Kaundus. .
Schlechte Sichtverhältnisse sind offenbar Schuld an der versehentlichen Tötung von sechs afghanischen Soldaten durch die Bundeswehr. Das gehe laut einem Medienbericht aus den NATO-Ermittlungen hervor.
Der versehentliche Beschuss zweier Armeefahrzeuge, bei dem sechs afghanische Soldaten getötet wurden, ist offenbar auf extrem schlechte Sichtverhältnisse zurückzuführen. Das meldete der „Spiegel“ am Samstag unter Berufung auf erste Ermittlungen der NATO. Der Beschuss ereignete sich nur wenige Stunden nach den schweren Gefechten zwischen Taliban und Bundeswehr bei Kundus am Karfreitag, bei denen auch drei deutsche Soldaten ums Leben kamen.
Die Bundeswehr weist in ihrem Abschlussbericht laut „Leipziger Volkszeitung“ Mutmaßungen zurück, die Taliban-Angriffe hätten eine „neue Qualität“ gehabt. Es hätten sich weder Mutmaßungen über tschetschenische Scharfschützen an der Seite der Taliban, noch Berichte über stundenlang medizinisch unversorgt gebliebene Bundeswehrsoldaten oder Hinweise auf qualitativ neuartige Sprengstoff-Angriffe auf den Bundeswehrkonvoi bestätigt, schreibt das Blatt.
Nur wenige Stunden nach den Gefechten mit den Taliban waren durch Schüsse aus der 20-Millimeter-Bordkanone eines Schützenpanzers „Marder“ sechs afghanische Soldaten getötet worden. Wie der „Spiegel“ meldete, sagten die beteiligten deutschen Soldaten in den Vernehmungen für die Untersuchung der NATO aus, sie hätten die beiden Fahrzeuge der afghanischen Armee, die ihnen entgegengekommen seien, wegen eines Sandsturms und der einsetzenden Dämmerung kaum erkennen können.
Nachdem sie Warnschüsse mit Leuchtmunition als Erkennungszeichen abgegeben hätten, habe das militärische Geländefahrzeug angehalten. Der zivile Geländewagen dahinter sei jedoch mit aufgeblendetem Licht vorbeigezogen. Daraufhin habe man das Feuer eröffnet.
Rasmussen erinnert an Gefallene aller ISAF-Staaten
Für die drei getöteten deutschen Soldaten wurde am Freitag unter großer Anteilnahme und im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg im niedersächsischen Selsingen eine Trauerfeier abgehalten.
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erinnerte daran, dass auch andere Mitgliedstaaten am Hindukusch Tote zu beklagen haben. Der „Welt am Sonntag“ sagte er: „Es ist nie leicht, den Verlust von Menschenleben zu erklären. Leider sind die deutschen Familien bei der Trauer um ihre getöteten Angehörigen nicht allein.“ Rasmussen bekräftigte die Notwendigkeit eines weiteren militärischen Engagements in Afghanistan. Ein exaktes Abzugsdatum zu nennen, wäre seiner Ansicht nach falsch.
Der Kommandeur der internationalen Afghanistan-Truppe (ISAF), Stanley McChrystal, zeigte sich „von der Leistungsfähigkeit der deutschen Armee beeindruckt“. Im Interview mit dem Magazin „Focus“ sagte er unter Verweis auf die irrtümliche Tötung der sechs afghanischen Soldaten, er wolle die deutschen Soldaten nicht „anhand von Einzelfällen kritisieren“.
Kein ausreichender Rückhalt für Bundeswehr in Afghanistan
McChrystal wird nach einer Meldung des „Spiegel“ in der übernächsten Woche in Berlin erwartet. Er wolle dort für die neue US-Strategie einer schnelleren Ausbildung der afghanischen Armee werben, schrieb das Magazin. Geplant seien Treffen mit Guttenberg sowie im Außenamt, im Bundeskanzleramt und mit den befassten Ausschüssen des Bundestages.
