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Prof. Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen, betont im Gespräch mit der WAZ die bundespolitische Bedeutung der NRW-Wahl am 9. Mai. So hätte es eine weit reichende strategische Bedeutung, gelänge es der SPD, in ihrem Stammland die Linkspartei zu stoppen.

Herr Professor Korte, kann Hannelore Kraft Ministerpräsidentin werden?

Karl-Rudolf Korte: Klar kann sie das. In einem Fünf-Parteien-System mit vielen unentschiedenen Wählern und abnehmender Lagerpolarisierung ist alles möglich. Es geht für die Oppositionsführerin darum, eine rechnerische und politische Mehrheit zu organisieren – die SPD ist in NRW multi-koalitionsfähig.

CDU-Ministerpräsident Rüttgers hat ihr die Regierungsfähigkeit abgesprochen. Ihr fehle die Statur dazu...

Korte: Hannelore Kraft hat die Fraktionsführung, das schwierigste Amt des parlamentarischen Systems, seit fünf Jahren gemanagt. Und zwar nicht in irgendeiner Fraktion, sondern in der schwierigsten, die es gibt, die nach dem Abschied von 39 Regierungsjahren extrem mit sich selbst beschäftigt war. Viele Ex-Minister, Staatssekretäre waren oder sind darunter, lauter Siegertypen und zugleich viele Neulinge – das ist eine Herausforderung: Wie will man die disziplinieren? Wer goße Fraktionen managen kann, hat auch die Fähigkeit zum Ministerpräsidenten.

Ist es denn angesichts des Zieles, die Regierung abzulösen, klug von der SPD, dass sie die Tür zur Linkspartei nicht ganz und gar schließt?

Korte: Ich rechne damit, dass die SPD ein, zwei Wochen vor der Wahl ganz zentrale Punkte benennt - als Junktim -, auf die die Linke für eine potentielle Zusammenarbeit eingehen müsste. Diese Punkte wären dann aus Sicht der SPD unverhandelbar für eine Koalition mit der der Linke. Dies gilt sicher nur für den Fall, dass die Umfragendaten kurz vor der Wahl suggerieren, dass sich eine rechnerische Mehrheit für rot-rot-grün herausbilden sollte. Ob die Grünen sich allerdings einfach in ein derartiges linkes Lager mit vereinnahmen lassen, ist weiterhin sehr spekulativ.

Klaus von Dohnanyi, eine moralische Instanz der SPD, steht für die Helmut-Schmidt-SPD. Er sagt, käme es in NRW zu Rot-Rot, wäre es gleichbedeutend mit einer Selbstauflösung der SPD. Liegt er richtig?

Korte: Nein, das bewerte ich anders. Die NRW-Wahl hat sicherlich eine weitreichende symbolische und auch bundespolitische Bedeutung; NRW ist nicht irgendein Bundesland im Westen, sondern immer auch Trendsetter. Schafft die Linke den Einzug in den Landtag, hat sie sie ihre Westausdehnung als gesamtdeutsche Strategie vollendet. Doch die Rahmenbedingungen für diese Strategie haben sich deutlich verschlechtert: die Post-Lafontaine-Zeit hat begonnen; zudem ist auch die SPD im Bund in der Oppositionsrolle, was der SPD ebenso wie den Linken Protestwähler wieder automatisch zutreiben wird.

Linke ziehr empörte Protestwähler an

Die Linke hat Gegenwind. Ein Bündnis der SPD mit der Linke in NRW würde sicher das Selbstverständnis der SPD grundsätzlich verändern, aber keine Selbstauflösung bedeuten: wie sollte die SPD in so einem Bündnis weiter für soziale Aufsteiger attraktiv sein? Die Linke zieht vor allem sozial empörte Protestwähler und Modernisierungsverlierer an, die auf Dauerprotest setzen und nicht auf Regierungsbeteiligung. Wenn die SPD darauf in einem Bündnis einzugehen hätte, würde dies den sozialdemokratischen Identitätskern sicher berühren.

Dohnanyi sagt noch grundsätzlicher: Gerade die SPD als Partei der bürgerlichen Demokratie und Freitheit dürfe sich nicht an eine Partei binden, die Rosa Luxemburg verehrt. Wäre das eingetreten, was Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gewollt haben, hätten wir heute den Kommunismus in westeuropäischen Staaten...

Korte: Das ist eine ehrenwerte historische Sichtweise, die zu respektieren ist, aber mit der Geschichtsferne von den meisten westdeutschen Wählern wenig zu tun hat. Man müsste viele Seminare dazu veranstalten, um solche historischen Zusammenhänge zu erklären.

