Annapolis. . Zu Unrecht saß Kirk Bloodsworth fast neun Jahre im Gefängnis. Zwei davon verbrachte er im Todestrakt. Erst ein DNA-Test konnte seine Unschuld in einem Mordfall an einem neunjährigen Mädchen beweisen. Nun, 20 Jahre nach Bloodsworths Freilassung, hat Maryland die Todesstrafe abgeschafft - maßgeblich auf sein Betreiben hin.
Als Kirk Bloodsworth im Parlament von Annapolis die Arme hochreißt und mit Tränen in den Augen dem lieben Gott dankt, wölbt sich sein mächtiger Brustkorb wie früher, als der Sohn eines Krabbenfischers professioneller Diskuswerfer war. Kurz zuvor hat das Repräsentantenhaus von Maryland mit 88 zu 56 Stimmen jenes Instrument der US-Justiz aus den Gesetzbüchern gestrichen, das Bloodsworth beinahe das Leben gekostet hätte: die Todesstrafe.
Acht Jahre, zehn Monate und 19 Tage saß der bullige Mann mit dem weißen Kinnbart im übel beleumundeten Staatsgefängnis von Baltimore. Zwei Jahre davon im Todestrakt. Weil er 1984 ein neun Jahre altes Mädchen vergewaltigt und auf bestialische Weise ermordet haben soll. Seinen Beteuerungen, unschuldig zu sein, schenkten weder Jury noch Richter Gehör. Bis sie nicht mehr anders konnten.
Die Zustimmung der Bevölkerung schwindet
„Mit einem genetischen Fingerabdruck wollte ich nachweisen, dass ich Opfer eines Justiz-Irrtums war“, sagt Bloodsworth beim Interview mit der WAZ-Mediengruppe in einem kleinen Café in der Nähe des Hafens von Annapolis, der Hauptstadt von Maryland. Der Test blieb ihm zunächst verwehrt. Die Unterwäsche des Opfers Dawn Hamilton, auf dem Spermaflecken waren, war jahrelang verschwunden. Als das Corpus delicti im Gerichtsgebäude wieder auftauchte, war Bloodsworth gerettet. Die genetische Probe ergab zweifelsfrei eine andere Täterschaft.
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1993 kam Bloodsworth mit einer Entschädigungszahlung von 300.000 Dollar frei. Einer von 142 Todeszellen-Kandidaten, die in den USA entlassen wurden, weil die Beweise gegen sie nicht trugen – und der erste in ganz Amerika, den allein die Erbmerkmale als unschuldig ausgewiesen haben. Seither reist der heute 52-Jährige als „Prediger gegen die Todesstrafe“ durchs Land, schreibt als Galionsfigur der in Philadelphia beheimateten Lobby-Gruppe „Zeugen der Unschuld“ Bücher, geht in Fernsehstudios und propagiert im Radio ohne Unterlass die Abschaffung der „death penalty“. Sein Schlüsselsatz: „Wir müssen endlich damit aufhören, uns zu töten.“ Lebenslänglich ohne die Möglichkeit der Begnadigung, das ist für ihn die „allein angemessene Maximalstrafe“.
Der Zellennachbar war der wahre Mörder
Dass sein Heimatstaat Maryland, wo die Eltern in der Chesapeak Bay eine nach der Familie benannte Insel besitzen, nun der 18. Gliedstaat in den USA ist, der das staatliche Töten einstellt, ist ohne Bloodsworths Einsatz kaum denkbar.
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Der demokratische Gouverneur Martin O’Malley, der das Gesetz bald unterzeichnet, ließ seinen Dank für das Engagement des Mannes ausrichten, der in Annapolis so bekannt ist wie ein bunter Hund. „Ich glaube, dass niemand so viel bewirkt hat wie Kirk“, erklärt Jane Henderson von der Anti-Todesstrafengruppe „Maryland Citizens Against State Executions“: „Er kann sich gewählt ausdrücken, hat Geduld und ein großes Herz.“
Und wie groß. Für einen Mann, dem das Unrecht fast ein Jahrzehnt geraubt hat, dem Ehe und Freunde weggebrochen sind, der sich fast an den Alkohol verloren hätte, wirkt Bloodsworth unverbittert und beinahe sanft. „Mein Glaube hat mir geholfen“, sagt der engagierte Katholik über seinen Kaffee gebeugt. Und fügt hinzu: „Was ich damals im Knast nicht wusste: Der echte Mörder der kleinen Dawn war ein Zellen-Nachbar, mit dem ich jeden Tag die Hanteln gestemmt habe.“
Zustimmungsrate für die Todestrafe sinkt stetig
Fälle wie der von Kirk Bloodsworth sind nach Untersuchungen von Dan Hopkins und Danny Hayses maßgeblich dafür verantwortlich, dass Amerika schleichend von der in noch 32 Bundesstaaten geltenden Todesstrafe abrückt. Die Wissenschaftler der Georgetown Universität in Washington haben herausgefunden, dass die Medien seit den 90er Jahren intensiver über fälschlicherweise Verurteilte berichten. In Umfragen sank die Zustimmungsrate zur Todesstrafe zuletzt auf 60 Prozent, der niedrigste Stand seit 40 Jahren. Vor zwei Jahrzehnten lag der Wert bei über 80.
Kirk Bloodsworth ist überzeugt: „Die Todesstrafe, die in Maryland 1638 eingeführt wurde, hat nicht einen Menschen auf diesem Planeten davor bewahrt, ermordet zu werden.“ Für das Risiko, unschuldige Menschen in den Tod zu schicken, sei er hingegen der lebende Beweis.