Frankfurt/M. .

Die Bundesbank hat sich von den Äußerungen ihres Vorstandes Thilo Sarrazin über muslimische Einwanderer scharf distanziert. Die Bundesbank werde nach einem Gespräch mit Sarrazin zeitnah über das weitere Vorgehen entscheiden.

Die Bundesbank verzichtet vorerst auf einen Antrag auf Entlassung ihres Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin. Sie erklärte am Montagnachmittag, sie distanziere sich „entschieden von den diskriminierenden Äußerungen“ Sarrazins. Er habe sich mehrfach und nachhaltig provokant geäußert, insbesondere zu Themen der Migration. Sarrazin gebe darin nicht die Ansichten der Deutschen Bundesbank wieder.

Der Bundesbankvorstand werde nun „unverzüglich“ ein Gespräch mit Sarrazin führen, ihn anhören und „zeitnah“ über weitere Schritte entscheiden, teilte die Bundesbank mit. Am Wochenende hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel der deutschen Notenbank indirekt nahegelegt, sich von Sarrazin zu trennen.

Künast fordert Ablösung von Sarrazin

„Das Maß ist voll“, sagte die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Renate Künast, angesichts Sarrazins jüngster Äußerungen zu einem „bestimmten Gen“ von Juden. „Wer Mitglied im Vorstand der Bundesbank wird, muss zur Kenntnis nehmen, dass die Meinungsfreiheit gilt, aber man auch nicht alles sagen darf, weil man die Interessen der Bank und die Interessen Deutschlands vertreten muss“, sagte Künast. Der Vorstand der Bundesbank müsse beschließen, Thilo Sarrazin abzulösen und diesen Beschluss an die Bundesregierung und den Bundespräsidenten weitergeben.

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Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte, Tom Koenigs (Grüne) bezeichnete Sarrazin als „Brandstifter“. „Ich halte seine Thesen, die aufsetzen auf sozialpolitischen Problemen, die wir haben, für absurd. Er bedient sich Statistiken, die er sich so zu recht legt wie er gerade will“, sagte Koenigs. Sarrazin sei geprägt von einem „tiefen Anti-Islamismus“ und vertrete eine „reaktionäre Stammtischideologie.“

Die Linke warf Sarrazin vor, „gezielt am rechten Rand des demokratischen Spektrums“ zu fischen, wie der stellvertretende Vorsitzende Ulrich Maurer sagte. „Mit seinen offen rassistischen Thesen zielt Sarrazin auf die Etablierung einer sechsten Partei im Bundestag ab“, meinte Maurer. Deutschland stehe vor der Gefahr „einer Blüte des Rechtspopulismus“.

SPD-Vorstand will Sarrazin ausschließen

Die Bundes-SPD hat ein Parteiausschlussverfahren gegen den früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin auf den Weg gebracht. Der Parteivorstand habe einstimmig beschlossen, „dass wir ein Parteiordnungsverfahren mit dem Ziel des Ausschlusses von Thilo Sarrazin aus der SPD in Gang setzen wollen“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Montag vor Journalisten in Berlin. Das 65-jährige Mitglied des Bundesbank-Vorstandes habe sich mit seinen Äußerungen über Ausländer und Migranten „außerhalb der sozialdemokratischen Partei und Wertegemeinschaft begeben“.

„Für uns ist das keine einfache Entscheidung gewesen“, betonte Gabriel. Sarrazin habe viel für die SPD geleistet, nun aber eine „rote Linie“ überschritten. Sarrazin habe die genetische Disposition bestimmter Bevölkerungsgruppen mit deren Intelligenz und Bildungsbereitschaft verknüpft. Dies sei „hoch problematisch“, Sarrazins Argumentation sei an der Stelle „rassistisch“. Sarrazin habe damit das „Ende der Diskussionsbereitschaft in der SPD“ erreicht und gezeigt, „dass er auf einem völlig falschen Weg ist“.

Aus Sicht der SPD sei für Sarrazin zudem kein Platz mehr im Vorstand der Bundesbank, sagte Gabriel weiter. Die SPD fordere daher die Bundesbank auf, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

Türkische Gemeinde begrüßt Ausschlussverfahren

Die Türkische Gemeinde in Deutschland begrüßte das Ausschlussverfahren. Dies sei ein „sehr wichtiger, längst überfälliger Schritt“, erklärte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erklärte zu dem Verfahren gegen seinen früheren Finanzsenator, die Entscheidung der SPD-Spitze sei „unausweichlich“ gewesen. „Das menschenverachtende Gesellschaftsbild und die diskriminierenden Pauschalurteile in seinen Thesen haben mit sozialdemokratischer Politik nichts zu tun“, erklärte er.