Hier im Westen wird die Linke vielmehr als Ableger der SPD und der Gewerkschaften wahrgenommen und durchaus auch als Ableger von Sektrieren und linken Dogmatikern. Übrigens ist die Linkspartei mit Ausnahme des Saarlands in West-Parlamente gewählt worden, obwohl es dort ähnliche Voraussetzungen wie in NRW gab, nämlich, dass die Wähler praktisch keinen der Linken-Politiker öffentlich richtig kannten, dass sie sektiererisch wirkten und das Dogmatisch-Linke auf sogennannte bürgerliche Wähler abschreckend wirkte.

Derzeit spürt die Linke aber wegen der betont sozialen Ausrichtung der SPD und nicht zuletzt wegen Lafontaines Abschieds Gegenwind...

Korte: Wenn ich der SPD-Vorsitzende Gabriel wäre, würde ich jetzt auf jedem großen Marktplatz hier in NRW auftreten und die „soziale Gerechtigtigkeit in Person” ausspielen und damit ganz klar und offensiv im Revier der Linken grasen, die über viele zürückliegende Jahre die Hegemonie über soziale Gerechtigkeit der SPD abgetrotzt hatten.

Das Selbstvertrauen der SPD hat durch den Machtverlust in NRW nach 39 Jahren arg gelitten. Könnte es sie wieder aufrichten, wenn es ihrer Strategie gelingt, die Linkspartei unter fünf Prozent zu drücken?

Korte: Ja, das wäre der eigentliche spektakuläre Sieg um 18 Uhr am Wahlabend. Das wäre das Zeichen, dass die SPD gerade hier, in ihrer sogenannten Herzkammer, setzen könnte, um die „West-Werdung” der Linken zu durchkreuzen. Gerade im Stammland der SPD die Linke zu stoppen, hätte weitreichende strategische Bedeutung.

„Rot-Rot” einmal von der anderen Seite her gedacht: Links-Pragmatiker im Osten meinen, man könne eine Koalition im Westen nicht riskieren, denn die Linken seien eigentlich nicht regierungsfähig und der Laden könnte ihnen nach einem halben Jahr so um die Ohren fliegen, dass man im Westen nie wieder Fuß fasst.

Korte: Es ist tatsächlich eine hochriskante Strategie seitens der Linken zu signalisieren, dass sie grundsätzlich regierungsfähig sind. Es ist deshalb hochgefährlich, weil die Mehrzahl der Linken-Wähler reine Protestwähler sind. Sie wollen die Linke nicht als Regierungspartei, sondern weiterhin als Unmutsaufsauger und Frust-Ventil.

Abstrafung bei Landtagswahlen

Zur Gegenseite: Konnte man sich vorstellen, dass Schwarz-Gelb so schnell an den Rand gerät, mit der Möglichkeit, abgewählt zu werden? Vor wenigen Wochen sah es noch vollständig anders aus.

Korte: Das hat mich nicht überrascht. Wähler sind Orientierungsnomaden. Die Bindungen an die Parteien sind schwach ausgeprägt. In einer Aufregungsdemokratie werden nicht langfristige Konzepte belohnt, sondern die Legitimation des Augenblicks. Insofern kann bis zum 9. Mai noch sehr viel in alle Richtungen verändern. Zudem: Wähler honorieren keine Leistungsbilanz. Wähler sind eher undankbar, obwohl sich in vielen Politikfelder in den zurückliegenden fünf Jahren sicher positive Effekte nachweisen lassen. Außerdem gibt es einen Pendeleffekt zur Bundespolitik, von wo derzeit ein totaler Gegenwind weht – und NRW ist die erste Gelegenheit für die Wähler, darauf zu reagieren. Die auf der Bundesebene regierenden Parteien werden bei Landtagswahlen oft abgestraft. Zudem steht die Wahl am 9. Mai unter dem grundsätzlichen Verdacht, dass danach Sparprogramme einsetzen. Andererseits ist bislang keine Wechselstimmung in NRW demoskopisch meßbar.

Die FDP war stets staatstragend. Was sie jetzt macht, ist aber gar nicht staatstragend: Jeder weiß doch, dass man die X-Milliarden-Krisenhilfe einmal zurückzahlen muss. Also verstößt ihr Steuersenkungsversprechen gegen eine ehrbare Kaufmann-Philosophie. Verhält sich die FDP im Grunde hier nicht antibürgerlich?

Korte: Die FDP ist im Bund mit dem irritierenden und scharfen Steuersenkungsdogma fast schon zu einer Bürgerschreckpartei geworden. Die FDP wurde bei den Bundestagswahlen ausdrücklich - in kluger Arbeitsteilung mit der Union -für ihren Bürgerlichkeitskern belohnt. Davon ist im Moment wenig zu sehen.

