München. Warum die Gondeln Trauer tragen: Eine ARD-Doku begleitet Venedig beim Sterben. Ein Grund für das Siechtum der norditalienischen Lagunen-Stadt sind die Kreuzfahrtschiffe, die scheinbar erst auf dem Markusplatz zum Stehen kommen. Immer mehr Einheimische verlassen die Stadt.

Tudy Sammartine ist eine mürrische Frau. Dauerrauchend beklagt die alte Adelige den Untergang ihres Venedigs, und wenn die schwimmenden Hotelstädte in die Lagune hereinrauschen und ihre Silhouetten die Kanäle verdunklen, lassen ihre Schiffsdiesel dıe Bılder an ihren Wänden wackeln.

Wo ist die Stadt ihrer Jugend geblieben?

Sammartine und andere echte Venezianer hat Andreas Pichler für seine Vorzeigedoku „Das Venedig-Prinzip“ (ARD, 22.45 Uhr) begleitet: den verbitterten Makler, der das Lügen und Betrügen für Wucherpreisimmobilien über hat, den Fuhrunternehmer auf den Kanälen, der sıch dıe Miete nicht mehr leisten kann, den alten Gondoliere aus dem Hollywood-Schinken, der das Venedig seiner Jugend nıcht mehr wıederfındet.

Die Jugend von heute rappt abends gegen den Ausverkauf ihrer Heimatstadt. Das alles präsentiert in vorwiegend düsteren Farben und ganz weit weg von Donna-Leon-Fernsehverfilmungen.

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Für die Stımmungslage Moll muss Pichler nur die Fakten filmisch sprechen lassen. Die italienische Lagunenstadt zählt nur noch so wenige Venezianer wıe nach den großen mittelalterlichen Pestepedemien. Und mehr Tages-Touristen als Einwohner, rund 60.000 (!) täglich und 21 Millionen jährlich. Von ihrem Geld bleibt nur wenigen in der Stadt etwas.

150.000 sind bereits auf das Festland gezogen. Aus dem märchenhaften Postgebäude wird eine Benetton-Filiale. Normale Wohnungen wechseln für 10.000 Euro pro Quadratmeter den Besitzer und werden zu Bed-&-Breakfast-Pensionen. Andere Neueigentümer lassen sie wie in Monaco das ganze Jahr über leer stehen, außer für die paar Karnevalstage. Abends entvölkert sich die einst lebendige Stadt mit den abziehenden Besuchern wie eine Disney-Welt.

Die alte Dame mag mürrisch sein – aber sie ist einfallsreich

Tudy Sammartine ist eine mürrische, aber einfallsreiche Frau. Ihre Bilder hat sie kurzerhand an die Wand geklebt, damit sie nicht mehr mit den Vibrationen der Schiffsdiesel klappern. Gegen den Ausverkauf ihrer Stadt wehrt sie sich als Internet-Aktivistin und prangert in ihrem Blog die schlimmsten Sünden an ihrer Stadt an.

Nebenbei vermietet sie Wohnungen in ihrem Haus an Touristen. Sonst müsste die alte Dame selbst nach über 80 Jahren aus Venedig wegziehen.