Berlin. .

Thilo Sarrazin provoziert alles und jeden - erst recht, wenn er sein neues Buch „Deutschland schafft sich ab“ vorstellt. Jetzt hat die Bundes-SPD ein Parteiausschlussverfahren auf den Weg gebracht.

Die bunten Intelligenz-Gene sehen aus wie Schokopastillen, schmecken auch so und gehen gut unter den Demonstranten, die vor dem Eingang der Bundespressekonferenz auf Thilo Sarrazin warten. „Deutschland, schaffe Sarrazin ab!“, rät ein Plakat in Umkehrung des Buchtitels „Deutschland schafft sich ab“. Und auch Sarrazins oft zitierte Zukunftsangst taucht auf - gegen ihn gewendet: „Wir möchten nicht, dass das Land unserer Enkel und Urenkel zu großen Teilen rassistisch ist.“ Bei Sarrazin endet der Satz auf „muslimisch“.

Zwei Dutzend Polizisten sichern draußen die Buchvorstellung. Drinnen stehen die Journalisten Schlange - Zeitungen aus Dänemark und Russland haben ihre Korrespondenten geschickt, die türkische „Hürriyet“ ist da und der holländischen „Telegraaf“ will wissen, ob Deutschland mit Sarrazin jetzt auch seinen Jörg Haider oder Geert Wilders hat. Rund 150 Bücher hat der Verlag für den Medientross mitgebracht - sie sind schon nach Minuten vergriffen.

„Gutmenschengetue“ und „Integrationsgesäusel“

(Foto: ddp)
(Foto: ddp) © ddp

Auf Seite 274 steht: „Hitler war Fundamentalist, leider für eine böse Sache.“ Ein typischer Sarrazin-Satz. Sachlich nicht ganz falsch, sprachlich aber grob fahrlässig. Dabei ist das Buch schon entschärft. Seine Frau Ursula, der Journalist Friedrich Thelen und seine Lektorin - alle haben geglättet. „Es ist wirklich sehr ausgewogen“ sagt Sarrazin im breiten Ton seiner Recklinghauser Herkunft. „Es ist ausgewogener als meine Originalsprache.“ Auf die einschlägigen Polemiken muss man trotzdem nicht lange warten - „Gutmenschengetue“ und „Integrationsgesäusel“ schreibt Sarrazin und zuckt die Achseln: Zu polemisch? „Ich argumentiere direkt und schnörkellos.“

Draußen verteilt Azize Tank Kopien ihrer Anzeige gegen Sarrazin. Die ehemalige Charlottenburger Migrantenbeauftragte wirft dem Bundesbank-Vorstand Volksverhetzung vor. Drinnen gibt sich Sarrazin alle Mühe, die Wogen zu glätten. Keine neue Polemik, dafür viele lange Sätze auf einem vorbereiteten Manuskript - und eine strategisch klug gewählte Partnerin an seiner Seite: Die streitbare muslimische Soziologin Necla Kelek wirbt für Sarrazins Buch - „ein Buch, über das sich das politische Berlin offenbar schon eine Meinung gebildet hat“ und das zu Unrecht „als biologistisch diffamiert“ werde.

Necla Kelek folgt ihm

Rückenwind von Frauenrechtlerin Necla Kelek. (Foto: ddp)
Rückenwind von Frauenrechtlerin Necla Kelek. (Foto: ddp) © ddp

In der zweiten Reihe, direkt vor dem Podium, sitzt Michel Friedman und wiegt skeptisch den Kopf. Gerade hat Sarrazin erklärt, dass neue Studien die genetische Verwandtschaft der Juden belegten. Biologisch argumentiert der 65-Jährige auch bei der individuellen Intelligenz: „50 bis 80 Prozent sind angeboren, der Rest ist umweltbedingt, Elternhaus, Umgebung, Schule.“ Es sei daher Selbstbetrug zu glauben, dass allein Bildung die genetischen Anlagen ausgleichen könne. Götzendienst für den „Bildungsfetisch“ nennt er das, und Necla Kelek folgt ihm: Es gebe in Deutschland offenbar ein Tabu, über die Vererbung von Intelligenz zu sprechen. Kelek hatte jüngst im Interview mit dieser Zeitung erklärt, Integration und Säkularisierung des Islam „schaffen wir nicht nur durch Harmonie und Konsens“.

An diesem Morgen wirft sich Kelek gegen den „schrillen Chor“, der Sarrazin augenblicklich „niederbrüllen“ wolle, rhetorisch ins Zeug: Mit Sarrazin habe „ein verantwortungsvoller Bürger bittere Wahrheiten“ ausgesprochen. „Er hat sich einen Kopf um Deutschland gemacht - und um den soll er jetzt kürzer gemacht werden.“

Zum Schluss platzt, wie zur Bestätigung, die Nachricht vom Beschluss des SPD-Päsidiums in den Saal. Sarrazin droht der Parteiausschluss. Er wirkt ehrlich verblüfft. Hat er denn nicht dem Buch extra ein Lassalle-Zitat voran gestellt? „Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Bemänteln und Verschweigen dessen, was ist.“ Und auf einmal erscheint ein Satz, Minuten zuvor gesagt, in neuem Licht: „Die guten Chefs wussten meine Eigenschaften zu schätzen.“ Der Name von Parteichef Sigmar Gabriel fällt nicht. Dafür noch ein Werbesatz, hart an der Grenze zur Selbstgefälligkeit: „Illoyal war ich nie, aber unabhängig immer.“