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Überholt von einem Briten. Ein Gefühl, das deutsche Formel-1-Piloten in dieser Grand-Prix-Saison nur zu genüge kennen, wenn entweder Lewis Hamilton oder Jenson Button an ihnen vorbeirauscht. In 40 Jahren wird dieses Schicksal jedoch nicht nur bedauernswerte Landsleute ereilen, die ganz schnell im Kreis fahren, sondern die gesamte Nation – wenn sich die Forscher des Population Research Buerau in Washington nicht verrechnet haben.
In einer Studie zur weltweiten Bevölkerungsentwicklung sagen die Wissenschaftler voraus, dass Großbritannien im Jahr 2050 das einwohnerreichste Land der Europäischen Union sein soll, und Deutschland damit vom Platz eins verdrängen werde.
Auf der Insel leben dann 77 Millionen Menschen, was im Vergleich zu heute einen Zuwachs von knapp 15 Millionen Einwohnern bedeutet. Deutschland dagegen schrumpft im selben Zeitraum um knapp zehn Millionen auf 71,5 Millionen Einwohner. Der Grund für diese Entwicklung liegt in den unterschiedlichen Geburtenraten. Während in Deutschland jede Frau im Schnitt 1,3 Kindern das Leben schenkt, ist die Geburtenrate in Großbritannien seit der Jahrtausendwende deutlich angestiegen. Aktuell bringt dort jede Frau zwei Kinder zur Welt. Warum?
„Einen einzigen Grund gibt es nicht, vielmehr ein Bündel an möglichen Faktoren“, sagt Professor Gerhard Dannemann, Leiter des Großbritannieninstituts der Berliner Humboldt Universität, dieser Zeitung. Zum einen vermutet er, dass britische Paare früher Kinder bekommen. Dabei spiele auch die hohe Zahl der Teenager-Schwangerschaften eine Rolle: „Mangelnde Verhütung ist in Großbritannien seit Jahren ein Problem.“ Früh Eltern zu werden, könne jedoch durchaus auch gewollt sein, weil junge Briten eher einen Schulabschluss hätten und demnach auch eher Geld verdienten als ihre deutschen Altersgenossen. „Je früher das erste Kind geboren wird, desto größer ist die Chance, das weitere Kinder folgen.“
Unterstützung für diese Theorie erhält Dannemann vom Direktor des Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock, als er die Entwicklung in Deutschland erklärt. Joshua Goldstein sagt: „Je später eine Familie Kinder bekommt, desto weniger werden insgesamt geboren.“
Der Grund für diese zurückhaltende Zeugungsaktivität in deutschen Schlafzimmern sei die wirtschaftliche Lage junger Menschen. Es scheint: erst wenn die Verbeamtung auf Lebenszeit geschafft, der unbefristete Vertrag unterschrieben ist. mache man sich Gedanken über den Nachwuchs. Nur: die Bedrohung von Arbeitslosigkeit lasse dieses Sicherheitsgefühl eben gar nicht erst entstehen. Umgekehrt könnte dies eine Erklärung für die Kinderfreudigkeit der Briten sein. „Dort gibt es diese Mentalität der Absicherung nicht. Unbefristete Verträge sind die absolute Seltenheit“, weiß Gerhard Dannemann, der acht Jahre in England gearbeitet hat.
Der Einfluss der Migranten in beiden Ländern auf die Bevölkerungsentwicklung sei übrigens marginal. „Bekommt die erste Einwanderer-Generation noch viele Kinder, passen sich die nachfolgenden rasch den Verhältnissen an“, sagt Joshua Goldstein.
Vielmehr lohne es sich, die Staaten miteinander auf die Berufstätigkeit von Frauen zu vergleichen, sagt Gerhard Dannemann. Während in Großbritannien arbeitende Mütter akzeptiert seien, hätten sie es in Deutschland schwerer, Beruf und Familie zu vereinbaren. Politische Maßnahmen wie garantierte Kindergartenplätze und Kindergeld hätten wenig Einfluss auf die Entwicklung. In Großbritannien gibt es beides nicht.