Düsseldorf/Essen. Nach einjähriger Hängepartie scheint ein Weg gefunden zu sein, die Luftqualität ohne Fahrverbote zu verbessern. Die wichtigsten Antworten.
Das Horrorszenario von Diesel-Fahrverboten in 18 Essener Stadtteilen und auf einem Teilstück der A40 wurde nach einem Jahr voller Unsicherheiten für Autofahrer und Wirtschaft gerade noch einmal abgewendet. Trotzdem soll die Luft besser werden. Das Wichtigste zu einem ungewöhnlichen Vergleich vor dem Oberverwaltungsgericht.
Warum haben die Deutsche Umwelthilfe, das Land NRW und die Stadt Essen einen Vergleich geschlossen?
Die Umwelthilfe hatte im November 2018 erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen saubere Luft eingeklagt. Damit der EU-Grenzwert von maximal 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel endlich eingehalten wird, sollten Diesel-Fahrverbote für 18 Essener Stadtteile und erstmals auch für einen Teilabschnitt der Autobahn 40 verhängt werden. Zum 1. Juli bzw. zum 1. September 2019 sollten ältere Diesel, Busse und LKW dort nicht mehr fahren dürfen. Gegen dieses Urteil ging das Land in die Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG). Auf Vorschlag des OVG erzielten die Streitparteien am 27. November nach sechsstündigen Verhandlungen eine Einigung. Nachdem am Donnerstag eine letzte Einspruchsfrist ablief, ist die Einigung nun rechtskräftig.
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Sind Fahrverbote in Essen wirklich vom Tisch?
Der Vergleich zwischen Umwelthilfe und Land sieht eine Art Stufenmodell vor. Um die Grenzwerte an den Essener Messstellen schnellstmöglich einzuhalten, greift unverzüglich ein Maßnahmenpaket zur Luftreinhaltung. Dieses sieht keine Fahrverbote vor. Wenn im Jahresmittelwert 2020 die Luft immer noch nicht sauber genug ist, greift ein zweites Maßnahmenpaket. Auch das sieht keine Fahrverbote vor. Sollten im Jahresmittelwert 2021 immer noch Grenzwert-Überschreitungen zu verzeichnen sein, müssen Stadt, Land und Umwelthilfe neue Maßnahmen verabreden. Ähnlich wie bei der Schlichtung von Tarifverhandlungen könnte dann eine neutrale Schiedsstelle eingeschaltet werden.
Wie stark überschreitet Essen aktuell die Grenzwerte?
Im Jahresmittelwert 2019 verzeichnet Essen ohnehin nur noch an zwei Messstellen leichte Grenzwert-Überschreitungen: In Essen-Frohnhausen und in Essen-Kray. Umweltministerin Ursula Heinen-Essen (CDU) ist deshalb sicher: „Wir werden mit zusätzlichen Maßnahmen die Einhaltung der Grenzwerte erreichen. Fahrverbote sind in Essen vom Tisch.“
Welche neuen Maßnahmen zur Luftreinhaltung sind verabredet?
Essen führt als erste Stadt in NRW eine sogenannte umweltsensitive Ampelschaltung ein. 26 Messpunkte errechnen tagesaktuell die Stickstoffdioxid-Belastung. Je nach Luftbelastung werden weniger Autos in kritische Straßenzüge gelassen. In einem ersten Schritt könnten bei drohender Grenzwert-Überschreitung 5000 bis 8000 Autos pro Tag umgeleitet werden, bei ausbleibender Besserung sogar 12.000. Das Ampelsystem soll bereits im März 2020 in die Pilotphase gehen und im Sommer scharf geschaltet werden. Die Kosten von vier Millionen Euro übernimmt zu einem Großteil der Bund. Außerdem richtet die Stadt Essen eine Umweltspur in der Innenstadt ein, will Parkplätze reduzieren und verteuern und erweitert die Angebote im Öffentlichen Nahverkehr.
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Wie soll die Luft an der A40 sauberer werden?
Das Land verpflichtet sich, beim Bund auf eine Deckelung der A40 im innerstädtischen Bereich zu pochen. Aus der Autobahn, die Teile Essens durchschneidet, würde ein Tunnel mit Luftfiltersystem. Zudem wird sich das Land dafür einsetzen, dass die A52 als Bypass ausgebaut wird, um die Innenstadtstraßen zu entlasten. Beide Maßnahmen sollen möglichst schnell in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans, werden aber bis zur Fertigstellung noch Jahre benötigen.
Wie kam es zum Durchbruch in den Verhandlungen?
Der Erfolg hat in diesem Fall viele Mütter und Väter. Die in Atomausstieg-Verhandlungen gestählte Umweltministerin Heinen-Esser kennt Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch bereits lange aus der Bundespolitik. Dadurch gab es zwischen dem Land und dem „Abmahnverein“ (O-Ton Ministerpräsident Armin Laschet) erstmals eine Verständigungsebene. Resch wollte wohl auch deutlich machen, dass Fahrverbote für seinen Verein kein Selbstzweck sind. Der pragmatische Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen und die Grünen-nahe Umweltdezernentin Simone Raskob wiederum sind stark in Vorleistung gegangen: Sie haben in den vergangenen Monaten zahlreiche Projekte angeschoben, politische Beschlüsse eingeholt und Fördergelder eingeworben, um die Luftqualität nachweisbar zu verbessern.
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Kann der Essener Vergleich ein Beispiel für andere Kommunen sein?
Umweltministerin Heinen-Esser verhandelt bereits im Januar wieder über Vergleiche zu Fahrverboten in Dortmund und Bonn. Insgesamt wurden zu den Luftreinhalteplänen in 13 NRW-Städten Vergleichsverhandlungen vereinbart. Essen hat nach Einschätzung von Experten jedoch am besten seine Hausaufgaben gemacht, um die Umwelthilfe zum Verzicht auf Diesel-Fahrverbote zu bewegen.