Berlin. .

Die Spitzen der Koalition haben sich darauf geeinigt, die regulären und die Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung anzuheben. Der Schritt sei unumgänglich, um die Versorgung zu sichern. Kritiker fordern dagegen Sparmaßnahmen.

Gesetzlich Krankenversicherte müssen sich auf deutlich höhere Kosten einstellen. Nach monatelangem Ringen verständigten sich die Spitzen von Union und FDP am Dienstag auf ein Konzept für eine Gesundheitsreform. Die schwarz-gelbe Koalition setzt dabei vor allem auf höhere Einnahmen. Damit soll das Milliardendefizit der Kassen ausgeglichen und eine solide Finanzierung der steigenden Gesundheitsausgaben gesichert werden, wie Gesundheitsminister Philipp Rösler sagte. Der FDP-Politiker äußerte sich mit dem Kompromiss ebenso zufrieden wie CSU und CDU. Kritik kam von Arbeitgebern, Gewerkschaften und der Opposition.

Im Kern sehen die Pläne eine Erhöhung der Beiträge von 14,9 auf 15,5 Prozent vor. Die einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge, die allein von den Versicherten bezahlt werden, können von den Kassen künftig in unbegrenzter Höhe festgelegt werden. Für sozial Schwächere wird es dafür einen Zuschuss vom Staat geben. „Der Ausgleich zwischen Arm und Reich soll langfristig umgestellt werden auf das Steuersystem“, sagte Rösler. Steuererhöhungen seien dafür aber nicht erforderlich.

Für das nächste Jahr erwartet die Regierung bei den Krankenkassen ein Defizit von elf Milliarden Euro. Gestopft werden soll das Loch mit Einsparungen von 3,5 Milliarden Euro, Mehreinnahmen von sechs Milliarden Euro, die sich aus der Erhöhung der Beiträge ergeben, und der Erhebung eines Zusatzbeitrages der Arbeitnehmer. Zudem stellt der Staat 2011 zwei Milliarden Euro für einen Sozialausgleich zur Verfügung. Von künftigen Kostensteigerungen bleiben die Arbeitgeber verschont, da ihr Beitrag zwar um 0,3 Punkte auf 7,3 Prozent steigt, auf diesem Niveau aber eingefroren wird. „Damit werden die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten für die Zukunft entkoppelt“, sagte Rösler.

Kostendeckel weg

Die derzeit gültige Deckelung der Zusatzbeiträge auf ein Prozent des Bruttolohns oder 37,50 Euro monatlich entfällt. Das Bundesversicherungsamt soll stattdessen jährlich eine Empfehlung für die Höhe des Beitrags abgeben. Die Kasse kann den Betrag dann aber in unbegrenzter Höhe festlegen. Ist einem Versicherten der Beitrag zu hoch, kann er die Kasse wechseln, was den Wettbewerb ankurbeln soll. Für Geringverdiener ist an einen Sozialausgleich aus Steuermitteln gedacht. Wenn der Zusatzbeitrag zwei Prozent seines beitragspflichtigen Lohns übersteigt, zahlt der Staat einen Ausgleich, der sich an der Empfehlung des Bundesversicherungsamtes orientiert.

„Wenn wir ein gutes Gesundheitssystem erhalten wollen, wird es nicht gehen, ohne dass zusätzlich etwas an Beitragsleistungen erbracht wird“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Aber auch Ärzte, Krankenhäuser, Pharmabranche und die Kassen selbst müssen einen Beitrag leisten. Das Einsparvolumen für 2011 bezifferte Rösler auf 3,5 Milliarden Euro, für 2012 seien es vier Milliarden Euro. Dafür würden unter anderem die Verwaltungskosten der Krankenkassen eingefroren, Kosten der ambulanten ärztlichen Versorgung verringert und Kostensteigerungen der Krankenhäuser begrenzt. Den größten Sparbeitrag leistet demnach die Pharmabranche mit einem Volumen von mehr als zwei Milliarden Euro.

