Berlin. .
Der Druck nimmt zu: In der SPD mehren sich die Stimmen, die Sarrazin zum Parteiaustritt auffordern. Sarrazin bleibt stur und legt nach. Heftige Kritik kommt auch von Grünen-Chefin Claudia Roth.
Die Kritik an Thilo Sarrazin innerhalb der SPD wächst. Joachim Poß, der zurzeit für Frank-Walter Steinmeier die Bundestagsfraktion der SPD leitet, forderte Sarrazin zum Austritt auf. „Wir brauchen eine sachliche und produktive Diskussion zum Zusammenleben mit Migranten. Sarrazin wählt eine Form, die Diskriminierung mit einschließt und einen positiven Dialog von vorn herein nicht zulässt“, sagte Poß der WAZ-Mediengruppe. „Dadurch wird die Stimmung aufgeputscht. Er wäre folgerichtig, wenn Sarrazin sein Parteibuch zurückgeben würde.“
Zuvor hatte Sarrazin mit der These, alle Juden hätten ein bestimmtes Gen, den Streit über religiöse Minderheiten in Deutschland weiter angeheizt. Mitglieder der Bundesregierung und andere Politiker aller Parteien, der Zentralrat der Juden und die Türkische Gemeinde reagierten mit heftiger Empörung und stellten die Eignung Sarrazins für sein Amt in der Notenbankspitze in Frage. Er selbst blieb dagegen am Wochenende unnachgiebig und lehnte auch den vielfach geforderten Austritt aus der SPD ab.
Claudia Roth übt heftige Kritik
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth kritisiert Sarrazin scharf. „Es ist nicht zu ertragen, wie Sarrazin mit immer neuen Ungeheuerlichkeiten die öffentliche Debatte bestimmt“, sagte Roth der WAZ-Mediengruppe, „Seine Äußerungen über Juden und Muslime erfüllen den Tatbestand der menschenverachtenden, rassistischen Hetze und sind ein bodenloser Skandal.“ Damit stehe Sarrazin nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes und disqualifiziere sich für jedes öffentliche Amt.
„Es ist unerklärlich, wie lange sich die Bundesbank schon von Thilo Sarrazin auf der Nase herumtanzen lässt. Seine Äußerungen zeugen von einem rassistischen, menschenverachtenden Geist und sind eine Schande für die Bundesbank ebenso wie für die gesamte Republik“, so Roth weiter. Wer jetzt noch zögere, ihn aus dem Vorstand der Bundesbank zu feuern oder wer ihn gar in seinen Äußerungen unterstützt, habe jeden Anstand und moralischen Anspruch verloren.
Zentralrat reagiert entsetzt auf Juden-These
In der „Welt am Sonntag“ bekräftigte Sarrazin seine These, muslimische Migranten integrierten sich überall in Europa schlechter als sonstige Einwanderergruppen. An anderer Stelle des Interviews sagte er: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen.“
Der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stefan Kramer, reagierte entsetzt. „Wer die Juden über ihr Erbgut zu definieren versucht, erliegt - auch wenn das vermeintlich positiv gemeint ist - einem Rassenwahn“, sagte er am Sonntag der Nachrichtenagentur DAPD. Sarrazin versuche erneut, Minderheiten zu polarisieren und gegeneinander aufzubringen. Die Juden in Deutschland würden ihm dabei aber nicht auf den Leim gehen.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte in der „Bild am Sonntag“: „Wortmeldungen, die Rassismus oder gar Antisemitismus Vorschub leisten, haben in der politischen Diskussion nichts zu suchen“. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zog die weitere Eignung Sarrazins für eine Tätigkeit im Bundesbank-Vorstand in Zweifel: „Jede Provokation hat ihre Grenzen. Diese Grenze hat der Bundesbankvorstand Sarrazin mit dieser ebenso missverständlichen wie unpassenden Äußerung eindeutig überschritten“.
Linke fordert überparteiliche Initiative gegen Sarrazin
Konsequenzen forderte auch der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman. In einem Gastbeitrag für das Blatt schrieb Friedman: „Es kann keine Toleranz mehr für diese Intoleranz geben. Wir brauchen Brückenbauer und keine Hassprediger, schon gar nicht im Vorstand der Deutschen Bundesbank.“
Am Montag erscheint Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Darin geißelt der 65-jährige Notenbanker die Einwanderungspolitik in Deutschland und warnt vor Überfremdung. Insbesondere beschäftigt er sich dabei mit dem Islam.
Die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, forderte eine überparteiliche Initiative zur Abberufung Sarrazins als Bundesbankvorstand. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der „Frankfurter Rundschau“ auf, ein Verfahren zur Absetzung Sarrazins als Bundesbank-Vorstand einzuleiten.
Soziologin Necla Kelek unterstützt Sarrazin
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler verteidigte Sarrazins Thesen: Die Kritiker Sarrazins sollten nicht den Eindruck erwecken, dass sie einen anders Denkenden am Aussprechen der Wahrheit hinderten. „Auch wenn man ihm nicht in allen Punkten folgen muss: Zum Thema Überforderung Deutschlands durch Einwanderung haben sich Helmut Schmidt, Oskar Lafontaine und auch Rudolf Augstein schon härter geäußert.“
Auch der Publizist Henryk M. Broder hält die Kritik an Sarrazin für ungerechtfertigt. Broder sagte der Zeitung: „Es ist der erste Fall von Hexenjagd in Deutschland seit Mitte des 17. Jahrhunderts.“ Broder weiter: „Ich bezweifle, dass alle, die Thilo Sarrazin jetzt so voreilig kritisieren sein Buch überhaupt gelesen haben.“
Die Soziologin Necla Kelek, die Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ am Montag vorstellen wird, sagte: „Thilo Sarrazin leistet einen wichtigen Beitrag, indem er uns Muslime auffordert, über unsere Rolle in Deutschland zu reflektieren. Ihm Rassismus vorzuwerfen, ist absurd, denn der Islam ist keine Rasse sondern Kultur und Religion. Ich teile Sarrazins Sorge um Deutschland.“
Auch Sarrazin selbst wies die Kritik an seinem Buch nochmals zurück. In einen Interview im Deutschlandfunk sagte er, er stütze sich bei seinen Untersuchungen zur Integration und zu Bildungserfolgen bei muslimischen Ausländern auf offizielles Datenmaterial der Bundesregierung. Zudem sei sein Buch bislang nur in Auszügen veröffentlicht. „Von denen, die sich bisher geäußert haben, ob das die Bundeskanzlerin ist oder andere, kennt keiner das Buch“, sagte der Berliner Ex-Finanzsenator (SPD). Gleichzeitig bekräftigte er jedoch seine Kritik am deutschen Einwanderungssystem, das seiner Meinung nach bildungsferne Ausländer in besonderem Maße anzieht. (we/apn/ddp)