Berlin. .

Die Spitzen der Koalition haben mit den abschließenden Beratungen über die Gesundheitsreform begonnen. Die FDP will den Zusatzbeitrag auf zwei Prozent des Einkommens anheben. Der DGB warnt vor einer einseitigen Belastung der Versicherten.

Die Spitzen der Koalition haben am Dienstag in Berlin mit den abschließenden Beratungen über die Gesundheitsreform begonnen. Im Vorfeld der Entscheidung der Koalitionsspitzen über die Eckpunkte der schwarz-gelben Gesundheitsreform hat der Deutsche Gewerkschaftsbund vor einer Überforderung der Versicherten gewarnt. DGB-Chef Michael Sommer forderte in einem Brief an die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) sowie Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) und die Fraktionsspitzen, den Beitragssatz vollständig paritätisch zu gestalten, wie die „Passauer Neue Presse“ am Dienstag berichtete. Das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags wird in dem Schreiben als „fatal für die Kostenentwicklung“ bezeichnet.

Zudem lehnte Sommer die Erhöhung der Zusatzbeiträge kategorisch ab. Sie seien ein Fremdkörper in der solidarischen Krankenversicherung, weil sie „die Versicherten einseitig unsolidarisch belasten und zu einem zerstörerischen Kassenwettbewerb führen“, kritisierte der DGB-Vorsitzende.

Eine Spitzenrunde der Koalition will am heutigen Dienstag unter Leitung von Merkel die Gesundheitsreform beschließen. Nach bisheriger Planung sollen die Beiträge von 14,9 Prozent auf 15,5 Prozent angehoben werden. Auch der maximale Zusatzbeitrag soll demnach von derzeit ein Prozent auf zwei Prozent der Einkommen angehoben werden können. Vorgesehen ist ein Sozialausgleich für Geringverdiener. Dieser Ausgleich soll vermutlich aus Steuermitteln finanziert werden. Einsparungen auf der Ausgabenseite sind ebenfalls vorgesehen.

Keine Deckelung der Zusatzbeiträge

„Die Bedeutung der Zusatzelemente wird steigen“, sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner am Montag nach einer Sitzung des Parteipräsidiums in Berlin. Er widersprach damit einem Bericht der „Berliner Zeitung“, dem zufolge die FDP die Obergrenze für die Zusatzbeiträge komplett aufheben wolle. Dies sei „frei erfunden“, sagte der FDP-Generalsekretär.

Allerdings will die FDP anders als bei der bisher geltenden Ein-Prozent-Grenze die Zusatzbeiträge nicht bei zwei Prozent deckeln. Vielmehr sollen die Kassen laut Lindner auch höhere Zuschläge erheben können. Der über zwei Prozent des Einkommens hinausgehende Anteil solle dann aber aus Steuermitteln finanziert werden. Lindner sprach von einer „Überforderungsklausel“. Über Details werde in der Koalition allerdings noch verhandelt.

„Auch gesetzlich Versicherte sollen eine Rechnung erhalten“

Den Arbeitgeberbeitrag will die FDP dauerhaft bei 7,3 Prozent einfrieren, um „den Faktor Arbeit von den Gesundheitskosten zu entkoppeln“, wie Lindner weiter mitteilte. Er widersprach damit Unionsfraktionschef Volker Kauder, der in der ARD gesagt hatte, der Arbeitgeberbeitrag solle zunächst bis 2013 unverändert bleiben, sich für die Zeit danach aber nicht festgelegt hatte. Bisher beträgt der Arbeitgeberbeitrag 7,0 Prozent. Dazu kommt die Hälfte der voraussichtlichen Anhebung um 0,6 Punkte.

Lindner kündigte weiter an, die FDP wolle die Kassenleistungen künftig schrittweise von Sachleistungen auf Kostenerstattungen umzustellen. „Auch gesetzlich Versicherte sollen eine Rechnung erhalten“, sagte der FDP-Politiker. Lindner ließ aber offen, ob dies bedeute, dass Kassenpatienten beispielsweise Arztrechnungen künftig zunächst selbst bezahlen sollen. „Da will ich mich ausdrücklich nicht festlegen“, sagte er in Berlin.

Mit ihren Plänen zur Erhöhung der allgemeinen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung stößt die Koalition schon jetzt auf breite Ablehnung bis in die eigenen Reihen. Der Vize-Chef der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs, nannte das Vorhaben ein „tödliches Spiel für Arbeitsplätze in Deutschland“. Mehr Geld in das jetzige System zu stecken, sei falsch, monierte auch der CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach am Sonntag. Wirtschaftsverbände warfen Schwarz-Gelb wegen steigender Lohnnebenkosten vor, Versprechen zu brechen. Der Sozialverband VdK sprach von einer schmerzhaften Belastung für Rentner. Die SPD warf Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) Versagen vor.

AOK für höhere Beitragsbemessungsgrenze

Die Techniker Krankenkasse (TK) geht davon aus, dass die geplanten Beitragserhöhung nur kurzfristig die Finanznöte der Kassen beheben werden. Dies werde wohl nur für das kommende Jahr reichen, sagte TK-Chef Norbert Klusen der „Südwest Presse“ vom Dienstag.

Der Chef der AOK Rheinland-Hamburg warnt, die Gesundheitsreform werde die Finanzprobleme der Krankenkassen nicht lösen. „Höchstens ein Jahr, dann werden den Kassen wieder Milliarden fehlen“, sagte Jacobs der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Die Reform gehe voll zu Lasten der Versicherten. „Beiträge und Zusatzbeiträge werden steigen, ohne dass es eine Reform für die gesetzliche Krankenversicherung gibt, die langfristig Stabilität sichert“, kritisierte Jacobs.

Die Gesundheitspolitiker müssten den Bürgern endlich die Wahrheit sagen. „Dazu gehört, dass die Kosten im Gesundheitswesen wegen der Alterung der Gesellschaft und der sinkenden Zahl der Beitragszahler steigen“, sagte der AOK-Chef. Er forderte, die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3750 Euro im Monat und die Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit für die Krankenversicherung der Arbeitslosen zu erhöhen. „Auch sollte man den Wechsel der Gutverdiener in die private Krankenversicherung einschränken“, sagte Jacobs.

„Kombination aus Pest und Cholera“

Die SPD hat die Pläne der schwarz-gelben Koalition kritisiert. Diese einseitige Belastung der Versicherten sei eine „Kombination aus Pest und Cholera“ und löse keinesfalls die Finanzprobleme im Gesundheitssystem, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Montag in Berlin.

Die angepeilte Beitragserhöhung von 14,9 auf 15,5 Prozent bringe rund sechs Milliarden Euro zusätzlich ein, doch werde das Geld nicht einmal ein Jahr lang reichen. Die Koalition versuche nichts weiter, als sich „Zeit zu kaufen“. Die FDP und Gesundheitsminister Philipp Rösler seien gescheitert, weil ihr Credo „Mehr netto vom Brutto“ ins Gegenteil verkehrt werde. (rtr/ddp/apn)