Essen. In vielen Hausarztpraxen haben die Drittimpfungen begonnen. Gerade daheim Gepflegte würden aber kaum erreicht, kritisieren Pflegedienste aus NRW.

Angesichts steigender Corona-Fallzahlen kritisieren Vertreter der Pflegebranche in NRW, dass die Booster-Impfungen nicht schnell genug vorankommen. Gerade pflegebedürftige Menschen im häuslichen Umfeld würden bislang nur unzureichend von den Drittimpfungen erreicht, sagte Thomas Eisenreich, Sprecher der Arbeitgeberinitiative Ruhrgebietskonferenz Pflege. „Hier droht eine Impflücke zu entstehen. Wir brauchen jetzt ein Konzept und dezentrale Angebote wie mobile Impfteams, die wir in die Haushalte schicken können.“

In NRW haben nach jüngsten Angaben der Landesregierung bislang rund 90 Prozent der Bewohner und Bewohnerinnen von stationären Pflegeheimen eine Auffrischimpfung erhalten. Laut Robert-Koch-Institut haben 10,5 Prozent aller über 60-Jährigen im Land bereits eine sogenannte Booster-Impfung erhalten. Doppelt geimpft sind knapp 89 Prozent aus dieser Altersgruppe. Wegen häufiger Berichte über Impfdurchbrüche wie zuletzt in einem Bochumer Altenheim hat die Debatte um die Dritt-Impfung an Fahrt aufgenommen.

Die Forderung der Gesundheitsminister der Länder, dass Hausarztpraxen ihre Patienten und Patientinnen zum Boostern einladen sollen, erteilte die künftige Ampelkoalition in dieser Woche eine Abfuhr. Nun sollen Kommunen und Kassen per Schreiben einladen. In vielen Arztpraxen in NRW gibt es derweil bereits einen „Booster“-Ansturm.

20 Praxen anrufen, damit ein Arzt im Pflegeheim zentral impfen kann

Pflegeunternehmen kritisieren den höheren Aufwand für Pflegebedürftige und auch Beschäftigte, den „Booster“ zu organisieren. Pflegebedürftige, die zu Hause versorgt werden, würden regelrecht alleingelassen, kritisierte Christoph Treiß, Geschäftsführer des Landesverbandes der freien ambulanten Krankenpflege NRW. „Wir erleben Hausärzte, die ihre Patienten aktiv anrufen und an die Booster-Impfung erinnern. Andere tun das wiederum überhaupt nicht.“ Betroffene seien derzeit auf sich gestellt und auf Angehörige oder die Hilfe der Pflegedienste angewiesen. „Das ist kein hinnehmbarer Zustand.“

Selbst in Pflegeheimen, wo im vergangenen Winter noch zentrale Angebote für Pflegebedürftige, Personal und auch Beschäftigte angeschlossener Dienste geschaffen worden waren, ist das Boostern komplizierter und von Stadt zu Stadt unterschiedlich gut organisiert. Betreiber berichten von Fällen, in denen zunächst 20 Hausarztpraxen angerufen werden mussten, eh ein Hausarzt zentral alle im Heim Lebenden impfen durfte. Auch vereinfachte „Sammel-Impfungen“ etwa in Tagespflegen dürften nicht angeboten werden. Das schaffe Hürden.

Privater Betreiber: Impf-Motivation bei Pflegepersonal sinkt

Bernhard Rappenhöner, Landesvorsitzender des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste in NRW sagte, dass es auch für Mitarbeitende der ambulanten Pflegedienste zu wenig Anreiz gebe, sich ein drittes Mal impfen zu lassen. „Die Motivation sinkt. Deshalb brauchen wir niederschwellige zentrale Impfangebote wie bei den ersten beiden Impfungen, bei denen Arbeitgeber, Städte und Ärzte Hand in Hand gearbeitet haben.“

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Immerhin: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte am Dienstag angekündigt, dass es in den NRW-Städten weitere Impfstellen geben soll, an denen ergänzend zu den Hausarztpraxen die Auffrischungsimpfungen stattfinden können.

Debatte um generelle Testpflicht in ambulanter Pflege

Elke Hammer-Kunze, Pflegefachfrau der Freien Wohlfahrt NRW, mahnte, dass sich der Impfstatus der Pflegebedürftigen zunehmend der Kenntnis der Pflegeunternehmen entziehe. „Wir wissen nicht, wie viele unserer Klienten im ambulanten Bereich und den Tagespflegen eine Auffrischungsimpfung erhalten haben, weil die Information oftmals nur zwischen Hausarzt und Patient liegt. Deshalb müssen wir gerade in den Tagespflegen nun wieder mehr testen.“ Im ambulanten Bereich sei über die Hausärzte sicherzustellen, dass ausreichend auffrischend geimpft werde. „Insbesondere bei immobilen Pflegebedürftigen muss dies durch Hausbesuche sichergestellt werden. Um diese Menschen zu erreichen, ist eine starke Initiative der Hausärzte nötig.“

Gerade in Tagespflegen plädiere sie für eine generelle Testpflicht, sagte Hammer-Kunze weiter. Es sollte aber zwischen Geimpften und Ungeimpften unterschieden werden, um den unterschiedlichen Gefährdungssituation gerechten zu werden und die Impfmotivation nicht zu schmälern.