„Ich bin in einer Volkspartei, ich werde in dieser Volkspartei bleiben“

Thilo Sarrazin, will sich einem Ausschluss aus der SPD widersetzen. In der Partei solle sich doch „erst mal jemand hinsetzen und mein Buch lesen“, sagte Sarrazin am Montag bei der Vorstellung seines umstrittenen Buches „Deutschland schafft sich ab“ in Berlin. Darin werde nichts zu finden sein, „was den Parteiausschluss rechtfertigt“.

„Ich bin in einer Volkspartei, ich werde in dieser Volkspartei bleiben“, stellte Sarrazin klar. „Auch deshalb, weil diese Fragen in die großen Volksparteien gehören, nicht in die Hand neuer Parteien“, warnte er mit Blick auf die Partei des niederländischen Islamkritikers Geert Wilders.

Große Parteien vernachlässigten Probleme

Wenn große Parteien aus ideologischen Gründen oder, „weil es unangenehm ist“, von der Bevölkerung empfundene Probleme vernachlässigten, werde „Raum geschaffen für andere Reaktionen“, sagte Sarrazin weiter. Die größte Partei in Deutschland sei inzwischen die „Partei der Enthalter“, und man enthalte sich, „wenn man niemanden sieht, der für einen spricht“.

Im März war ein von einem Berliner Kreisverband und einem Ortsverein betriebenes Parteiausschlussverfahren gescheitert. Auslöser waren damals ebenfalls Äußerungen von Sarrazin über die Integration von Ausländern.

Sarrazin, der im Vorstand der Bundesbank sitzt, hatte mit Aussagen über eine Integrationsunwilligkeit muslimischer Migranten, deren angeblich vererbte Dummheit sowie Gene von Juden Proteste auf sich gezogen.

„Keine dienstlichen Obliegenheiten verletzt“

Forderungen nach einer Abberufung aus dem Vorstand sieht Sarrazin nach eigenen Worten gelassen entgegen. „Natürlich kenne ich meinen Dienstvertrag.“ Er wisse, „dass ich in meiner Eigenschaft als Bundesbankvorstand keine dienstlichen Obliegenheiten verletzt habe“, sagte Sarrazin. Er habe wie jeder andere Bürger das Recht, sich frei zu äußern. Da sei er „völlig zuversichtlich“.

Mit Bundesbank-Chef Axel Weber hat Sarrazin nach eigener Aussage zuletzt „beim Mittagessen vor neun Tagen“ gesprochen, also vor dem ersten Wirbel über sein Buch. Für Mittwochmorgen stehe eine Vorstandssitzung in seinem Kalender.

Macht abgeben musste Sarrazin schon nach der ersten Kritik

Thilo Sarrazin ist seit 1. Mai 2009 Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Er war zunächst für die Bereiche Bargeld, Informationstechnologie und Risiko-Controlling zuständig. Nach ersten umstrittenen Äußerungen über Migranten musste er im Oktober 2009 seinen wichtigen Zuständigkeitsbereich Bargeld abgeben. Im Mai 2010 erhielt Sarrazin wieder einen dritten Aufgabenbereich dazu, die Revision.

Für die Besetzung des Vorstandes der Bundesbank mit Sitz in Frankfurt am Main sind Bundesregierung und Bundesrat zuständig. Sie schlagen je drei Mitglieder vor. Die Vorstandsmitglieder werden für mindestens fünf, meist jedoch acht Jahre ernannt. Ernannt werden die Vorstandsmitglieder vom Bundespräsidenten. Er alleine kann sie auch entlassen.

Notwendig ist dazu ein entsprechender Antrag des Bundesbank-Vorstandes. Voraussetzung für eine Entlassung ist laut Bundesbank-Gesetz, dass das Vorstandsmitglied die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat. In der mehr als 50-jährigen Geschichte der Bundesbank sind Vorstandsmitglieder bislang aber lediglich durch einen Rücktritt vorzeitig aus dem Amt geschieden, eine Entlassung gab es nicht. (rtr/ddp/afp)