Wiesbaden. Eine Serie von Schüssen auf Autotransporter sorgt unter Lkw-Fahrern für Angst und stellt das Bundeskriminalamt (BKA) vor Rätsel. 700-mal ist auf Neuwagen geschossen worden. Das BKA setzt nun eine neue Expertengruppe auf die mysteriöse Serie an und lobt 100.000 Euro Belohnung aus.

Von „anhaltender Gefährdung des Straßenverkehrs“ redet Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamtes. Von „einem Wahnsinnigen“, der da unterwegs sei, spricht Ingo Hodea vom Deutschen Speditions- und Logistikverband.

Denn unter Deutschlands Lkw-Fahrern geht die Angst um. Vor allem unter denen am Lenker von Autotransportern. Seit Mitte 2008 beschießt ein Unbekannter die Transporte von Neufahrzeugen. 700-mal hat er abgedrückt. 544 Treffer gab es in neuen Autos. 175-mal wurden andere Fahrzeuge getroffen. Ein Haus wurde getroffen, hinter einer Lärmschutzwand. Wohl ein Zufall. Der letzte Einschlag erfolgte im November. Bei den Beschüssen handelt es sich um „ein neues, bundesweites und überregionales Kriminalitätsphänomen“, sagt Ziercke. Er betont: „Wir müssen diese Tatserie stoppen, bevor Schlimmeres passiert“.

Die Angst ist berechtigt. Eine unbeteiligte Pkw-Fahrerin wurde bei Würzburg durch einen Querschläger am Hals verletzt, verursachte einen Unfall und konnte nur durch eine Not-OP gerettet werden. Ein Lkw-Fahrer bei Stuttgart wurde getroffen ebenfalls in einen Unfall verwickelt. In drei Fällen wurden die Seitenscheiben der Lkw-Cockpits durchschossen. Einmal verfehlte das Projektil den Kopf des Fahrers nur knapp. Auch addiert sich inzwischen ein Millionenschaden.

20-köpfige Sonderkommission ermittelte - bislang ohne Erfolg

Aber selbst die intensivste Fahndungsarbeit mit einer 20-köpfigen Sonderkommission – auch getarnte Polizei-Lkw sollen unterwegs gewesen sein – hat noch nicht zum Erfolg geführt. Da ist keine heiße Spur. Nachdem der Schütze in den letzten Monaten statt des eher kleinen Kalibers 22 eine Neun-Millimeter-Waffe einsetzt, geht das BKA jetzt in die Großoffensive.

Eine eigene Expertentruppe, die „Besondere Aufbauorganisation (BAO) Transporter“ ist seit kurzem eingerichtet. Kriminalisten aus den fünf Bundesländern NRW, Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz arbeiten darin zusammen mit den Staatsanwaltschaften Koblenz und Würzburg. In den Raststätten hängen neue Fahndungsaufrufe. 100.000 Euro sind ausgesetzt für den Tipp, der zur Ergreifung des Täters führt.

Keine Präferenz für bestimmte Automarken oder Speditionen

Oder der Täter? Das Bundeskriminalamt: „Das können wir in diesem Zeitpunkt nicht sagen“. Vieles liegt im Dunkeln bei diesem ungewöhnlichen Krimi mit den verstreuten Tatorten. Die Urheber der Schüsse haben keine Präferenz für bestimmte Neuwagenmarken, auch nicht für ausgesuchte Speditionen. Aber Anhaltspunkte haben die Fahnder schon. Die Taten haben Struktur.

Geschossen wird auf westdeutschen Strecken: Zwischen Aachen und Köln auf der A 4. Zwischen Köln und Nürnberg auf der A 3. Zwischen Karlsruhe und Kirchheim (A5), Walldorf und Nürnberg (A6) und Kerpen bei Köln und Walldorf auf der A 61. Anfangs wurden Vorfälle aus dem Westhofener Kreuz gemeldet.

Schütze zielt aus einer erhöhten Position

Eine zweite Spur haben die Ermittler. Der Schütze zielt aus einer erhöhten Position, das haben die ballistischen Berechnungen ergeben. „Die Schussabgabe erfolgt in der Regel aus einem fahrenden Fahrzeug, sowohl in als auch entgegen der Fahrtrichtung“. Das BKA schlussfolgert: „Bei dem Täter könnte es sich um einen Lkw-Fahrer handeln, der regelmäßig auf den erwähnten Strecken unterwegs ist“ – die Geografie deute darauf hin, dass sein Fahrtgebiet auch in Belgien liegen könne. Experten wissen: Der Im- und Export neuer Autos erfolgt oft über den Hafen von Zeebrugge.

Einschüsse in Neufahrzeugen fallen in der Regel erst beim Entladen auf. „Ich habe ein Loch im Auto“, meldete sich zum Beispiel der Fahrer der Essener Spedition Helf beim Chef Alfred Walde mit einem Schaden an einem nagelneuen Sprinter. Der Anruf kam aus Südfrankreich, der Einschuss wird wohl schon Stunden vorher erfolgt sein.

Vier konkrete Fahndungen

Jetzt, Jahre nach diesen ersten Fällen, lassen sich die Tatzeiten eher präzisieren. Vier konkrete Fahndungen gibt das Bundeskriminalamt deshalb heraus – alles Vorfälle aus diesem Jahr.

  • Am 12. und 13. Juni wurden am Rastplatz „Binsenplatz“ an der A 6 sowie auch auf der A 61 und der A 4 Fahrzeuge beschossen.
  • Am 4. September sind zwischen 3.30 Uhr und 6.00 Uhr früh morgens Einschüsse zwischen Heilbronn und Mannheim gemeldet.
  • Bei Aschaffenburg knallte es am 27. September in Fahrtrichtung Würzburg.
  • Der letzte Vorgang ist aus NRW gemeldet. Am 16. Oktober zwischen 5.25 Uhr und 7.15 Uhr schlugen Kugeln auf der A 61 zwischen Erftstadt Bliesheim und dem Koblenzer Kreuz ein. Ziel: zwei Transporter.

BKA sucht Zeugen

Man sucht auch mögliche Zeugen, die Fahrer von Autotransportern und anderen Lkw, die zu den Tatzeiten überholt haben. Fahrzeuge der Speditionen „Schneider“ und „Willi Betz“, der Bahn-Tochter „Schenker“ und der französischen „Intermarchee“ sind darunter.

„Dringend“ will das BKA beispielsweise den Trucker eines Sattelzuges mit orangefarbenen dreiachsigem Auflieger sprechen, der bei dem Vorgang Erftstadt überholt hat. Telefon: 0611/55 16161.

BKA-Chef Ziercke hat noch eine weitere Bitte. Sie richtet sich an den Täter. Sie heißt: Aufhören!