Moskau/Washington/Darmstadt. Der zerstörerische Meteorit von Tscheljabinsk ist wohl unauffindbar. Tausende Russen machen derweil die demolierten Häuser nach dem Einschlag wieder winterfest. Entbrannt ist eine Sicherheitsdebatte - auch Atomgegner warnen vor Gefahren aus dem All.

Bei klirrender Kälte kämpfen etwa 24.000 Russen im Gebiet Tscheljabinsk am Uralgebirge gegen die extremen Schäden nach dem wohl folgenreichsten Meteoriteneinschlag seit Jahrhunderten. Zum Schutz gegen den harten Winter verglasen sie Fenster in Tausenden Gebäuden. Oft muss es provisorisch Wärmefolie tun. Rund 100.000 Menschen waren von den Gebäudeschäden betroffen. Der Gouverneur des Gebiets, Michail Jurewitsch, warnt vor Geschäftemachern, die am Unglück der Frierenden verdienen wollen. "Die Verglasung ist für alle Bürger kostenlos", betont er. Es geht um rund 200.000 Quadratmeter Glas - ein Millionenschaden, den der russische Staat zahlt. Der Gesamtschaden des Meteoriteneinschlags liege bei etwa einer Milliarde Rubel (25 Millionen Euro), Tendenz steigend, sagte Jurewitsch.

Dutzende Patienten erholen sich auch am Sonntag nach dem Einschlag des glühenden Feuerballs noch von ihrem Schock und den erlittenen Schnittwunden. Vor allem Glassplitter trafen die vielen der 1200 Verletzten, weil sie sich an die Fenster gestellt hatten, als sie am Freitagmorgen den explosionsartigen Krach hörten. Der Meteorit donnerte mit 20 Kilometern pro Sekunde durch die Luft. Die bombenstarke Druckwelle zertrümmerte Fenster, daher das viele Blut.

Wachleute schützen beschädigte Gebäude vor Plünderern

Auch Wände stürzten an einigen Stellen ein - wie am Zinkwerk von Tscheljabinsk - die Ruine war am Wochenende ein beliebtes Fotomotiv der Schaulustigen. Medien berichteten, dass vielerorts Wachleute fensterlose Gebäude vor Plünderern schützten. Doch abgesehen von diesen Schäden fehlt weiter jede Spur von dem Himmelskörper.

Russische Medien sind voll mit Berichten von Augenzeugen, die zunächst meinten, ein Krieg breche los. Anderen glaubten an eine fehlgeleitete Rakete der nahen Militär- und Rüstungsanlagen oder an Explosionen in Munitionsdepots, wie sie in Russland vorkommen. Wegen des grellen Lichtes und starken Rauches dachten nicht wenige auch an einen Zwischenfall in einer der Atomanlagen. Weil die Suche nach dem Meteoriten ergebnislos bleibt, nehmen diverse Spekulationen eher noch zu, obwohl auch die US-Weltraumbehörde Nasa die Explosion eines großen Himmelsbrockens über Russland bestätigt hatte.

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Zivilschutzminister Wladimir Putschkow erklärte, dass es bisher keine handfesten Beweise für den Meteoriten gebe. Zuvor hatten Taucher stundenlang im See Tschebarkul nach Meteoritenteilen gesucht. Vize-Gouverneur Igor Murog überraschte sogar mit der Aussage, das auf dem zugefrorenen See bewachte sieben Meter große Loch sei wohl anderen Ursprungs. Dabei hatten sich viele gleich über die wie mit Zirkel und Säge erstellte Öffnung gewundert. Das sah für manche eher wie die saubere Arbeit von Eisfischern aus, die das Gewässer für ihr winterliches Angelvergnügen mit viel Wodka nutzen. Zumindest die Wasserproben seien unauffällig und auch ohne radioaktive Strahlung, teilten die Behörden mit. Fast täglich betonen offizielle Stellen, dass die gemessenen Strahlenwerte im natürlichen Bereich lägen.