Lässt sich die Analyse der Büerschreckpartei auf Westerwelle personalisieren?

Korte: Ja. Und diese Sicht passt überhaupt nicht zur FDP in NRW, die sich seit Jahren mit Pinkwart und Lindner bemüht, die programmatische Breite der Partei solide herauszustellen. Die FDP hatte historisch auf verschiedenen Politikfeldern etwas zu bieten, beispielsweise einen kämpferischen Rechtsstaats-Liberalismus bei gleichzeitigem Markt-Liberalismus. Erkennbar war auch das Soziale im Liberalen. Das alles hat die FDP attraktiv gemacht, aber das ist durch Westerwelle mit einer Agenda-Cutting-Strategie durchkreuzt worden.

Es ist jetzt verengt auf eine Steuersenkungspartei und auf eine Marktradikalität – einen Extremismus der Mitte. Mit geradezu aufsässiger und brachialer Präsenz von Westerwelle als Innenpolitiker verstellt er zur Zeit die Chancen der FPD in NRW. Das sicher berechtigte Anliegen von Westerwelle, die leistungsstarke politische Mitte aufzuwerten, hat medial die bürgerlichen Wähler eher verschreckt.

Keine Eigenmobilisierung gestartet

Wird die Sponsoring-Affäre der NRW-CDU Folgen für die Landtagswahl haben, oder läuft sich die Sache tot?

Korte: Der Vertrauensvorschuss von Rüttgers als Ministerpräsident ist angeknackst. Doch wirkungsmächtig wird die sogenannte Sponsoring-Affäre bis zum Wahltag nicht bleiben. Zumal auch die Union noch gar keinen Wahlkampf und gar keine Eigenmobilisierung gestartet hat. Der Amtsbonus von Rüttgers kann bis bis zum Wahltag tragen, weil gerade in Krisenzeiten sicherheitskonservativ gewählt wird.

Andererseits gibt es leider mittlerweile eine Herrschaft des Gerüchts in diesem Wahlkampf. Es ist eine Schmutzkampagne im Gange, die in der politischen Kooperationskultur von NRW neu ist, und da wird auch noch einiges kommen. Das widert auch Wähler an. Mein Wunsch an verantwortungsbewusste Tageszeitungen wäre, nicht immer solchen Dingen nachzugehen, sondern nach Inhalten zu fragen, Politik hat eine Erklärungspflicht. auch und gerade im Wahlkampf: Wozu wird eigentlich was gemacht? Wie wird die Politik begründet? Worin unterscheiden sich die Parteien inhaltlich? Das sollte im Zentrum der Wahlberichterstattung stehen und nicht die Denunziationen und Diffamierungen.

In Düsseldorf heißt es, es werde der schmutzigste Wahlkampf, den wir je erlebt haben. Jetzt wird auch über das Internet viel gespielt, mit Bloggs, mit unüberprüfbaren Dingen. Das Internet schafft Anonymität, stellt an den Pranger. Wir sehen Sie diese Entwicklung?

Korte: Solche Bloggs und unüberprüfte, häufig anonmye Behauptungen spielen nur dann eine Rolle, wenn sie von den traditionellen Medien offline aufgegriffen werden, sonst nicht. Politische Online-Kommunikation ist heute immer noch im Blick auf die gesamte Wählerschaft eine Nischen-Kommunikation, die wichtiger wird, aber im Moment noch keine nachweisbare Rolle für den Ausgang von Wahlen spielt.

Begründete Zumutungen - so lange sie gerecht und fair sind

Empfinden Sie diese Unkultur des Anonymen, der üblen Nachrede, die Verwischung der Grenzen, was Journalismus ist, nicht als unerträglich?

Korte: Ja – eben als Herrschaft des Gerüchts.

Zurück zur Wahl: Regierungschef Rüttgers kündigt auch jetzt vor der Wahl wieder unpopuläre Zumutungen wie den Abbau von Stellen in der öffentlichen Dienst an. Ist das eine riskante Strategie?

Korte: Sicherlich, aber damit wirkt Rüttgers in seinem präsidialen Kümmerer-Stil authentisch. Er hat auch bei der letzten Wahl unpopuläre Maßnahmen präzise angekündigt und ist auch deshalb gewählt worden, weil es gerade zum bürgerlichen Grundempfinden dazugehört, auch mit begründeten Zumutungen zu leben, wenn sie gerecht und fair daherkommen. Man traut insofern Rütters zu, Mehrheiten für Unpopuläres zu organisieren, um solide Verhältnisse herzustellen. Man verbindet mit ihm, dass er solide Haushalte verantwortet - was ohne die Welt-Finanz-Krise sicher deutlicher sichtbar gewesen wäre.