Moskau. . Jugendliche Homosexuelle in Russland leiden am stärksten unter der Anti-Schwulen-Politik der Staatsduma. Die hat im Juni „Propaganda für nicht traditionellen Sex gegenüber Minderjährigen“ per Gesetz unter Geldstrafe gestellt. Tatsächlich wird auf Schwule und Lesben sogar Jagd gemacht.
Katja ist 13 und sieht aus wie 16. Katja ist bisexuell. „Aber Mädchen mag ich mehr“, verrät sie. Katjas himmelblaue Augen sind riesig, ihre Walkürenmähne schimmert golden, „Rock the Party“ steht auf ihrem blauen T-Shirt. Katja sitzt auf einer Holzbank im Park des Sieges. Der einzige Park in ihrer Kleinstadt, 80 Kilometer südlich von Sankt Peterburg. Das Mädchen gehört zur umstrittensten Minderheit Russlands. Einer Minderheit, die es nach dem Willen der Staatsduma gar nicht geben darf: Sie hat im Juni „Propaganda für nicht traditionellen Sex gegenüber Minderjährigen“ per Gesetz unter Geldstrafe gestellt. Mit dem erklärten Ziel, Jugendliche wie Katja davor zu bewahren, schwul oder lesbisch zu werden.
Vergebliche Mühe. „Ich hatte schon im Kindergarten eine Freundin“, erzählt Katja, „wir haben uns geküsst.“ In der Schule sei sie ebenfalls mit ein paar Mädchen zusammen gewesen. „Aber zum Äußersten ist es noch nicht gekommen.“
Das Gesetz gegen Schwulenpropaganda gilt als schwammig. „Sein Wortlaut kommt praktisch nicht zur Anwendung“, sagt der Moskauer Iwan Simotschkin, Mitorganisator des Internetforums „deti404“ für homosexuelle Jugendliche. „Aber seine Existenz gibt Anlass zu allen möglichen Initiativen gegen Schwule und Lesben.“
Berufsschläger verprügeln Teilnehmer von "Schwulendemos"
Im Sommer wurden ein schwuler Geographielehrer in Chabarowsk, eine Geschichtslehrerin in Magnitogorsk, und ein Moskauer Lehrer entlassen. Sie hatten im Internet oder auf Demos Verständnis für Homosexuelle gezeigt.
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„Im Aufklärungsunterricht haben sie gesagt, Homosexuelle sind kranke Menschen, die zusammenleben wollen“, erinnert sich Katja. Aber einen Jungen aus der elften Klasse hätten Mitschüler in die Toilette geschleppt und dort vergewaltigt. „Sie waren nicht schwul, sie wollten ihn nur erniedrigen.“ Berufsschläger verprügeln unter den Augen der tatenlosen Polizei die Teilnehmer von „Schwulendemos“. Mehrere junge Wolgograder vergewaltigten im Mai einen 23-Jährigen mit einer Bierflasche, schlugen ihn tot. Laut Gay-Organisationen gab es seit Beginn des Jahres in Russland neun ähnliche Morde.
Schwulenhasser beherrschen den öffentlichen Luftraum
Der 16-jährige Neonazi Philipp Rasinski, Spitzname „Dönitz“, veranstaltet „Safaris“ auf minderjährige Schwule: Er und sein jugendliches Gefolge locken Teenager zu Treffen mit vermeintlich erwachsenen „Freiern“. Dort verhören und erniedrigen sie ihre Opfer vor laufender Kamera, stellen die Videos ins Internet. Hinterher übergießen sie die Jungen mit Urin, verprügeln sie oder zwingen sie zum Oralsex. Mehrere Strafanzeigen gegen Rasinski blieben ergebnislos. „Die Polizisten geben uns sogar Ratschläge“, brüstet er sich gegenüber der Zeitung Moskowski Komsomoljez.
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Die Schwulenhasser beherrschen den öffentlichen Luftraum. „Die Politik in vielen westlichen Staaten“, klagt Wladimir Putin persönlich, „stellt Großfamilien und homosexuelle Partnerschaft ebenso gleich, wie den Glauben an Gott und an Satan.“ Nach einer Umfrage des Lewada-Zentrums verlangen 27 Prozent der Russen für Homosexuelle psychologische Hilfe, 16 Prozent Isolation von der übrigen Gesellschaft, 22 Prozent Zwangsheilung und fünf Prozent schlicht Liquidation.
Eltern reagieren oft mit Unverständnis
Katjas Eltern wissen nichts von ihrer Bisexualität. „Mein Vater würde mich sofort zu allen Psychiatern schleppen“, seufzt sie. „Meine Mutter hat Gerüchte gehört, aber sie hält das für Getratsche.“ Katja lächelt. Bei vielen Russen ruft allein der Verdacht, ihr Sohn könnte schwul sein, Panik bis Tobsucht hervor. „Für dich gibt es nur einen Ausweg“, sagte die Mutter eines erwachsenen Schwulen aus Nowosibirsk. „Bring dich um!“
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Katja schwärmt von ihrer 18-jährigen Freundin aus dem 1000 Kilometer entfernten Kursk. Sie hätten sich zwar noch nie gesehen, schrieben sich aber lange Mails. „Zwischen uns herrscht soviel Verständnis“. Später wollen sie gemeinsam in die Ukraine umziehen, nach Charkow, dort seien gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt.
Katja ist voller Optimismus. Sie wolle auch Kinder, am besten Adoptivkinder. „Die sind ganz besonders glücklich.“ Katja ist selbst noch ein Kind. Aber je mehr sie heranwächst, umso mehr Feindschaft wird ihr entgegenschlagen.