Aurich. Vor dem Landgericht Aurich hat am Montag der Prozess um den Mord an der elfjährigen Lena aus Emden begonnen. Ein 18-Jähriger ist angeklagt, das Mädchen im März in einem Parkhaus in der niedersächsischen Stadt vergewaltigt und getötet zu haben. Laut Angeklageschrift ist die Elfjährige erwürgt worden.

Blass und verunsichert wirkt der Angeklagte. Trotz seiner stattlichen Körpergröße und seiner wuchtigen Statur ist sein Gesicht fast jungenhaft, den Blickkontakt meidet der 18-Jährige. Unscheinbar, unauffällig, fast ein wenig schüchtern erscheint er, als er an Montagmorgen im Landgericht ostfriesischen Aurich vor den Richtern sitzt. Doch die Taten, die dem Jugendlichen zur Last gelegt werden, sind äußerst brutal.

Wegen der Vergewaltigung und Ermordung der elfjährigen Lena in einem Emder Parkhaus muss sich der junge Mann verantworten - einem Verbrechen, das im März dieses Jahres ganz Deutschland schockierte. Mit einem Freund war das Mädchen zum Entenfüttern in die Wallanlagen, einem Park, aufgebrochen und dann verschwunden. Wenig später wurde die Schülerin tot in dem Parkhaus gefunden.

Wie genau die Tat ablief, haben die Ermittler bis heute nicht im Detail öffentlich erläutert. Auch zum Prozessauftakt gibt es nur spärliche Informationen, die Öffentlichkeit wird aus Gründen des Opfer-, Hinterbliebenen- sowie auch Täterschutzes ausgeschlossen.

Lena sei erwürgt geworden, berichtet Gerichtssprecher Jürgen Rohlfs aus der in weiten Teilen hinter verschlossenen Türen vorgetragenen Anklageschrift lediglich. Davon sei die Staatsanwaltschaft überzeugt. Weitere ins Detail geht auch er nicht. Nur so viel: "Todesursache war das Erwürgen." Direkt nach der Tat wurde auch über Stichwunden spekuliert, die Polizei suchte nach einer Waffe.

Prozessauftakt im Mordfall Lena.
Prozessauftakt im Mordfall Lena.

Wie brutal der Angeklagte vorgegangen sein soll, zeigt sich bei der zweiten angeklagten Tat, der versuchten Vergewaltigung einer Emder Joggerin im November. Bei der Verlesung der Anklage zu diesem Verbrechen dürfen Zuschauer dabei sein und können hören, wie Staatsanwältin Anette Hüfner zusammenfasst: Er habe die Frau attackiert und ihr die Luft abgedrückt, "um ihren Widerstand zu brechen". Er habe sie mit dem Tod. Als sie geflohen sei, sei der 18-Jährige ihr nachgelaufen und habe ihr in den Rücken getreten. Aber das Opfer konnte demnach erneut fliehen.

Ist der Angeklagte noch Heranwachsender?

Die Ermordung Lenas hat der Angeklagte nach Angaben der Staatsanwaltschaft gestanden, weitere Einzelheiten aber nicht. Einer der Hauptfragen des vorerst bis November angesetzten Prozesses wird darüber hinaus auch sein, ob der junge Angeklagte als Heranwachsender zu gelten hat oder nicht. Käme das Gericht zu dieser Einschätzung, dann läge die Höchststrafe im Falle einer Verurteilung bei zehn Jahre Haft. Ausschlaggebend ist sein Entwicklungsstand.

Wie der erste Verhandlungstag am Montag läuft, dringt nicht nach außen. Alle Prozessbeteiligten schweigen. "Ich bitte dafür um Verständnis", sagt Bernhard Weiner, Prozessvertreter von Lenas Mutter, die als Nebenklägerin auftritt. Das sei so abgesprochen. Der Vorsitzende Richter Werner Brederlow sagt, der Ausschluss der Öffentlichkeit diene dazu, die Hinterbliebenen, aber auch den Täter davor zu schützen, dass persönliche Details in den Medien ausgebreitet würden.

Die Befürchtung ist nicht unbegründet. Zu groß waren die Emotionen, die der Mord an Lena vor rund fünf Monaten schürte. Kurz nach der Tat war zunächst ein 17-Jähriger festgenommen worden, der sich später als unschuldig erwies. Im Internet aber kursierten wüste Beschimpfungen, Menschen versammelten sich vor dem Polizeirevier und riefen zum Lynchmord auf.

