Guatemala-Stadt. . Yesica ist heute 17 – und es geht ihr gut. Denn der Mann, der sie jahrelang missbrauchte und ihre Mutter verprügelte, sitzt im Gefängnis: ihr Vater. Psychologen von Conacmi, der Hilfsorganisation, die WAZ und Kindernothilfe in diesem Jahr unterstützen, halfen der Familie, ihn vor Gericht zu bringen.
In diesen Tagen hat Yesica etwas Bemerkenswertes getan. Sie stand in diesem riesigen Saal in Guatemala-Stadt, vor 400 Leuten, Experten für Kindesmisshandlung allesamt, und redete von elterlicher Liebe: „Sie ist mehr wert als alles“, sprach Yesica spontan ins Mikrofon, „Eltern geben uns Sicherheit.“ Das Leben sei „ein Geschenk Gottes“, sagte sie, und dann sang sie ein Lied über Schutzengel.
Bemerkenswert ist das, wenn man weiß: Von den Eltern hat dieses Mädchen alles andere als Liebe erfahren, sein Leben war eher ein Strafe Gottes, und wenn es einen Schutzengel gibt, kam er zu spät.
Jedenfalls griff niemand ein, wenn der Vater die Mutter mit dem Gürtel vertrimmte, als er eine seiner vielen Schnapsflaschen auf ihrem Kopf zerschlug, dass auch die Kinder voller Blut waren. Keiner half, als Yesica dazwischen ging und sich auf Knien dafür entschuldigen musste, als der Betrunkene sich auf sie stürzte und versuchte, sie zu erwürgen. Und niemand will mitbekommen haben, wie er mit der Machete drohte: „Ich bring euch alle um!“
Elf war Yesica, als der unbekannte Mann zu seiner Familie zurückkehrte und bald darauf ins Bett seiner ältesten Tochter kam. An dieser Stelle ihrer Geschichte hat Yesica mit den Fingern gefühlte 500 Schleifen auf den Tisch gemalt und ein Gummiarmband in drei Einzelteile zerlegt. Sie hat ja nicht einmal gewusst, dass der Vater nicht durfte, was er da tat, Nacht für Nacht. Er war doch der lang vermisste „Papá“, so einer tut nichts Böses, und dann sagte er immer: „Ich habe ein Recht dazu, weil ich dein Vater bin.“
Und schließlich hat sie gesehen, wie er zuschlagen kann. „Ich hatte Angst, dass einer stirbt, wenn ich was erzähle.“ Als die Mutter den eigenen Mann eines Nachts mit der Tochter erwischt, gibt sie Yesica die Schuld. Sie zwingt sie mit Draht zum Reden, sie schleppt sie zu Ärzten, weil das Gericht Beweise will, die Polizei sagt: „Wenn du lügst, kommst du ins Gefängnis.“
Irgendwann ist aber doch ein Engel gekommen, es waren die Leute von Conacmi, der guatemaltekischen Hilfsorganisation für misshandelte und missbrauchte Kinder, die WAZ und Kindernothilfe mit ihrer diesjährigen Weihnachtsspenden-Aktion unterstützen. Sie konnten Yesica, inzwischen 17, nicht mehr schützen, aber sie konnten ihr helfen. Sie begleiten zum Prozess, vor allem: ihr zuhören, ihr glauben. Yesica hat gelernt, loszulassen, was sie aus Scham in sich verschlossen hatte. „Conacmi“, auch das hat sie beim Kongress gesagt, „ist der Ort, wo wir lernen, uns auszudrücken, zu fühlen, zu lieben, zu träumen, zu leben!“
Und Conacmi, in seinen viel zu engen, viel zu vollen Zimmern, hat auch Platz für Yesicas Mutter gehabt. Man hat auch ihr Raum gegeben zu verstehen, „vor lauter eigenen Problemen habe ich die meiner Tochter nicht gesehen“, sagt Lucía heute. „Ich weiß jetzt, dass sie keine Schuld hat.“ Viel zu lange habe sie nicht gewusst, „dass es einen Ort gibt, wo wir Hilfe finden“. Conacmi aber hat Mutter und Tochter stark gemacht: „Wir haben gelernt, Mut zu haben. Und dass wir etwas wert sind.“
Vater im Gefängnis
Dabei sind sie wirtschaftlich ärmer denn je. Lucía, Yesica, und die anderen Kinder wohnen, seit der Vater im Gefängnis sitzt, in einem der wackeligen Blechverschläge in den Schluchten der Großstadt, die hier wirklich Schluchten sind: von Vulkanausbrüchen und Erdbeben in die Landschaft gerissen. Jeder Tropenregen droht die fast unzugänglichen Viertel in den Abgrund zu reißen, immer wieder sterben Menschen im brodelnden Schlamm, und wo Yesica lebt, regieren Straßenbanden, obwohl es gar keine Straßen gibt.
Und trotzdem reden sie von Sicherheit. Und von Gott. „Meine Tochter ist ein ganz anderer Mensch geworden“, sagt die Mutter. „Sie ist selbstständig, zielstrebig, sie ist das Größte, was ich habe.“ Bei Conacmi haben sie ihr beigebracht, das zu empfinden, es auch zu sagen. Und deshalb kann Yesica heute über die Liebe der Eltern reden. Sie meint ihre Mama.