Atomkraftgegner befürchten Risiko für Atomkraftwerke

Vor allem Atomkraftgegner aber zeigen auch auf die großen zusätzlichen Gefahren eines Meteoriteneinschlags. "Die Gebiete Tscheljabinsk und das benachbarte Swerdlowsk sind Orte, an denen sich Nuklearanlagen konzentrieren", warnte die Moskauer Stelle der Umweltorganisation Greenpeace. Auch die große atomare Wiederaufbereitungsanlage "Majak" liege ganz in der Nähe. Die russische Regierung verkenne das Risiko solcher Katastrophen für Atomanlagen, kritisiert Wladimir Tschuprow von Greenpeace.

Auch die Boulevardzeitung "Komsomolskaja Prawda" malte aus, zu welch einer schlimmen Atomkatastrophe es hätte kommen können. "Die Explosion (durch den Meteoriten) war einer atomaren sehr ähnlich", schreibt das Blatt auf einer der Sonderseiten. Die vielen Astronomen, Militärexperten und Wissenschaftler machen in Expertengesprächen aber auch deutlich, dass der Meteorit wegen seiner geringen Größe und der extremen Schnelligkeit vorher nicht zu entdecken gewesen war.

Die russische Regierung will nun dennoch über ein Frühwarnsystem nachdenken. So sollen gefährliche Objekte aus dem All künftig früher erkannt und unschädlich gemacht werden können, wie der für die Raumfahrt zuständige Vizeregierungschef Dmitri Rogosin twitterte.

Gestein raste mit 72.000 Stundenkilometer durch die Atmosphäre

Der Gesteinsbrocken war russischen Astronomen zufolge mit einem Tempo von rund 20 Kilometern pro Sekunde - 72 000 Stundenkilometern - durch die Atmosphäre gerast, heizte sich zu einem glühenden Feuerball auf und zerplatzte in einer Höhe von 30 bis 50 Kilometern. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa sprach von 20 Kilometern. Der Auftreffwinkel war nach Nasa-Angaben mit weniger als 20 Grad recht flach.

Russische Taucher suchten am Samstag drei Stunden lang in dem See Tscherbakul etwa 80 Kilometer von Tscheljabinsk entfernt nach Teilen des Meteoriten - ohne Erfolg. Die Behörden müssten künftig besser vorbereitet sein auf einen solchen Meteoriteneinschlag, sagte Zivilschutzminister Wladimir Putschkow. Deshalb werde nun an einem neuen System für eine schnellere Reaktion gearbeitet.

"Er war schlicht zu klein, um von dem globalen Beobachtungssystem gesehen zu werden", sagte James Gleason von der Universität Michigan. Nach Berechnungen der Nasa kreuzte der Himmelsbrocken zunächst die Bahnen von Merkur und Venus und kam dem Mars sogar recht nahe. Erst dann kollidierte er mit der Erde. "Einige Tausend Meteoriten treffen jeden Tag die Erde. Die große Mehrheit geht aber über Ozeanen und unbewohnten Gebieten nieder oder wird im Tageslicht gar nicht gesehen", teilte die Nasa mit.

Asteroid "2012 DA 14" verursachte keine Schäde auf der Erde

Der Meteoriteneinschlag stand in keinem Zusammenhang mit dem Asteroiden "2012 DA14", der am Freitagabend knapp an der Erde vorbeigeflogen war, wie die US-Raumfahrtbehörde Nasa erläuterte. Nach Angaben der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa wurden weltweit keine Esa-Satelliten- und Bodenstationen von dem Asteroiden gestört.

"Auch sonst haben wir nichts von Auswirkungen gehört, obwohl der Asteroid durchaus in die Nähe anderer Satellitenbahnen gekommen ist", sagte Esa-Sprecher Bernhard von Weyhe in Darmstadt. "Es gab auch keine elektromagnetischen Störungen beim Vorbeiflug." Nach ersten Esa-Auswertungen war der Asteroid rund 130 000 Tonnen schwer, hatte einen Durchmesser von etwa 50 Metern und enthielt große Anteile von Metall.

Die Esa hofft nun auf mehr Mittel zur Erforschung und Abwehr solcher Himmelskörper. "Wenn so ein großer Brocken eines Tages direkt auf die Erde zufliegen würde, müsste man eine Ablenkungsmission starten", sagte von Weyhe. "Derzeit sehen wir so etwas nicht, aber es gibt ein paar kritische Kandidaten in ein paar Jahrzehnten." Der über Russland niedergegangene vergleichsweise kleine Meteorit habe gezeigt, "dieses Risiko ist nicht gleich null". (dpa)