Mülheim. . Wegen der Ermittlungen gegen Mülheims OB Scholten will selbst die SPD-Fraktion, dass der OB sein Amt ruhen lässt. Doch so einfach geht das nicht.
In der Affäre um die Spesenabrechnungen von Mülheims Oberbürgermeister Ulrich Scholten (SPD) hat die Duisburger Staatsanwaltschaft am Donnerstag den Anfangsverdacht der Untreue festgestellt. Entsprechend hat sie nach dreieinhalbmonatiger Prüfung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Gegenstand der Ermittlungen sind rund 80 Spesenabrechnungen Scholtens ab 2016. Stadtkämmerer Frank Mendack (SPD) hatte sie Anfang Juni als „auffällig“ deklariert. Eine von ihm beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte in der Folge festgestellt, dass der OB diesbezügliche Bewirtungen und anderes nicht ordnungsgemäß abgerechnet habe, ein dienstlicher Zweck hinter den Ausgaben sei nicht dokumentiert. In der Stadt Mülheim selbst existieren keine Vorschriften zur Verwendung der OB-Mittel.
Anonymes Schreiben sorgte im August für Brisanz
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Scholten hatte sein Versprechen gegenüber dem Stadtrat nicht eingehalten, für Aufklärung zu sorgen. Er erklärte dies damit, dass entsprechende Kalendereinträge zu den Bewirtungen nicht archiviert seien. Für Brisanz sorgte im August ein anonymes Schreiben an die Staatsanwaltschaft. Beigefügt waren Wochenausdrucke des OB-Terminkalenders, die den Eindruck erwecken konnten, dass Scholten Spesen geltend gemacht haben könnte für Zeiten, die er für Mittagspausen oder Privates blockiert hatte.
„Nach Sichtung und Prüfung verschiedener schriftlicher Unterlagen bestehen nach Auffassung der Staatsanwaltschaft zureichende tat-sächliche Anhaltspunkte dafür, dass es bei der Verwendung der städtischen Geldmittel zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist“, verkündete am Mittwoch die Staatsanwaltschaft, nun in einem Ermittlungsverfahren zu prüfen, „ob den festgestellten Unregelmäßigkeiten tatsächlich strafrechtliche Relevanz zukommt.“
BAMH-Fraktionschef wirf SPD „Herumlavieren“ vor
Auf die Nachricht der Staatswaltschaft, zur Spesenaffäre ein Ermittlungsverfahren wegen Untreueverdachts gegen Oberbürgermeister Ulrich Scholten (SPD) eingeleitet zu haben, reagierte die Ratspolitik am Donnerstag mitunter schneller als der OB selbst. Der Gegenwind für den ersten Bürger der Stadt wird rauer.
Die per Mail versandte Erklärung hatte die Staatsanwaltschaft am Donnerstagmittag gerade erst vor 29 Minuten verlassen, da machte schon eine Pressemitteilung des Bürgerlichen Aufbruchs (BAMH) die Runde. „Ich frage mich wirklich, wann dieser Oberbürgermeister die längst überfälligen und notwendigen Konsequenzen zieht“, erklärte Fraktionsvorsitzender Jochen Hartmann. Er erinnerte daran, dass der Stadtrat dem OB zuletzt schon drei Missbilligungen ausgesprochen hatte. Die BAMH-Fraktion selbst will keine Initiative für ein etwaiges Abwahlverfahren im Stadtrat ergreifen. Die SPD müsse jetzt Farbe bekennen, sagte Hartmann am Donnerstag. Ein weiteres „Herumlavieren“ sei verantwortungslos.
SPD-Fraktion gibt OB eine dringende Empfehlung
Die SPD-Fraktion erklärte sich knapp, verschärfte aber die Gangart gegenüber Scholten: Weil der OB wegen des Untreueverdachts „nicht frei agieren“ könne, empfehle die Fraktion ihm „dringend“, sein Amt bis zum Ende der Ermittlungen ruhen zu lassen, „auch um Schaden vom Amt abzuwenden“, auch wenn weiter die Unschuldsvermutung gelte. Der SPD-Parteivorstand erklärte sich nicht, er hält am Montag eine Sondersitzung ab.
Die Fraktionschefs von FDP und Grünen schlossen sich, vorbehaltlich interner Beratungen, der Forderung an, Scholten möge sein Amt ruhen lassen. Laut Rechtsdezernent Dr. Frank Steinfort kann der OB dies aber gar nicht aus eigenem Antrieb tun. Das Ruhen der Amtsgeschäfte kann demnach nur die Bezirksregierung anordnen, wenn der Rat dies im Rahmen eines Abwahlverfahrens mit einer Zweidrittel-Mehrheit beantragt. Ein Zeichen, dass aus dem Stadtrat ein solches Verfahren initiiert wird, gibt es aktuell nicht.
Grüne appellieren: OB sollte in sich gehen
Die Fraktionsspitzen von Grünen und FDP bezogen am Donnerstag aber deutlich Stellung. Die Angelegenheit fange an, der Stadt zu schaden, sieht FDP-Fraktionschef Peter Beitz die Verantwortung bei der SPD, sich zu einem Antrag für ein Abwahlverfahren zu positionieren. Die Grünen gingen den OB mit scharfer Zunge an. Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens sei „ein starkes Indiz dafür, dass die Angelegenheit eine juristische Tiefe hat“. Scholten müsse sich fragen, ob er der Verantwortung seines Amtes noch nachkommen könne und ob er mit dem Festhalten an seinem Amt nicht der Stadt schade. „Er sollte diesbezüglich in sich gehen“, so die Fraktionssprecher Tim Giesbert und Dr. Franziska Krumwiede-Steiner sowie Kathrin Rose und Fabian Jaskolla für den Parteivorstand.
Christina Küsters, Fraktionschefin der CDU, verwies darauf, dass ihre Fraktion bei der heute beginnenden Klausurtagung zum Etat eine Positionierung abstimmen werde. Mit dem Ermittlungsverfahren sei die Hoffnung verbunden, dass „viele offene Fragen“ geklärt werden. Es stelle sich aber die Frage, ob Scholten sich noch voll für das Wohl der Stadt einbringen könne, wenn gleichzeitig die Staatsanwaltschaft im Rathaus sei. MBI-Fraktionssprecher Lothar Reinhard blieb bei seiner Meinung: Das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gelte es abzuwarten. Er forderte die Ratskollegen auf, sich intensiv um die Probleme der Stadt zu kümmern, statt ewig zur OB-Affäre zu debattieren.
OB reklamiert Unschuldsvermutung für sich
Scholten selbst wies am Donnerstagabend im Gespräch mit dieser Zeitung die politischen Forderungen nach Rücktritt oder Ruhenlassen der Amtsgeschäfte zurück. Mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens habe sich nur formal-rechtlich etwas geändert, aber nichts an der Rechtsqualität. „Die Unschuldsvermutung sollte ein unverletzbares rechtliches Gut sein“, so der OB, der sich weiter der Untreue nicht schuldig sieht. Der OB will seine Bürgerdialoge fortsetzen, um sich persönlich auch unangenehmen Fragen zu stellen. Er sieht sich in der Auseinandersetzung „ein Stück weit alleine. Ich will es den Leuten gerne selbst erläutern.“