Los Angeles. . Ein Bayer muss sich seit diesem Montag in Los Angeles für den Mord an zwei Menschen verantworten. Christian Karl Gerhartsreiter führte seit Jahrzehnten ein Leben als Hochstapler. Er gab sich als ein Angehöriger des Rockefeller-Clans aus, als Atom-Physiker, auch mal als Agent.
Vielleicht müsste man auf alte Fotos schauen, um zu verstehen, wie ihm das gelingen konnte. Wie er so lange die Reichen und Schönen in den USA täuschen konnte, die ihn „eloquent“ und „weltgewandt“ nennen, wenn sie sich an ihn erinnern. Es sind nicht unbedingt die Attribute, mit denen man den unscheinbaren, schweigsamen Mann beschreibt, der seit diesem Montag in Los Angeles vor Gericht steht.
Der Mann, der eigentlich Christian Karl Gerhartsreiter heißt und aus den bayerischen Bergen stammt, sich in den USA aber jahrelang erfolgreich als Rockefeller-Sprössling ausgegeben hat. Doch um Hochstapelei geht es längst nicht mehr. Es geht um einen Mord. Vor fast 30 Jahren soll er seinen damaligen Vermieter getötet und im Garten verscharrt haben.
Mit eleganten Klamotten täuschte er Wohlstand vor
Er will immer schon mehr sein, als er ist. Will zum Film, in die High-Society – eine Hauptrolle spielen. Raus aus der Provinz, hinein ins Paradies, das für Gerhartsreiter „USA“ heißt. Als Austauschschüler reist er Ende der 1970er-Jahre ein – mit wenig Geld, viel Unverfrorenheit und noch mehr Fantasie.
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Mit eleganten Klamotten täuscht er Wohlstand vor, mit abenteuerlichen Geschichten erweckt er Mitleid. Mal droht ihm der Kriegsdienst in der Heimat, mal sind seine Eltern entführt, im Zeugenschutzprogramm oder haben ihn verstoßen. Das funktioniert. Immer wieder kann der Deutsche die Herzen der Menschen in seiner Umgebung erweichen, wird eingeladen und aufgenommen, darf umsonst wohnen, findet Anschluss.
Gerhartsreiter kommt auf den Geschmack. Mit einer Scheinehe erschleicht er sich eine Greencard – eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Unter immer neuen Namen taucht er an immer neuen Orten in dem riesigen Land auf. Mal ist er Atomphysiker, mal Agent in geheimer Mission, dann erfolgreicher Aktienhändler. Später auch Abkömmling des Einhandseglers Sir Francis Chichester oder Nachkomme berühmter europäischer Adliger. „Sie haben vermutlich schon mal von meinem Verwandten Lord Mountbatten gehört!“ Die Anzüge werden eleganter, die Visitenkarten aufwändiger. Nun verkehrt er endlich in feinsten Kreisen, wo er besonders gerne reichen Witwen den Hof macht. Wird einer misstrauisch, sagt der Sohn eines Landschaftsmalers nur: „Sie scheinen nicht zu wissen, wer ich bin.“
Gerhartsreiter wurde immer dreister
Immer frecher wird der heute 51-Jährige. Anfang der 1990er-Jahre nennt er sich erstmals Clark Rockefeller, Stanford-Jurist, Milliardärssohn. Viel schillernder geht es nicht mehr in den USA. Er lässt sich scheiden, heiratet wieder, wird Vater einer Tochter. Seine zweite Frau ist Unternehmensberaterin. Sie hat Geld, er gibt es aus, reist in Learjets, sammelt Sportwagen. Sie hat Verstand, er kann sie trotzdem täuschen.
Bis sie sich 2007 trennen. Es kommt zum Sorgerechtsstreit. Gerhartsreiter entführt seine eigene Tochter. Viel dümmer geht es nicht. Denn jetzt hat er die Polizei im Nacken. Er wird verhaftet. Die Ermittler finden heraus, wer er wirklich ist. Und für wen er sich ausgegeben hat, in den vergangenen 30 Jahren. Dabei stoßen die Fahnder auch auf sein Pseudonym Christopher Chichester. Deshalb steht er jetzt vor Gericht.
Keine Augenzeugen, keine DNA-Spuren, kein Motiv
Denn ein Mann mit diesem Namen lebt 1985 in San Marino als Untermieter im Gästehaus von Linda und John Sohus. Das junge Ehepaar verschwindet eines Tages spurlos, wenig später taucht Chichester unter. Bei den Erdarbeiten im Garten des Hauses für einen neuen Swimming-Pool werden Jahre später die Überreste von John Sohus Leiche gefunden, von seiner Frau Linda fehlt weiterhin jede Spur. Nur der Wagen des Pick-Ups taucht wieder auf. Gerhartsreiter hat mal versucht, ihn zu verkaufen.
Trotzdem ist die Beweislage dünn. Es gibt die Aussage, der Verdächtige habe einen blutigen Teppich loswerden wollen. Auch von einer geliehenen Kettensäge ist die Rede. Aber es gibt keine Augenzeugen, gibt keine DNA-Spuren oder ein Motiv. Gerhartsreiter schweigt. Vielleicht auch, weil er ahnt, dass ihm kaum noch einer glauben würde nach all seinen Lügen.