Ruhrgebiet. Bochum, Gelsenkirchen und Oberhausen ziehen nächste Woche zum Gericht. Tempo 30 und Umweltspuren sollen helfen, Fahrverbote zu vermeiden.
Zwei Kilometer sind einfach länger, wenn man sie mit Tempo 30 abfährt. Hier, auf der Herner Straße im Norden Bochums, hat die Stadt Tempo 30 im Herbst 2018 eingeführt, um die Luft zu verbessern und ein Dieselfahrverbot zu vermeiden. Und sie hat diese durchschlagenden Argumente mit mehreren Radarfallen untermauert.
Die Luft soll tatsächlich besser geworden sein seitdem, der Verkehr weniger. In einer Zufallsbefragung sind Anlieger überwiegend anderer Ansicht: „Das bringt nichts“, sagen sie, oder: „Ich fahr’ hier meine 30, 35, und die hupen.“ Doch Spitzenvertreter der Stadtverwaltung brechen dennoch Mittwoch nächster Woche zuversichtlich auf zum Termin vor dem Oberverwaltungsgericht Münster.
Dortmund und Essen kamen ohne Dieselfahrverbot davon
Da sitzen dann nicht nur die Bochumer auf dem Flur und warten auf 14 Uhr, auf ihren „nicht streitigen Erörterungstermin“, wie Juristen sagen. Auch die Gelsenkirchener Vertreter (12 Uhr) sind da, die Oberhausener (10 Uhr) und die Hagener (Vortag). Und das sind nur die aus dem Ruhrgebiet. Vier andere Städte aus NRW sind auch noch anwesend.
Vor Richtern, Vertretern der Umwelthilfe und der Landesregierung wird eine Stadt nach der anderen vorstellen, was sie schon getan oder noch vor hat in Sachen Luftreinhaltung. Manche wie Dortmund oder Essen haben den Termin schon hinter sich und kamen ohne Dieselfahrverbot davon; aber nicht ohne kleinere Eingriffe in den Autoverkehr. Eine Übersicht.
„Wir hoffen auf einen fairen Kompromiss mit der Umwelthilfe“
Bochum hat auf gut zwei Kilometern Länge um den einzigen Messpunkt die Tempo 30 verhängt und auf dem Mittelstreifen Hecken gepflanzt. Das sei „mehr als erfolgreich“ gelaufen, der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid werde inzwischen unterschritten – deshalb ja die Zuversicht, was Münster angeht. „Wir hoffen auf einen fairen Kompromiss mit der Umwelthilfe“, sagt ein Sprecher.
Soweit man weiß, sind die Werte überall gesunken, wenngleich nicht überall unter den Grenzwert. Und so wird in Oberhausen diskutiert, ob wegen der schlechten Luft an der wichtigen Nord-Süd-Verbindung „Mülheimer Straße“ eine Umweltspur eingerichtet wird. Die Besonderheit: Die SPD Oberhausen-Mitte schlägt vor, dass Anlieger auch mit Verbrennerfahrzeugen die Umweltspur befahren dürfen. „Die Menschen, die in der Innenstadt leben, dürfen nicht die Verlierer einer etwaigen Umweltspur sein“, heißt es. Freilich sind „die Menschen, die in der Innenstadt leben,“ recht viele.
Gelsenkirchen denkt an Parkleitsysteme per App und Verkehrssteuerung in Echtzeit
Man sieht es schon: Im mittleren Ruhrgebiet fehlt eine Nord-Süd-Autobahn, deshalb sind überall wichtige innerstädtische Straßen in dieser Richtung betroffen vom zu hohen Stickstoffdioxid-Wert. Womit wir an der Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen ankommen. Hier sollen Einschränkungen für Laster helfen: Keiner kommt mehr durch, der schwerer ist als 3,5 Tonnen. Mittelfristig denkt die Stadt an Parkleitsysteme über Apps und Verkehrssteuerung in Echtzeit: Die Verkehre werden gelenkt entsprechend der gerade herrschenden Gesamtsituation.
Der Kompromiss, den Dortmund bereits eingegangen ist mit der Umwelthilfe, umfasst 17 Seiten. Die wichtigsten Punkte: Tempo 30 auf einer Hauptverkehrsstraße, eine Umweltspur auf einer anderen und eine 200 Meter lange Tempo-30-Zone an einer besonders belasteten Stelle. Und auf die sechsspurige B1 dürfen nur noch leichte Laster. Ansonsten stehen auf den 17 Seiten: weniger Parkplätze, mehr Fahrradbügel, mehr Stromladesäulen . . .
„Eine Lösung, die funktioniert, solange nicht zu viele Radfahrer unterwegs sind“
Und auch Essen hat seit Anfang der Woche eine Mini-Tempo-30-Zone: gute 300 Meter, wird geschätzt. Um herauszufinden, welchen Einfluss das auf die Luftqualität an einer viel befahrenen Bundesstraße hat; wahrscheinlich eine gute, schließlich hat das benachbarte Bochum das in dem eigenen Versuch herausbekommen. Wird wohl nicht übertragbar sein, oder?
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Hinzu treten soll an dieser Stelle noch eine „umweltsensitive Signalsteuerung“. Auf Deutsch bedeutet das: Die Stadt möchte mit der Länge der Ampelphasen experimentieren, im Gespräch ist eine Verlängerung von 104 Sekunden auf 120 – oder im Gegenteil eine Verkürzung auf 80 Sekunden. Auch in Essen ist an eine Umweltspur gedacht, deren geplanter Verlauf stellenweise abenteuerlich klingt („eine vorübergehende Lösung, die nur funktioniert, so lange nicht zu viele Radfahrer auf der Strecke unterwegs sind“).