Venedig. . Am Lido in Venedig zeichnet die 55. Kunst-Biennale ein meist düster umwölktes Bild vom Menschen der Gegenwart und seinem Zukunfts-Horizont. Aber sie macht, gelegentlich, auch Spaß. Im deutschen Pavillon gibt es allerdings politische Korrektheit in XXL zu bestaunen.
Nun hat man mal den deutschen Pavillon und die architektonisch dort greifbare Erinnerung an den Nationalsozialismus im Rücken, und was geschieht? Schon wieder scheuert man sich an Nazideutschland. Dem Dokumentarfilmer Romuald Karmakar, der den französischen Pavillon bespielen darf, schien eine 2005 gefilmte NPD-Kundgebung der passende Stoff für seinen Ausstellungsbeitrag, nebst Salafistendialektik.
Zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit tauschten Franzosen und Deutsche auf der gerade angelaufenen 55. Kunst-Biennale Venedig ihre angestammten Ausstellungsgebäude, die in den Giardini einander gegenüber liegen. Während die Pariser unseren Protzbau in einen kostbaren Klangkörper verwandeln, wo Maurice Ravel nach einer Anweisung von Anri Sala erklingt, mündet bei Susanne Gaensheimer die große Freiheit in politische Korrektheit in XXL.
„Ich will Vielheit ausstellen“
Es mutet an wie ein Eulentransport nach Athen: Ausgerechnet in der vielsprachigsten zeitgenössischen Kunstarena demonstriert die deutsche Kuratorin Internationalität mit einem Künstlerquartett aus vier Ländern, angeführt von Ai Weiwei. Chinas Künstlerrebell, in der freien Welt hoch gehandelt, lässt Hunderte ausrangierte China-Schemel im Raum baumeln: gespeicherte Geschichte. Der Südafrikaner Santu Mofokeng und die Inderin Dayanita Singh packen in die Seitenkabinette Betrachtungen über Ahnenkult und (nationale) Identität, während Karmakar alles auf den Boden deutscher Tatsachen zurückpfeift „Ich will Vielheit ausstellen“, so Gaensheimer. Die nämlich sei mit dem Holocaust verschwunden.
Doch die Weltkunstparade kann auch spaßig. Achtung, Schirm aufspannen – es gießt: Blankes Gold! Sollten sich die Mienen erneut wegen schlechten Wetters verziehen wie beim nasskalten Start der Leistungsschau von 88 Nationen, so erhellt der Russenpavillon sie sofort. Auf Geheiß des Moskauer Konzeptualisten Vadim Zakharov regnet Zeus in Gestalt von Goldmünzen auf das weibliche Publikum hernieder, das im Souterrain durch Sterntaler-Pfützen waten darf: Jede Frau ist hier eine Danae, und getreu dem antiken Mythos kommt der Göttervater über sie. Zum Schutz vor der Kunst der Verführung durch Spielgeld und zu viel Grübeln über das Phänomen (Oligarchen-)Gier gibt’s einen Schirm.
Diese Biennale will alles Wesentliche zur Sprache bringen und ihr gelingt Vieles, sogar die heitere Note. Ausgerechnet bei den als wenig leichtfüßig geltenden Österreichern steppt der Esel. Dem zum Tier gewordenen Fred Astaire helfen in einem hinreißenden Zeichentrickfilm von Mathias Poledna rund 5000 handgezeichnete Skizzen, Disney-Knowhow und Hollywoodmusik auf die Sprünge.
Geisterbeschwörung mit Evita Peron
Bemerkenswert aufwändig sind die Darbietungen Südamerikas: Alfredo Jaar lässt für Chile ein Modell der Giardini im Wasser versinken (nach wenigen Minuten taucht es aber
wieder auf) und stellt damit zeichenhaft die angestammten Kunstreservate auf dem Biennalegelände zur Disposition und das vielfältig bedrohte Venedig gleich mit. Argentinien lässt Eva Perón auferstehen, gemimt von Nicola Costantino: eine Geisterbeschwörung, anspielend auf Präsidentin Kirchner.
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Simryn Gill öffnete das Pavillondach ein Stück weit für Wind und Wetter und entwickelte für Australien ein Environment, in das es hineinregnen darf. Was der Mensch in Venedig am Strand landen lässt, wird so wieder weggewaschen – tendenziell. Im nordischen Pavillon fordert die Finnin Terike Haapoja den Homo sapiens auf, zu begreifen, dass er selbst ein Ökosystem ist und sich im Verbund denken muss. Schnell noch die Welt retten möchte auch Lara Almarcegui. Spaniens Vorzeigekünstlerin türmt Schutt. Eine Müllinsel bei Murano wird zum Gedankengebirge.
Viele Länderpräsentationen greifen das Thema der zentralen Biennale-Ausstellung rund um den Schatz des Wissens auf. Er befeuert am Ende die Sehnsucht, etwas gegen individuelle Fehlleistungen, Umweltkatastrophen und soziale Entgleisungen in raffgierigen Gesellschaften zu unternehmen. In Venedig wird appelliert an den humanistischen Idealtypus des gebildeten Weltbürgers, der wissen will, was uns im Innersten zusammenhält – und der die Kunst als Mittel betrachtet, um tiefer zu schürfen.