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Wen sehen wir, wenn wir nach oben gucken? Die Elite. Auslese der Besten. Lenker und Denker. Manchen schaudert’s dabei. Denn die deutsche Elite entferne sich immer mehr vom Rest der Bevölkerung - sagt ein Uni-Professor. Im Fokus: Regina van Dinther, Ulla Schmidt und Josef Ackermann.

Da streicht NRW-Landtagspräsidentin Regina van Dinther (CDU) 30 000 Euro für ein paar RAG-Treffen ein. Da rollte Ministerin Ulla Schmidt (SPD) im Dienstwagen durch Spanien. Das Siegeszeichen von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann brannte sich als Geste der Hochnäsigkeit in unsere Erinnerung. Wir reiben uns die Augen und fragen: Was ist das nur für eine Elite?

Andere Maßstäbe

Keine, auf die wir sonderlich stolz sein könnten, urteilt Michael Hartmann von der Technischen Universität Darmstadt. „Die deutsche Elite entfernt sich immer mehr vom Rest der Bevölkerung”, sagt der Professor. Dass große Konzerne im Ruhrgebiet hohe Tiere füttern, sei zwar durchaus Ruhrgebiets-typisch. Aber nun hätten sich die Dimensionen verändert. „30 000 Euro für vier kurze Sitzungen – das hätte sich früher nicht gehört.”

Die Wirtschaftselite habe immer schon geglaubt, dass für sie andere Maßstäbe gelten. Doch die politische Elite passe sich dem seit ungefähr zehn Jahren immer mehr an. Hartmann: „Diese Leute haben eine ganz eigene Sicht auf die Welt. In diesen Kreisen gilt Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt. Sie sehen sich als Leistungsträger und glauben: Das steht ihnen einfach zu.”

Bei Frau van Dinther komme dazu, dass sie eine Aufsteigerin sei. „Jetzt gehört sie, die aus einfachen Verhältnissen stammt, dazu“, sagt Hartmann. „Das ist wie bei den Kindern, die nicht mit den anderen Kindern im Sandkasten spielen durften. Auf einmal lassen sie dich mitspielen, und dann bist du Teil dieser feinen Gesellschaft. Im Gegensatz zu denen, die schon lange zur Elite gehören, ist der wirtschaftliche Rückhalt der Aufsteiger aber oft nicht sehr groß. Die Verführung, etwas einzustecken, ist also größer.”

„Gelegenheit korrumpiert“

Der Hildesheimer Sozialpsychologe Werner Greve will nicht den Stab über die komplette Elite brechen: „Gelegenheit korrumpiert. Das gilt für alle, nicht nur für die Elite. Allerdings haben Angehörige der Elite mehr Gelegenheiten, sich zu bedienen. Es sind immer einzelne Menschen, die versagen. Der Vorwurf muss ein individueller bleiben.”

Von einem generellen Verfall der Moral in der Politik mag Politikwissenschaftler Uwe Andersen nicht reden. Eliten seien ein Spiegel der Gesellschaft und deren Fehlverhalten. Man dürfe nicht „heilige Maßstäbe speziell an Politiker anlegen”, sagt der Professor. Richtig sei aber, „dass Wertmaßstäbe eine Tendenz nach unten zeigen. Da ist etwas ins Rutschen geraten.” Verhaltensweisen, die heute zu Recht Anstoß erregen, „hat es früher in dem Maß nicht gegeben.”

Politiker müssten sich ihre privilegierte Position stets vor Augen führen, mahnt Andersen. Die Position verpflichte, daher müssten „politisch Handelnde wissen: Was legal ist, ist nicht unbedingt auch legitim. Wer noch den letzten Cent herausholen will, sollte nicht in die Politik gehen.“ Im Grundsatz gelte: „Politiker sollten nichts tun, was der Gesellschaft als unangemessen erscheint.“

Leider sei in der Frage der politischen Moral der Einfluss der Globalisierung erkennbar, Fehlverhalten sei ein weltweiter Trend. Andersen nennt das Beispiel Großbritannien. Dort erschütterte ein Parlaments-Skandal die Öffentlichkeit: Abgeordnete ließen sich irrwitzige Spesenabrechnungen erstatten, zum Beispiel 30 000 Euro für die Holzfäulnis-Behandlung des Zweitwohnsitzes, für Pferde-Dung für den Reitstall, für Champagner-Schalen oder Kreditzinsen.

Denken in langfristigen nachhaltigen Strukturen sei das heutige Übel

Egbert Neuhaus kann über so etwas nur den Kopf schütteln. „Für die Wirtschaftselite gelten keine anderen Maßstäbe als für die Gesellschaft“, sagt der Präsident des Unternehmensverbands Westfalen-Mitte. „Doch in den vorigen Jahren mit dem Wirtschaftsboom gab es eine Entwicklung der Entsolidarisierung“, sagt der Chef des Arnsberger Haushaltsgeräteherstellers Wesco. „Die Gemeinwohl-Fixierung – das, was den rheinisch-westfälischen Kapitalismus auszeichnet -- ging teils verloren. Konkret: Das Denken in langfristigen nachhaltigen Strukturen. Das ist unser heutiges Übel.“ Neuhaus kritisiert auch das Denken in Quartalen, das vor allem bei börsennotierten Firmen vorherrsche.

„Wir müssen wieder in breiter Masse an der Wirtschaftsethik arbeiten“, fordert der Mittelständler. „Jeder Topentscheider muss sich immer wieder Gewissensfragen stellen: Verhalte ich mich fair und wahrhaftig? Richte ich mein Handeln auf die Gesellschaft aus?“ Einzeltrips führten nur ins gesellschaftliche Elend.