Harsche Kritik von Arbeitgebern und Gewerkschaften

Die CSU, die Röslers Forderung nach einer einkommensunabhängigen Kopfpauschale bislang vehement abgelehnt hatte, lobte den Kompromiss. „Die CSU hat sich in allen wesentlichen Punkten durchgesetzt“, sagte Generalsekretär Alexander Dobrindt in Berlin. „Es bleibt bei verlässlichen Beiträgen und Einnahmen.“

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf der Regierung dagegen Wortbruch vor, weil für die Bürger nicht mehr Netto vom Brutto bleibe. „Es ist auch das grandiose Scheitern eines Gesundheitsministers“, der vor einem „gesundheitspolitischen Scherbenhaufen“ stehe. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte, in der Praxis werde die kleine Kopfpauschale über die Hintertür eingeführt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach von einer „Kampfansage an die Bürger“. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt kritisierte, die Anhebung des Beitrags der Unternehmen widerspreche dem Koalitionsvertrag. Sie verteuere die „Arbeitskosten um mehr als zwei Milliarden Euro und gefährdet die Fortsetzung der derzeitigen wirtschaftlichen Erholung“.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen zeigte sich enttäuscht. „Insgesamt wäre mehr drin gewesen“, erklärte die Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer. „Die Zusatzbelastungen der Versicherten könnten merklich geringer sein.“ Die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft sprach von unverhältnismäßigen Kürzungen für die Kliniken. (rtr)

Die Folgen für die Versicherten:

Welche Mehrkosten kommen auf die Versicherten zu?

Der einheitliche Beitragssatz für die rund 160 gesetzlichen Krankenkassen soll im nächsten Jahr von derzeit 14,9 Prozent auf dann 15,5 Prozent steigen. Die Mehrbelastung von 0,6 Prozentpunkten müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils zur Hälfte tragen. Für Arbeitnehmer bedeutet das: Wer etwa 1000 Euro Brutto im Monat verdient, müsste damit künftig 82 Euro für seine Krankenversicherung zahlen und damit drei Euro mehr als bisher. Für Angestellte mit einem Bruttoeinkommen von 2000 Euro stiege der Beitrag um sechs auf 164 Euro und für Versicherte mit einem Brutto von 3750 Euro auf 307,50 Euro, das wären 11,25 Euro mehr als bisher. Die Erhöhung betrifft auch Millionen Senioren, die staatliche Rente und Betriebsrenten erhalten.

Wie hoch wird der Zusatzbeitrag künftig ausfallen?

Derzeit ist der Zusatzbeitrag, den die Versicherten allein zahlen müssen, auf ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens begrenzt, das sind maximal 37,50 Euro im Monat. Diese Deckelung entfällt. Die Kassen sollen den Zusatzbeitrag künftig selbst festlegen und zwar anders als bisher grundsätzlich als einkommensunabhängigen Pauschalbetrag. Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag bis 2014 nicht höher ausfällt als 16 Euro im Monat. Ist der Zusatzbeitrag höher als zwei Prozent des beitragspflichtigen Einkommens, dann wird dies aus Steuermitteln ausgeglichen. Der Sozialausgleich soll über die Arbeitgeber und die Rentenversicherungsträger abgewickelt werden.

Gilt der Zusatzbeitrag auch für mitversicherte Familienmitglieder?

Nein, es zahlt nur das Kassenmitglied, nicht aber der mitversicherte Partner oder Kinder.

Können Versicherte bei einer Beitragserhöhung die Kasse wechseln?

Mit der Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes, was per Rechtsverordnung geschieht, besteht Verbraucherschützern zufolge kein Sonderkündigungsrecht. Es gilt die gesetzliche Kündigungsfrist von zwei vollen Kalendermonaten. Eine uneingeschränkter Wechsel ist nach 18-monatiger Mitgliedschaft in der bisherigen Kasse möglich. Diese Bindungsfrist entfällt laut Verbraucherexperten, wenn die Kasse einen Zusatzbeitrag erhebt oder erhöht. Dann haben die Versicherten ein Sonderkündigungsrecht. Achtung: Für Versicherte mit einem freiwilligen Wahltarif etwa mit Selbstbehalt gilt das Sonderkündigungsrecht nicht. Sie bleiben drei Jahre an ihre Kasse gebunden.

Ist ein Kassenwechsel sinnvoll?

Verbraucherschützer warnen vor überstürzten Entscheidungen. Denn auch die neue Kasse kann jederzeit einen Zusatzbeitrag erheben. Zudem sind auch die Leistungen, etwa die Kostenübernahme für Impfungen oder alternative Heilmethoden, ausschlaggebend bei der Kassenwahl. Freiwillig gesetzlich Versicherte, die den Wechsel zur privaten Krankenversicherung (PKV) erwägen, sollten bedenken, dass dort zum Beispiel Partner und Kinder nicht mitversichert sind. Zudem sind auch viele PKV-Beiträge zuletzt gestiegen.