Essen. Mit seinem Angebot zum Dialog sorgt der US-Präsident im Nahen Osten für Bewegung. Er hat durch außenpolitische Weichenstellungen viele verhärtete Fronten aufgebrochen: Im Libanon gibt es neue Machtkonstellationen, Israel orientiert sich um - und Washington gewinnt wieder Glaubwürdigkeit.
Im Iran ist der von US-Präsident Obama erhoffte „grüne Tsunami“ ausgeblieben. Doch der gefühlte Sieg der gedemütigten Reformer entlarvt die plumpe Wahlfälschung als Staatsstreich der regierenden Clique. Niemand – auch nicht der „oberste geistliche Führer“ Chamenei – kann den Aufruhr der enttäuschten Massen mit der Gefahr einer drohenden militärischen Intervention der USA begründen oder gar eine Verschwörung westlicher Geheimdienste an die Wand malen.
Bewegung vielerorts
Und dennoch: Obama wirkt. Auf diesen Präsidenten richten jene ihre Hoffnungen, die auf den Straßen Teherans gegen die Diktatur des bizarren Amtsinhabers Ahmadineschad demonstrieren. Im Libanon bewirkte Obamas Kairoer an die islamische Welt gerichtete Rede womöglich den unvorhergesehenen Sieg pro-westlicher Kräfte – freilich mit der gewichtigen Minderheit der Iran und Syrien verpflichteten Hisbollah im Schlepptau.
Obama wirkt – auch in Israel: Dessen störrischer Premierminister Netanjahu stimmte erstmals einem Staat der Palästinenser zu, weil ihm der US-Präsident Daumenschrauben anlegte und seine mit unerfüllbaren Bedingungen gespickte Ja-aber-Rede prompt als „wichtigen Schritt nach vorn“ rühmte. Tatsächlich wird sich Netanjahus rechts-nationalistische Koalition durch das Wahl-Chaos im Iran eher in ihrem Misstrauen gegen den Staat der Mullahs bestätigt fühlen.
US-Politik gewinnt an Glaubwürdigkeit
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Obama wirkt: Seit er vor fünf Monaten ins Weiße Haus einzog, hat er mit kühnen Visionen und Reden, die seine Gegner für naiv halten, der amerikanischen Politik ein gewichtiges Stück ihrer Glaubwürdigkeit zurück gegeben. Keiner seiner Vorgänger hat so viele außenpolitische Weichenstellungen in so kurzer Zeit eingeleitet. So laufen vielversprechende Abrüstungsgespräche mit Moskau – zur herben Enttäuschung der polnischen Regierung, die sich mit einem US-Raketenschild eine Exklusiv-Versicherung gegen Russland verschaffen wollte und nun noch nicht einmal auf die von der Bush-Regierung versprochenen „Patriot“-Abwehrraketen rechnen darf. Obama ist eine weitreichende Verständigung mit Russland wichtiger – wegen Iran. Nur mit der Unterstützung aus Moskau wird der Gottesstaat einzuhegen sein – wie immer der Machtpoker dort ausgeht.
Rasche Erfolge sind dennoch nicht zu ewarten
Rasche Erfolge sind nicht zu erwarten. Obama weiß um die harte Realität im Nahen und Mittleren Osten: Er muss mit dem Blatt spielen, das er in der Hand hält, nicht mit dem, das er sich wünscht. Dies gilt auch für den Fall, dass Chamenei mit der Überprüfung des Wahlschwindels durch den Wächterrat lediglich auf Zeit spielt und Neuwahlen verweigert. Doch die wirtschaftliche Not eröffnet Spielräume: So könnte der Iran zu einer Verständigung über sein Nuklearprogramm bereit sein, wenn in einer künftigen regionalen Sicherheitsordnung nicht Israels Atombombe tabu bleibt. In diese Richtung zielt der überraschende Vorstoß der amerikanischen UN-Botschafterin, auch die Atommacht Israel müsse sich künftig internationaler Kontrolle unterziehen.