Berlin. Die Berichterstattung über das Roma-Kind Maria stößt auf harsche Kritik. Die Beiträge hätten eine neue Stigmatisierung von Sinti und Roma bewirkt, klagt Roma-Vorsitzender Romani Rose.

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, hat die Berichterstattung mancher Medien über den Fall des angeblich geraubten Roma-Mädchens Maria kritisiert. Der Zentralrat sei "tief besorgt über die Auswirkungen der nationalen und internationalen Berichterstattung", sagte Rose am Dienstag vor Journalisten in Berlin. Die unsachliche Berichterstattung bewirke eine neue Stigmatisierung von Sinti und Roma.

Rose bezog sich auf den Fall eines Roma-Mädchens namens Maria, das Mitte Oktober bei einer Razzia in einem Roma-Lager nahe der zentralgriechischen Stadt Farsala aufgegriffen worden war. Weil es mit seiner hellen Haut, blassblauen Augen und blonden Haaren seinen dunkelhäutigen Zieheltern nicht ähnlich sah, hatten Medien den polizeilichen Verdacht des Kindesraubs ungeprüft übernommen. DNA-Tests hatten anschließend ergeben, dass Marias leibliche Eltern bulgarische Roma sind. Marias leibliche Mutter gab an, das Mädchen 2009 aus Not in Griechenland zurückgelassen zu haben.

"Neue Form des Rassismus gegenüber Sinti und Roma"

Rose kritisierte, die Medien hätten die Roma "mit allen Formen von Kriminalität in einen spekulativen Zusammenhang gebracht", "von Kindesentführung und -missbrauch über Zwangsheirat bis zu unterstelltem Organhandel". Die Berichterstattung stehe im Zusammenhang mit neu geschürten Vorurteilen: "Wir erleben in den letzten zwei, drei Jahren eine neue Form von Diskriminierung und Rassismus gegenüber Sinti und Roma in Europa, auch in Deutschland", sagte er.

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Er forderte vom Bundestag die Einsetzung einer Expertenkommission, "die die Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma in Deutschland dokumentiert und misst". Sie solle dem Bundestag einmal pro Legislaturperiode einen Bericht vorlegen. Rose lobte die Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die dem Zentralrat kürzlich ein Gesprächsangebot unterbreitet habe.

Deutschen haben nur aus Schicksal der Juden gelernt

Der Zentralratsvorsitzende wies auch auf Übergriffe auf Sinti und Roma in Ungarn, Tschechien und Rumänien hin. Diese seien die Ursache für ihre Flucht und Vertreibung, hinzu käme die "Perspektivlosigkeit" in diesen Ländern. Die Politik müsse "deutlichere Signale von Verantwortung setzen", forderte er. Rassismus gegenüber Sinti und Roma müsse die gleiche Ächtung finden wie Antisemitismus. Fortschritte sah Rose im zivilgesellschaftlichen Bereich. Dort gebe es "viele Unterstützer und Interesse, mehr zu erfahren".

Der Historiker und frühere langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, Wolfgang Benz, kritisierte am Dienstag ebenfalls die Berichterstattung über den Fall Maria. Eine Zeitung habe sogar geschrieben, die Polizei habe Maria "befreit". "Die unangenehmen Eigenschaften, die auf Roma projiziert werden, sind willkommener Grund zur Ausgrenzung", sagte er.

Behörden entziehen Marias Familie ihre sieben Kinder

Überfremdungsängste und die Angst um den eigenen Besitz ließen Vorurteile gegenüber Sinti und Roma in Deutschland "neu erblühen", sagte er. Während die Deutschen aus dem Schicksal der Juden gelernt hätten, sei "die historische Lehre des Völkermords an Sinti und Roma offensichtlich noch nicht überall durchgedrungen".

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Die Behörden in Bulgarien haben den Eltern des Mädchens Maria vorerst ihre sieben weiteren minderjährigen Kinder entzogen. Wie die Behörden am Dienstag mitteilten, wurden die Kinder Verwandten in der bulgarischen Stadt Nikolajewo anvertraut. Es handele sich um eine "Schutzmaßnahme".

Maria soll in ein SOS-Kinderdorf kommen

Gegen die Eltern Marias, die der Volksgruppe der Roma angehören, wird ermittelt, weil sie Maria 2009 an eine Roma-Frau in Griechenland verkauft haben sollen. Die Eheleute bestreiten dies. Sie hätten die damals sieben Monate alte Maria einer Roma-Familie in Griechenland anvertraut, damit es ihr besser gehe, weil sie selbst zu arm seien.

Maria selbst ist mittlerweile bei der griechischen Hilfsorganisation Kinderlächeln mit Sitz in Athen untergebracht. Wenn es nach den bulgarischen Behörden geht, soll sie später in einem SOS-Kinderdorf in Bulgarien unterkommen. Allerdings wollen sowohl Marias leibliche Eltern als auch ihre Zieheltern das Kind wieder bei sich haben.
(afp)