Der Vorsitzende Richter Brederlow macht am Montag klar, dass er derartige Zuspitzungen in seinem Gerichtssaal nicht wünscht. Alle Beteiligten sollten sich einen Moment den "traurigen Grund" für den Prozess bewusst machen, sagt Brederlow zu Prozessbeginn mahnend. Es gehe um dem gewaltsamen Tod eines jungen Mädchens. Dann bittet er sämtliche Anwesende zu einem "Augenblick des Innehaltens" in Form einer Schweigeminute. (afp)

Die Chronik der Ereignisse 

Am Montag begann vor dem Landgericht Aurich der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder der elfjährigen Lena aus Emden. Das Mädchen wurde im März in einem Parkhaus tot aufgefunden. Sie fiel einem Sexualverbrechen zum Opfer. dapd dokumentiert die Ereignisse:

24. März: Am Abend wird in einem Parkhaus im ostfriesischen Emden die Leiche eines elfjährigen Mädchens gefunden. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus.

25. März: Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigen, dass das Mädchen getötet wurde. Die Auffindesituation und das Obduktionsergebnis wiesen eindeutig auf ein Gewaltverbrechen hin, heißt es.

26. März: Die Ermittler bestätigen, dass Lena Opfer einer Sexualstraftat wurde. Sie beginnen mit der Fahndung nach einem dunkel gekleideten jungen Mann. In Emden gedenken die Menschen der getöteten Lena mit einer Schweigeminute.

27. März: Die Polizei veröffentlicht Ausschnitte von Videoaufnahmen aus dem Parkhaus. Am Abend nehmen die Ermittler einen 17-jährigen Tatverdächtigen fest. Nach einem Lynchaufruf im Internet versammeln sich rund 50 Menschen vor dem Emder Polizeirevier.

28. März: Der Tatverdächtige sagt aus, legt aber kein Geständnis ab. Am Abend wird Haftbefehl gegen den 17-Jährigen erlassen.

29. März: Die Polizei teilt mit, dass der Verdächtige kein Alibi zur Tatzeit hat und veröffentlicht erneut eine Videoaufnahme.

30. März: Der bis zu diesem Zeitpunkt tatverdächtige 17-Jährige wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Neuen Ermittlungsergebnissen zufolge könne er nicht der Täter sein, heißt es. Lena wird auf einem städtischen Friedhof in Emden beigesetzt.

31. März: Die Polizei nimmt einen 18-Jährigen fest. Nach weiteren Hinweisen aus der Bevölkerung habe sich der Verdacht gegen den jungen Mann konkretisiert, heißt es vonseiten der Ermittler.

1. April: Der 18-Jährige gesteht die Tat. Der Richter erlässt Haftbefehl gegen den Mann wegen dringenden Mordverdachts zur Verdeckung eines Sexualdeliktes. Am Tatort gesicherte DNA-Spuren untermauern den Verdacht.

3. April: Die Polizei räumt schwere Fehler im Vorfeld der Tat ein. Der mutmaßliche Täter hatte sich im Herbst vergangenen Jahres wegen seiner pädophilen Neigung selbst angezeigt, die Beamten ermittelten jedoch nicht konsequent genug gegen ihn. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kündigt eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe an.

4. April: Gegen mehrere Polizeisachbearbeiter sowie zwei Vorgesetzte werden Disziplinarverfahren wegen Ermittlungspannen im Zusammenhang mit dem 18-jährigen Tatverdächtigen eingeleitet. Taucher beginnen in Emden mit der Suche nach der Tatwaffe.

12. April: In Emden versammeln sich Schüler, Lehrkräfte und Eltern an der Emsschule zu einer Gedenkveranstaltung. Gegen vier weitere Beamte werden Disziplinarverfahren eingeleitet.

10. Mai: Die Staatsanwaltschaft Aurich erhebt Anklage gegen einen 18-Jährigen aus Emden. Der Mann soll am 27. März im Internet zum Lynchmord gegen den damals unter Verdacht stehenden 17-Jährigen aufgerufen haben.

30. Mai: Der 18-Jährige, der im Internet zum Lynchmord aufgerufen hatte, wird zu zwei Wochen in Dauerarrest verurteilt und erhält zudem eine Verwarnung nach Jugendstrafrecht.

27. Juli: Die Staatsanwaltschaft Aurich erhebt Anklage gegen den 18-jährigen Tatverdächtigen.

20. August: Prozessauftakt gegen den mutmaßlichen Mörder vor dem Landgericht Aurich. (dapd)