Nach Überzeugung einer großen Mehrheit der Bundesbürger haben die deutschen Soldaten in Afghanistan keinen ausreichenden Rückhalt in Politik und Gesellschaft. Bei einer Emnid-Umfrage für „Bild am Sonntag“ sagten 70 Prozent der Befragten, die Bundesregierung unterstütze die Truppen nur unzureichend. 73 Prozent glauben, die Politik insgesamt unterstütze die deutschen Soldaten in Afghanistan nicht genug. 61 Prozent fanden laut Emnid, auch in der Bevölkerung fehlt es der Bundeswehr in Afghanistan an Rückhalt.
Bundesregierung steht zu ihren Soldaten im Auslandseinsatz
Gut eine Woche nach den tödlichen Anschlägen auf die Bundeswehr in Afghanistan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag das Einsatzführungskommando in Potsdam besucht. Dabei sagte Merkel den mehr als 6400 Soldaten im Auslandseinsatz die Unterstützung der Bundesregierung zu. Die Bundesregierung werde „alles tun, was notwendig ist, um die Sicherheit der Soldaten zu gewährleisten“, versicherte die Kanzlerin. Zugleich verwahrte sich Merkel gegen manch kritisches Wort der vergangen Tage, wo zuweilen „Inkompetentes“ gesagt worden sei.
Die kurzfristig angesetzte Visite Merkels wurde angesichts der verschärften Lage im Norden Afghanistan als „Unterstützungsbesuch“ gewertet. Die Kanzlerin sagte, sie wolle mit der Visite zeigen, dass es hier „eine Verantwortung der gesamten Bundesregierung“ gebe. Bei den Gesprächen mit Soldaten in Nordafghanistan habe sie eine große emotionale Betroffenheit nach den jüngsten Angriffen gesehen, aber auch eine hohe Motivation für den Einsatz.
Kurz vor Ostern war es nahe der nordafghanischen Stadt Kundus zum schwersten Gefecht mit den Taliban seit Beginn der Afghanistan-Mission gekommen. Bei den gut zehnstündigen Kämpfen starben drei deutsche Soldaten, acht weitere wurden verletzt. Die vier Schwerverletzten werden derzeit in Deutschland behandelt. Afghanistan ist mit 4170 Soldaten der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Seit Beginn der Mission kamen 39 Bundeswehrsoldaten am Hindukusch ums Leben.
Merkel wurde vom Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, begleitet. Für die Kanzlerin ist es nach 2006 der zweite Besuch beim Einsatzführungskommando. Zuletzt war sie vor vier Jahren mit dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Franz Jung (CDU) dort.
Obama sichert Karsai in Schreiben seine Unterstützung zu
US-Präsident Barack Obama hat dem afghanischen Staatschef Hamid Karsai nach Angaben aus Kabul in einem Brief seine Unterstützung zugesichert. Obama bestätigte außerdem die Einladung Karsais zu einem Besuch am 12. Mai in Washington, wie die afghanische Regierung am Samstag mitteilte. Die USA würden demnach ein „strategischer Partner“ Afghanistans bleiben. Die jüngsten Gespräche mit Karsai bei einem Aufenthalt in Kabul habe Obama in dem Brief als „ergiebig und produktiv“ bezeichnet.
Die Washington-Visite Karsais hatte auf der Kippe gestanden, nachdem der afghanische Präsident die US-Regierung mit mehreren Äußerungen verärgert hatte. So hatte Karsai in der vergangenen Woche den Westen für den Wahlbetrug bei der afghanischen Präsidentschaftswahl im August verantwortlich gemacht. Außerdem sagte er vor Stammesältesten in Kandahar, eine Großoffensive der NATO gegen Aufständische in der südafghanischen Provinz hänge von ihrer Zustimmung ab. Am Freitag sagte Obamas Nationaler Sicherheitsberater James Jones allerdings, Washington halte an der Einladung für Karsai fest. (apn/afp/ddp)