Emden. Falscher Verdächtiger, nicht vollstreckter Durchsuchungsbeschluss: Die Ermittlungspannen im Mordfall Lena aus Emden sind noch weitreichender als bislang angenommen. Am Mittwoch wurden wegen des Anfangsverdachts der Strafvereitelung im Amt Strafverfahren gegen zwei Polizisten eingeleitet.

Wegen der Ermittlungspannen im Zusammenhang mit dem Mord an der elfjährigen Lena aus Emden ist gegen zwei Polizisten ein Strafverfahren eingeleitet worden. Es bestehe ein Anfangsverdacht wegen Strafvereitelung im Amt, teilte der Auricher Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck am Mittwoch mit.

Zudem wurde gegen mehrere Beamte nach zunächst internen Ermittlungen am Mittwoch offiziell ein Disziplinarverfahren eingeleitet. "Wir werden die Verzögerungen bei den Ermittlungsarbeiten akribisch unter die Lupe nehmen", sagte die Polizeipräsidentin Heike Fischer. Aus Sicht der Polizeidirektion Osnabrück gebe es "deutliche Hinweise auf eine Pflichtverletzung". Fischer wies darauf hin, dass für die Polizisten jedoch die Unschuldsvermutung gelte.

Mord hätte womöglich verhindert werden können

Der Mord an hätte vermutlich verhindert werden können. Wie am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) bekannt wurde, gab es weit mehr Ermittlungspannen als bislang bekannt.

Im November 2011 hatte sich der tatverdächtige 18-Jährige bei der Polizei selbst angezeigt, weil er ein Jahr zuvor eine Siebenjährige in seinem Elternhaus entkleidet und nackt fotografiert hatte. Die Polizei legte diesen schwerwiegenden Vorfall aber nur zu einer weiteren Anzeige wegen Besitzes von kinderpornografischem Material. Bereits im September 2011 hatte der Stiefvater des Jungen Anzeige erstattet, weil dieser kinderpornografisches Material auf seinen Computer geladen hatte.

Freundin der kleinen Schwester nackt fotografiert

Beide Verfahren gegen den Tatverdächtigen wurden unter dem Begriff "Kinderpornografie" zusammengeführt. Dies sei ein Fehler gewesen, sagte Landespolizeidirektor Volker Kluwe. "Das hätte richtigerweise unter sexuellem Missbrauch geführt werden müssen", betonte er. Dann hätten von dem Verdächtigen Fingerabdrücke und Speichelproben genommen werden müssen. Bei einem Abgleich dieser Spuren nach dem Mord an Lena vor knapp zwei Wochen wäre zudem der 18-Jährige schneller ins Visier der Ermittler geraten, wenn der Fall im Polizeiarchiv richtig geführt worden wäre.

Bei dem siebenjährigen Mädchen, das der 18-Jährige nackt fotografierte, handelte es sich um eine Freundin seiner kleinen Schwester. Die Tat passierte in dem Elternhaus des damals noch nicht Volljährigen. Seine Mutter erwischte den jungen Mann. Eine Anzeige bei der Polizei erstattete sie aber nicht. Allerdings schaltete die Mutter am nächsten Tag das Jugendamt ein. Auch dieses ging aber nicht zur Polizei. Nach Angaben von Kluwe gibt es dazu aber auch keine grundsätzliche Verpflichtung.

Tatverdächtiger war in psychiatrischer Behandlung 

Zur Selbstanzeige wegen des Vorfalls kam der 18-Jährige im vergangenen November mit einem Betreuer zur Polizei, da er sich zuvor in psychiatrischer Behandlung befunden hatte. Zwei Monate lang war er stationär in einer Jugendpsychiatrie in Aschendorf untergebracht gewesen.

Der Tatverdächtige im Fall Lena wird abgeführt. Foto: dapd
Der Tatverdächtige im Fall Lena wird abgeführt. Foto: dapd

Weitere Fragen ergeben sich auch wegen des nicht umgesetzten Durchsuchungsbeschlusses zu dem Vorwurf der Kinderpornografie. Mit der Durchsuchung hätte möglicherweise eine versuchte Vergewaltigung einer 27-jährigen Joggerin, die der Tatverdächtige einen Tag nach seiner Selbstanzeige begangen hat, schon damals nachgewiesen werden können und der mutmaßliche Mörder Lenas wäre schon damals in Haft gekommen. "Wenn eine versuchte Vergewaltigung begangen wird, ist mit einer Inhaftierung in der Regel zu rechnen", sagte Schünemann am Mittwoch. Allerdings betonte Kluwe, dass mit dem damaligen Durchsuchungsbeschluss zur Kinderpornografie nur Computer und Datenträger inspiziert hätten werden können.

Schünemann machte vor allem den Polizisten schwere Vorwürfe. Es sei nicht nachvollziehbar, warum nicht unmittelbar gehandelt worden sei, sagte er. Er sprach von einem "individuellen Versagen". Ein strukturelles Problem bei der Polizei in Niedersachsen sehe er nicht, betonte er. "Es gibt klare gesetzliche Vorgaben, wie mit so einem Fall umgegangen wird", sagte Schünemann, der deshalb auch einen Rücktritt ausschloss.

Die Ermittlungsverfahren gegen mehrere Sachbearbeiter der Polizei Aurich sowie zwei Vorgesetzte sind bereits eingeleitet. Darüber hinaus könnte gegen sie auch strafrechtlich ermittelt werden. Eine Prüfung bei der Staatsanwaltschaft Aurich sei beantragt worden, sagte Kluwe. Möglich sei etwa der Vorwurf der Strafvereitelung. Allerdings müsse hierfür ein Vorsatz gegeben sein.

Suche nach der Tatwaffe

Unterdessen suchten Taucher am Mittwoch in Emden nach der Tatwaffe, mit der Lena umgebracht wurde. Die Elfjährige war am Samstag vergangener Woche getötet worden. Sie fiel den Ermittlern zufolge einem Sexualverbrechen zum Opfer. Der 18-Jährige sitzt seit Sonntag wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Er hat die Tötung des Kindes in einem Polizeiverhör gestanden, zudem kann er laut Polizei durch DNA-Spuren sowie Gegenstände vom Tatort mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht werden. (dapd/afp)