Berlin. Einen Tag vor der Europawahl haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Franz Müntefering die Bürger aufgerufen, zur Wahl zu gehen. Müntefering warnte zudem vor dem Hintergrund des Erfolgs des niederländischen Rechtsaußenpolitikers Geert Wilders vor rassistischen Tendenzen.
Unmittelbar vor Beginn der Europawahl in Deutschland am Sonntag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die wichtige Rolle der EU bei der Überwindung der Rezession hingewiesen und die Bürger zum Wählen aufgerufen. Mit Blick auf die Folgen der Krise sagte zum Merkel zum Abschluss des CDU-Wahlkampfs am Samstag in Heidelberg: «So etwas darf sich auf der Welt nie wiederholen.» Wenn die 27 EU-Mitgliedsstaaten bei diesen Themen zusammenarbeiteten, könne etwas bewegt werden.
«Bei den Finanzmärkten ging alles. Es wurde um die Welt geschickt und später wusste man nicht mehr, was es war», betonte sie vor über 4.000 Teilnehmern. Deshalb sei eine Kontrolle der Hedgefonds und eine europäische Finanzmarktaufsicht notwendig. Ferner müssten die Kreditinstitute ihre Eigenkapitalbasis stärken. Merkel verteidigte das Vorgehen der Bundesregierung zur Rettung der Banken in Deutschland. Sonst wäre die gesamte Volkswirtschaft zusammengebrochen.
Koch erwartet Sieg von CDU/CSU
Merkel bekräftigte die wichtige Rolle Europas im täglichen Leben der Menschen. Die Mehrheit der Gesetze werde inzwischen in Brüssel oder in Straßburg verabschiedet. Für eine möglicherweise niedrige Wahlbeteiligung machte die CDU-Chefin auch die Politik verantwortlich. Der «Bild am Sonntag» sagte Merkel, man müsse deutlicher machen, dass jeder Einzelne etwas tun könne, zum Beispiel zur Wahl gehen. «Die europäischen Institutionen scheinen vielen Bürgern etwas zu weit entfernt. Entscheidungen, die dort getroffen werden, erfahren sie oft erst, wenn wir sie im Bundestag in nationale Gesetze umsetzen.»
Linken-Spitzekandidat Lothar Bisky machte dagegen Merkel und die Große Koalition für die Politikverdrossenheit verantwortlich. «Ihre verfehlte Europapolitik hat dazu geführt, dass sich viele Menschen nicht für europäische Themen interessieren», erklärte er in Berlin.
Vor der Wahl in Deutschland stellt sich die CDU-Parteichefin offenbar auf Verluste der Union ein. In der «BamS» verwies die Kanzlerin auf eine außergewöhnliche Situation bei der letzten Wahl vor vier Jahren. «Die rot-grüne Regierung Schröder befand sich massiv in der Kritik und erzielte ein außergewöhnlich schlechtes Ergebnis. Von der Schwäche der SPD konnte die Union als damals größte Oppositionspartei überdurchschnittlich profitieren.» Merkel formulierte als Ziel, deutlich stärkste Partei vor der SPD zu werden.
Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch erwartet einen Sieg der Unionsparteien. Er sei überzeugt, dass CDU/CSU mit großem Vorsprung auf die SPD die Europa-Partei sein werde, sagte er der «Welt am Sonntag».
Ergebnisse erst am Sonntagabend gegen 22 Uhr
SPD-Chef Franz Müntefering rief die Anhänger seiner Partei derweil zum Endspurt auf: Der Wahlkampf gehe bis Sonntagabend 18 Uhr, sagte Müntefering am Samstag bei einer SPD-Kundgebung in Hannover. «Bis dahin muss man mit möglichst Vielen sprechen, alle Verwandten anrufen und sie daran erinnern, dass alle die SPD wählen», forderte der SPD-Chef. Die Wahlbeteiligung entscheide darüber, wer am Ende mit der Nase vorne sei.
Müntefering warnt vor der "rechten Pest"
Müntefering warnte zudem vor rassistischen Tendenzen in Europa. Er rief dazu auf, alles gegen «die rechte Pest, die in Europa beginnt, sich wieder breitzumachen» zu tun. Diese Pest gebe es auch in Deutschland. «Eine solche Politik versucht im Sinne alter rassistischer Ideen, Probleme auf Minderheiten zu drücken.» Müntefering spielte damit auf die niederländische Freiheitspartei (PVV) des Filmemachers Geert Wilders an.
Die Rechten wollten den Menschen einreden, dass Minderheiten für die derzeitigen Probleme verantwortlich seien, kritisierte der SPD-Chef. In Deutschland und in Europa dürfe niemand wegen seiner Hautfarbe Religion Angst haben müssen oder beiseitegeschoben werden. Alle Menschen, in Deutschland, in Europa und außerhalb Europas «sind uns gleich viel wert», betonte er.
Nur eine starke sozialdemokratische Fraktion im europäischen Parlament könne für ein soziales Europa sorgen, sagte der SPD-Chef zudem. Er forderte erneut eine Austrocknung von Steueroasen, flächendeckende Mindestlöhne und einen TÜV für Geldprodukte. Konkurrenzvorteile, die sich ein Unternehmen durch Lohndumping verschafften, hätten mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Zugleich kritisierte er die Höhe von Managergehältern: «Der Vorstandvorsitzende einer großen Bank ist nicht 500 Mal so gut wie eine Krankenschwester», sagte er.
In den 27 Ländern der Gemeinschaft sind insgesamt 375 Millionen Menschen aufgerufen, die 736 Abgeordneten im Europaparlament zu bestimmen. In einigen Ländern fand die Stimmabgabe bereits statt. Die Ergebnisse der Europawahl stehen Sonntagabend um 22 Uhr fest. Beim letzten Urnengang kam die SPD unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder auf 21,5 Prozent. CDU und CSU erreichten einen etwa doppelt so hohen Anteil, nämlich zusammen 44,5 Prozent. (ap)