Berlin. .
Die Politik pumpt immer mehr Geld in die Familienpolitik, doch die Geburtenrate sinkt weiter. In Nordrhein-Westfalen sank sie jetzt auf einen historischen Tiefstand. Wo liegen die Gründe?
Familienpolitiker arbeiten wie Mechaniker: Sie schrauben mal hier, mal dort, füllen neues Geld ins System und polieren die Statistik. Doch die Geburtenrate reagiert nicht wie gewünscht, im Gegenteil: In Nordrhein-Westfalen sank sie jetzt auf einen historischen Tiefstand. Wo liegen die Gründe?
Für 75 Prozent der Deutschen gehören Kinder zum Lebensentwurf. Das heißt umgekehrt: Bereits jeder Vierte plant sein Leben von vornherein ohne Kinder. Und selbst wenn sich hier ein Gesinnungswandel einstellen würde – die geburtenstarken Jahrgänge haben mittlerweile die Vierziger-Grenze weit überschritten, die Zahl der potenziellen Mütter nimmt unweigerlich ab. Mit drei finanziellen Stellschrauben hat die Politik in den letzten Jahren versucht, die Geburtenrate zumindest stabil zu halten – die meiste Hoffnung lag auf dem Elterngeld.
Die Große Koalition (2005 bis 2009) hatte vor allem die berufstätigen Frauen im Blick, als sie 2007 eine alte sozialdemokratische Idee aufgriff und mit dem Elterngeld ein begrenztes Lohnersatzmodell einführte. Wer nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleibt, bekommt ein Jahr lang rund zwei Drittel seines bisherigen Einkommens, höchstens jedoch 1800 Euro. Für das neue Gesetz gab es zwei Argumente: Berufstätige Frauen sollten sich nicht aus finanziellen Gründen gegen Kinder entscheiden müssen. Und sie sollten so schnell wie möglich wieder in den Job zurück finden. Dahinter stand und steht die Angst vor einem schleichenden Arbeitskräftemangel.
Freibetrag erhöht
Doch drei Jahre später ist klar: Es fehlen trotz der parallel gestarteten Krippenoffensive immer noch hochwertige Betreuungsplätze für Kleinkinder, Kitas mit langen Öffnungszeiten und sichere Ganztagsschulen. Und: Es fehlen Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten bei gleichzeitig langfristigen Arbeitsverträgen bieten.
Die zweite Stellschraube, die Erhöhung des steuerlichen Kinderfreibetrags und die Kindergelderhöhung vom 1. Januar 2010, pumpt ebenfalls einige Euro mehr in die Familienkassen, ohne aber die familiäre Infrastruktur zu verbessern. Das Kindergeld stieg um 20 Euro – für das erste und zweite Kind auf monatlich 184 Euro, für das dritte Kind auf 190 Euro, für das vierte und alle weiteren auf 215 Euro.
Kritik von zwei Seiten
Kritik gab es von zwei Seiten: Die einen hätten das Geld lieber in staatliche Bildungsförderung gesteckt, die anderen sorgten sich, dass nun ausgerechnet diejenigen Familien mit dem Kinderkriegen loslegen würden, deren Nachwuchs am meisten Sorgen bereite, etwa die angeblich so kinderreichen muslimischen Migranten.
Dabei hat gerade eine Studie der Uni Rostock gezeigt, dass Migrantentöchter der zweiten Generation praktisch genauso wenige Kinder bekommen wie vergleichbare deutschstämmige Frauen.
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Die dritte staatliche Stellschraube sind finanzielle Hilfen bei der Kinderbetreuung – von der steuerlichen Absetzbarkeit der Kosten für Tagesmutter, Kindertagesstätte und Hort bis zum kostenlosen Kindergarten. Am Entscheidungsdruck, der heute auf jungen Paaren lastet, hat aber auch das bisher wenig geändert. Wer sich auf die Suche nach Ursachen für den Abschied der Deutschen vom Kinderkriegen macht, darf deshalb nicht bei der Angst ums Geld stehen bleiben.
Große Versagensängste
Psychologen wissen vielmehr, wie wichtig Prägungen aus der Herkunftsfamilie für die eigene Familienplanung sind: Je mehr Einzelkinder es gibt, desto normaler werden solche Kleinstfamilien. Oder: Töchter, die ihre Mütter überlastet, abhängig und frustriert erlebt haben, treffen eher eine Entscheidung gegen eigene Kinder.
Hinzu kommen instabile Partnerschaften, spaßorientierte Lebensstile und große Versagensängste: Kinder gehören heute nicht mehr so selbstverständlich wie früher schlicht zum Leben dazu, sondern tauchen in unzähligen Debatten mal als erzieherische Höllenfahrt, mal als persönliche Leistungsprüfung auf – und immer als heikles Unterfangen. Das scheuen viele.