimaschutz ernster nehmen“

Die CDU hat einst das Bundesumweltministerium erfunden und prominente Amtsinhaber wie Klaus Töpfer oder Angela Merkel gestellt. Wie konnte in Ihrer Partei das Interesse an diesem Themenfeld derartig verkümmern?

Eine große Rolle spielt sicher die Veränderung der Parteienlandschaft. Überall, wo die Grünen mitregieren, beanspruchen sie das Umweltministerium. Es ist für sie ein Kernressort wie für die Union traditionell das Innenministerium. Unabhängig von Ämtern und Personen glaube ich, dass die CDU das Thema Umwelt- und Klimaschutz deutlich ernster nehmen muss.

Wie kommen Sie darauf? In allen Umfragen liegt die Union mit weitem Abstand an der Spitze und die jüngste Kommunalwahl in NRW haben Sie auch klar gewonnen...

Gerade die Kommunalwahl hat gezeigt, dass Kompetenzzuschreibung in Umweltfragen inzwischen für viele Bürgerinnen und Bürger ein entscheidendes Kriterium ist. Wir dürfen den Grünen nicht kampflos die Großstädte überlassen. In meiner Heimatstadt Köln etwa hat die CDU auch deshalb stark an die Grünen verloren, weil man im Stadtwald dem 1.FC Köln zusätzliche Flächen zum Bau von Trainingsplätzen gewähren wollte. Es muss uns klar sein, dass Themen wie Flächenversiegelung und Biodiversität fest in der bürgerlichen Mitte und damit in unserer Stammwählerschaft verankert sind.

Eine Hektarzahl im Landesentwicklungsplan stoppt keinen Flächenfraß

Warum hat die Landesregierung dann das Ziel, in NRW maximal fünf Hektar pro Tag zu versiegeln, aus dem Landesentwicklungsplan gestrichen?

Die reine Hektar-Zahl im Landesentwicklungsplan hat den Flächenfraß auch in der Vergangenheit nicht gestoppt. Statt uns mit Symboldebatten aufzuhalten, benötigen wir wirksame Maßnahmen gegen den Flächenfraß und die Bodenversiegelung.

Welche könnten das sein?

Bausteine unseres Maßnahmenpaketes zur intelligenten und effizienten Flächenentwicklung sind etwa die Entwicklung eines Katasters für Brachflächen und deren verstärkte Aufbereitung oder ein Flächenzertifikathandel unter Kommunen. In dicht besiedelten Regionen wie im Ruhrgebiet brauchen wir zudem mehr Frischluftschneisen, Grünflächen, begrünte Dächer und Fassaden, um in Zukunft Hitzesommer erträglicher zu machen. In Innenstädten mit viel Asphalt und Beton ist die Temperatur um zehn Grad höher als auf dem Land. Im Rahmen der Ruhrkonferenz der Landesregierung nehmen wir viel Geld in die Hand, um das Ruhrgebiet fit für den Klimawandel zu machen. NRW wird darüber hinaus das erste Bundesland mit einem eigenen Klimaanpassungsgesetz sein.

NRW will das bundesweit erste eigene Klimaanpassungsgesetz

Was soll damit geregelt werden?

Dass wir uns in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten. Das Klimaanpassungsgesetz schafft einen Rechtsrahmen, in dem Kommunen Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels treffen müssen. Zum Beispiel müssen bei neuen Bauvorhaben Grüngürtel und Versickerungsflächen dann noch bewusster direkt mitgeplant werden. Ich bin auch sehr dafür, die sogenannten Schottergärten endlich zu verbieten. Wer den Vorgarten zupflastert, schadet der Artenvielfalt und erhöht die Gefahr von Überschwemmungen bei Starkregen.

Was ist eigentlich aus der „Baumprämie“ geworden, die Ihr Ministerpräsident vor über einem Jahr angekündigt hat? Das Land könnte Aufforstungen längst aus eigenen Mittel prämieren…

Das tun wir ja bereits. Im Jahr 2020 haben wir rund 57 Millionen Euro zur Unterstützung von Wald, Forst- und Holzwirtschaft bereitgestellt. Bisher werden Förderanträge überwiegend zur Bewältigung der akuten Waldschäden gestellt, künftig dürften deutlich mehr Mittel für Aufforstungen beantragt werden. Was die „Baum- oder Klimaprämie“ betrifft: Sie ist ein geeignetes Instrument, um langfristig klimastabilere Wälder zu entwickeln. Die Abstimmungen in einer Bund-Länder AG sind schon weit fortgeschritten, die Finanzierung soll aus Mitteln des Energie- und Klimafonds erfolgen. Noch offene Fragen sollen bis zum Frühjahr 2021 geklärt werden.

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Sind Diesel-Fahrverbote in NRW vom Tisch?

Hier haben wir ein schwieriges Erbe angetreten. Mir war 2018 nach meinem Wechsel in die Landespolitik wichtig, dass wir die Deutsche Umwelthilfe nicht länger als Abmahnverein darstellen und uns vor Gericht streiten. Ich bin der Auffassung: Wenn man EU-weite Grenzwerte zur Luftreinhaltung beschlossen hat, müssen sie auch eingehalten werden. Ich bin froh, dass es inzwischen in 13 von 14 Städten gelungen ist, Vergleiche mit der Umwelthilfe zu schließen und Fahrverbote zu vermeiden. Vor allem in Essen, wo eine Sperrung der A40 drohte, sind viele kluge Alternativen von intelligenten Ampeln bis hin zu Umweltspuren und Radwegen gewählt worden.

Ein Deckel auf der A40 in Essen könnte das Luftproblem lindern

Die A40 bleibt wegen ihrer Streckenführung mitten durch die Stadt dennoch ein Problem für die Umwelt, das sie dauerhaft nicht mit zusätzlichen Radwegen in den Griff bekommen, oder?

Die A40 ist in Essen sicher ein Sonderproblem des Luftreinhalteplans. Wir müssen deshalb bei der Bundesregierung darauf drängen, dass Teile der Autobahn im Innenstadtbereich überdacht werden. Das könnte neben der Lärmbelastung auch die Stickoxid-Werte deutlich senken.

Welche Lehren ziehen Sie als Umweltpolitikerin aus der Corona-Krise?

Die Natur hat uns mit diesem Virus unsere Grenzen gezeigt. Das Bewusstsein, dass Lebensstil und Wirtschaft nachhaltiger werden müssen, ist in weiten Teilen der Bevölkerung gewachsen. Die Digitalisierung bietet da viele Chancen. Viele Menschen haben die Natur vor der eigenen Haustüre für sich wiederentdeckt. Sorgen bereiten mir allerdings der Ressourcenverbrauch und die Abfallwirtschaft.

To-go-Verkauf und Online-Handel sorgen für mehr Müll

Weshalb?

Hygieneregeln und Infektionsschutz haben eine Rückkehr zu Einweg-Artikel gebracht. Das sehen wir nicht nur bei Verpackungsmaterialien im Außer-Haus-Verkauf der Gastronomie oder beim boomenden Online-Handel. Die Müllentwicklung müssen wir sehr genau im Auge behalten.