Zugang zur Wohnung nur für geimpfte Pflegekräfte

Der Impfstatus der Beschäftigten ist den Betreibern indes bekannt. Derzeit müssen ungeimpfte Mitarbeitende ambulanter Pflegedienste alle drei Tage auf eine Corona-Infektion getestet werden. Geimpfte in diesem Rhythmus mit zu testen bringe mehr Sicherheit, sagte auch Ruhrgebietskonferenz-Sprecher Eisenreich. In vielen Pflegeunternehmen würde dies aber bereits auf freiwilliger Basis und aus eigener Verantwortung heraus geschehen.

Schon jetzt sei es zudem Praxis, dass Angehörige und Pflegebedürftige aktiv geimpfte Pflegekräfte anforderten. Im Sinne des Hausrechts dürfen sie nach Auskunft von Betreibern ungeimpften Mitarbeitenden den Zugang zu ihrer Wohnung untersagen. Einen Anspruch, über den Impfstatus der Pflegekraft informiert zu werden, gibt es aber nicht.

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Kerstin Schönlau vom Diakonischen Werk Gladbeck- Bottrop-Dorsten mit rund 640 zu Hause betreuten Pflegebedürftigen kritisiert, dass Politik den ambulanten Sektor zu wenig im Blick halte. Dabei haben Pflegedienstmitarbeitende deutlich mehr Kontakte als etwa Heim-Beschäftigte - im Spätdienst bis zu 30 Anfahrten. Sie merkt an, dass auch die Pflegebedürftigen unabhängig vom Impfstatus in eine Testpflicht eingebunden werden müssten. „Das bringt in alle Richtungen Sicherheit, für unsere Mitarbeiter und unsere Kunden.“ Unklar sei aber, wer solche Testungen übernehmen kann – die Pflegedienste selbst könnten dies nicht leisten.

NRW regelt neue Testpflicht in Pflegeheimen

Ende vergangener Woche hatte der neue NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sich für eine generelle Testpflicht für Beschäftigte und Besucher von Pflegeheimen ausgesprochen. Am Donnerstagabend hat das Gesundheitsministerium neue Vorgaben dazu bekannt gemacht. Demnach müssen ungeimpfte Heimbesucher ab sofort einen negativen Corona-Test vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Ab dem 22. November sind auch geimpfte Besucher von dieser täglichen Testpflicht betroffen, wenn ihre Impfung länger als sechs Monate zurückliegt und sie keine Auffrischimpfung erhalten haben. Damit haben die Impfung faktisch eine Art Ablaufdatum bekommen. Unter denselben Voraussetzungen müssen sich dann Bewohner und Beschäftigte dreimal in der Woche testen lassen. Für nicht geimpfte und nicht genesene Beschäftigte gilt dann eine tägliche Testpflicht.

In den Reihen der Pflegeheimbetreiber dürfte die aufwendiger zu kontrollierende Neuregelung vor allem für Besucher und Besucherinnen für Unmut sorgen. Aus gut informierten Kreisen heißt es, dass man im NRW-Gesundheitsministerium wohl Zweifel hatte, ob eine generelle Testpflicht unabhängig vom Impfstatus rechtlich durchzusetzen ist. Die künftige Ampelkoalition in Berlin strebt genau das an.

Der ambulante Pflegebereich und die deutschlandweit rund eine Million professionell betreuten Menschen zu Hause waren in der bisherigen Diskussion ums strengere Testpflichten außen vor geblieben. Patientenschützer kritisierten das unlängst. Sie fordern sogar eine tägliche Testpflicht von Beschäftigten im stationären und ambulanten Bereich. „Tägliche Tests stoppen das Virus, bevor es die Hilfsbedürftigen erreicht“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz mit Sitz in Dortmund.

>> INFEKTIONEN IN PFLEGEHEIMEN

Unter den Bewohnern und Bewohnerinnen der NRW-Pflegeheime gibt es aktuell 394 Infektionen sowie rund 400 Corona-Fälle unter Pflegekräften (Stand 8. November). Zum Vergleich: Kurz vor Weihnachten 2020 gab es rund 5.000 Infizierte unter den etwa 170.000 Bewohnern und Bewohnerinnen der etwa 2300 Pflegeheime in NRW. Seit Beginn der Pandemie sind rund 5900 Menschen in der vollstationären Einrichtungen der Altenpflege an oder mit dem Corona-Virus verstorben.