Berlin. Die Sozialdemokraten nähern sich weiter der Linkspartei. Laut einem Leitantrag für den Parteitag werden keine Koalitionen «aus Prinzip» ausgeschlossen. Sigmar Gabriel räumt «Schwächen und Fehler» ein. Einige beschlossene Gesetze sollen erneut auf den Prüfstand.

Die SPD will auf ihrem Parteitag Mitte November in Dresden eine weitere Öffnung hin zur Linkspartei beschließen. In dem Entwurf des Leitantrags, der der Nachrichtenagentur AP in Berlin am Freitag vorlag, heißt es, ein Bündnis mit anderen demokratischen Parteien hänge lediglich von gemeinsamen Inhalten und verlässlicher Zusammenarbeit ab. «Weder schließen wir bestimmte Koalitionen aus Prinzip aus, noch streben wir aus Prinzip bestimmte Koalitionen an», schreibt die neue Parteiführung um den designierten Vorsitzenden Sigmar Gabriel.

Das 24-seitige Dokument soll am Montag im SPD-Vorstand in Berlin beraten und gebilligt werden. Der Leitantrag stellt ausdrücklich keine Abkehr vom umstrittenen Beschluss zur Rente mit 67 in Aussicht. «Wir werden uns dazu im nächsten Jahr konkret verhalten», heißt es zu dem Reizthema lediglich. Vielmehr wird die bekannte SPD-Position bekräftigt, flexiblere Übergänge in den Ruhestand zu fördern, sowie die Erwerbschancen Älterer und die Altersteilzeit samt Teilrente.

Nach der historischen Schlappe bei der Bundestagswahl Ende September verweist das Papier auf Erfolge der elfjährigen SPD-Regierungszeit, räumt aber auch ein: «Unsere Politik hat auch Schwächen und Fehler gehabt.» Manche beschlossenen Gesetze hätten das «persönliche und gesellschaftliche Gerechtigkeitsempfinden verletzt», heißt es selbstkritisch. Die Hartz-IV-Reformen im Jahr 2004 und die Entscheidung der Großen Koalition für die Rente mit 67 «wurden von vielen Wählerinnen und Wählern nicht akzeptiert», analysiert die neue SPD-Spitze. Und weiter: «Dass derzeit nicht alle Bürger sicher sein können, dass sie besser leben, wenn sie sich anstrengen, ist einer der Gründe, warum die SPD nach elf Jahren Regierungszeit in einer Vertrauenskrise steckt.»

Ausdrücklich bekräftigt die SPD ihr Selbstverständnis als Mitglieder- und Volkspartei. «Die SPD ist die einzige Partei in Deutschland, die weder Klientelpolitik betreibt, noch sich auf einzelne Politikfelder reduziert», heißt es dazu. Gefordert wird dennoch eine «neue gesellschaftliche Verankerung», gemeint ist damit eine engere Bindung an die Bürgergesellschaft sowie Vereine und Verbände. «Die SPD braucht Impulse von außen», schreibt die SPD-Spitze.

Gabriel, die designierte Generalsekretärin Andrea Nahles und andere Mitglieder der neuen Spitze hatten den Antrag gemeinsam mit der scheidenden Führung unter Franz Müntefering und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erarbeitet.

«Nur geführt, nie gesammelt»

Erst am Donnerstag hatte Gabriel In einem Schreiben an besorgte Parteimitglieder der SPD einen «katastrophalen Zustand» bescheinigt. «Wir werden lange brauchen, uns davon zu erholen», sagte der scheidende Umweltminister voraus.

Scharfe Kritik übte Gabriel an der alten SPD-Spitze, die eine Meinungsbildung von unten nach oben zu oft blockiert habe. «In den letzten Jahren haben wir nur geführt, nie gesammelt», rügte der 50-Jährige. Gabriel schrieb weiter, unumgänglich sei nun eine «ruhige und ehrliche Analyse» der letzten elf Regierungsjahre, der Parteiorganisation während der letzten 20 Jahre sowie eine Aufarbeitung des jüngsten Wahlkampfs.

Gabriel wandte sich ausdrücklich gegen vorschnelle Erklärungen für den Niedergang der Traditionspartei. Er wies darauf hin, dass die SPD erste Landtagswahlen schon deutlich vor der umstrittenen Agenda-2010-Reformpolitik «krachend» verloren habe.

In diesem Zusammenhang beklagte er, der Zustand vieler Ortsvereine und Unterbezirke habe schon «sehr lange nichts mehr mit einer Volks- und Mitgliederpartei zu tun». Gabriel stellte als Lösung eine Strukturreform der Willensbildungsprozesse in Aussicht. «Warum eigentlich nicht auch ab und an bei wichtigen Entscheidungen eine Urabstimmung der Mitglieder?», fragte er. (ap)