Gicumbi. . Ihre ersten Ehemann verlor die Ruanderin Annonciata durch den Völkermord vor 18 Jahren, den zweiten durch einen Unfall. Mit sechs kleinen Kindern stand die Witwe vor dem Nichts. Often musste sie ihre Kinder abends hungrig zu Bett bringen. Erst in einer Selbsthilfegruppe lernte die heute 49-Jährige, sich eine neue ökonomische Existenz aufzubauen. Ihre kleine Farm ist ihr ganzes Glück.

Sie wohnen dort, wo es nicht mehr weiter zu gehen scheint. Wo der holprige Weg längst im Grün ausfranst und der morgendliche Nebel lange an den Hügeln klebt. Ein rotbraunes Haus aus Lehm, aus jenen Ziegeln, die die Menschen hier eigenhändig herstellen. Ein Haus, wie es im Norden Ruandas viele gibt. Ärmlich, kaum mehr als zwei Räume groß, mit gestampftem Boden und Wellblechdach. Kein fließendes Wasser, keine Toilette. Stattdessen eine offene Feuerstelle, auf der gekocht wird. Und doch ist das hier Annonciatas großes Glück.

Denn Annonciata, die zweifache Witwe und Mutter von sechs Kindern, hat sich aus dem Nichts ein für ruandische Verhältnisse erfolgreiches Leben aufgebaut. Eine kleine Farm mit etwas Land drumherum, auf dem sie Gemüse anbaut, mit drei Kühen, vier Schafen, Hühnern und einem Schwein. Es gab Zeiten, in denen sie und ihre Kinder nichts zu essen hatten, „manchmal nicht einmal eine Mahlzeit am Tag“, sagt Annonciata, und schickt stolz hinterher, dass die Kinder trotz des Hungers am Morgen in die Schule gegangen seien.

Nach dem Tod ihres zweiten Mannes beginnen Jahre des Elends

Suchte man eine Vorzeigefrau für die Aufbau-Arbeit der deutschen Kindernothilfe in Ruanda, sie wäre eine perfekte Besetzung. Eine Frau, die in einer Selbsthilfegruppe gelernt hat, wie sie sich und ihre Kinder aus dem Elend befreien kann.

Annonciata, deren erster Ehemann 1994 getötet wird, während des ruandischen Völkermordes an den Tutsis. Die mit ihren vier Kindern vor den Hutu-Soldaten flüchtet, später erneut heiratet und bald auch den zweiten Mann verliert, als der und elf weitere Arbeiter in einem Steinbruch verschüttet werden. Lange Jahre des Elends beginnen.

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Heute weiß sie, wie gute Landwirtschaft funktioniert. Sie hat gelernt, mit Geld umzugehen, wie sie ihre Produkte mit Gewinn verkaufen kann. Aus einer Frau ohne Bildung ist eine selbstbewusste Landwirtin geworden.

„Sie klopften damals an meine Tür, suchten arme Leute, luden sie ein“, erzählt die heute 49-Jährige. Sie, das waren Mitarbeiter des ruandischen Missionswerks AEE, des African Evangelistic Enterprise, mit dem die deutsche Kindernothilfe kooperiert. Die Ärmsten der Armen sollten in Workshops unterrichtet werden, vor allem aber sollten sie sparen und sich gegenseitig mit Krediten unterstützen.

Eine dreiviertel Stunde von Annonciatas Farm entfernt, auf der anderen Seite des im Norden Ruandas gelegenen Ortes Gicumbi, treffen sich an diesem Nachmittag 18 Frauen einer anderen Selbsthilfegruppe. Stolze Frauen. Ihre Gruppe haben sie „Die Antwort“ genannt, und jede Einzelne von ihnen weiß genau, was sie geschafft hat. In ihren farbenfrohen traditionellen Gewändern sitzen sie zusammen, wie üblich einmal in der Woche, um ihrer Schatzmeisterin gespartes Geld zu überreichen und dieses fein säuberlich in das Kassenbuch einzutragen.

Von dem Ersparten können sie die Familie sogar krankenversichern

„Wir alle haben eine Erfolgsgeschichte zu erzählen“, sagt Jacqueline, eine 35-Jährige. Fünf Kinder hat sie, eine kräftige Frau im beigen Wickelrock, die nun aufsteht, um vor der Gruppe über sich selbst zu berichten. Vor ein paar Jahren noch hätte sie nicht vor vielen Menschen reden können, sagt Jacqueline, aber in den Versammlungen der Gruppe hätte sie genau das gelernt.

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Und dann erzählt sie, wie sie und die anderen Frauen anfangs gerade einmal 50 Ruandische Francs gespart haben und dann immer mehr. Wie sie selbst ihren ersten Kredit von den Freundinnen lieh, 3000 Francs für eine Ziege. Wie sie deren zwei Zicklein verkaufte und von dem Geld Sorghum, Hirse also zum Bierbrauen, erwarb und mit Gewinn weiterverkaufte. Am Ende der langen Aufzählung ist Jacqueline Besitzerin einer demnächst kalbenden Kuh. Kleine Schritte sind das, aus westeuropäischer Sicht, aber in Ruanda sind sie geeignet, das Leben einer Familie zu verändern.

Auch Claudine, eine 38-jährige, äußerst temperamentvolle Frau, kennt jedes ihrer kleinen unternehmerischen Wagnisse auswendig. Jeden Kauf, jeden Verkauf, jeden Gewinn. Vom ersten Kredit, von dem sie Avocados erstand, über das Kaninchen, bis hin zur Kuh, die nun täglich 20 Liter Milch gibt. „Vom ersten Geld kaufte ich Essen für die Kinder. Bis dahin gab es immer nur eine Mahlzeit pro Tag. Es reichte nie aus, die Kinder satt zu bekommen“, sagt sie.

So glücklich ist sie über ihren Erfolg, dass sie nach ihrer kleinen Rede vor der Gruppe zu tanzen beginnt, dass sie auf ihr schönes Kleid hinweist. „Ich war eine der Ärmsten der Armen!“, sagt sie und, dass sie nach ihrem gerade geborenen vierten Kind kein weiteres mehr möchte. Denn auch das haben die Frauen in den Selbsthilfegruppen gelernt: wie sie verhüten können, wie sie für die Gesundheit ihrer Familie sorgen müssen. Mit dem ersparten Geld gelingt es den Frauen sogar, für ihre Familien eine Krankenversicherung abzuschließen.

Zurück zu Annonciata, der Landwirtin auf der anderen Seite des Hügels. Sie hat es geschafft, dass Jean d’Amour, ihr ältester Sohn, Landwirtschaft studiert. Ein Traum ist wahr geworden. Doch es gibt noch andere. Den etwa, sich irgendwann eine friesische Kuh leisten zu können. Jene Schwarzbunte, die selbst hier, im hintersten Winkel Ruandas, für ihre enorme Milchleistung bekannt ist. Annonciata, kein Zweifel, wird diese Vision fest im Blick halten. Sagt’s und stellt sich für den Fotografen in Pose: „Ich bin eine glückliche Frau!“