Emden. Weil ein junger Mann via Facebook zur Lynchjustiz bei einem irrtümlich Verdächtigten im Mordfall Lena in Emden aufgerufen hatte, muss er nun für zwei Wochen in eine Zelle. Der 18-Jährige hatte sich für den Aufruf entschuldigt, wurde aber vor dem Richter zuletzt patzig.

Zwei Wochen Dauerarrest nach einem Lynchaufruf im Mordfall Lena: Dieses Urteil hatte der Angeklagte offenbar nicht erwartet. Zeigte sich der 18-Jährige vor dem Amtsgericht Emden am Mittwoch zunächst reumütig und einsichtig, schlug die Stimmung nach dem Schuldspruch um. Während Richter Günther Bergholz das Urteil begründete, begann er nervös auf seinem Stuhl zu wippen und mit den Fingern auf den Tisch zu klopfen. "Nehmen Sie das Urteil an?", fragte der Richter. "Muss ich ja wohl", antwortete der Emder patzig.

Der Dialog ging weiter: "Sie müssen das Urteil nicht annehmen", entgegnete der Richter. "Ich werde heute bestimmt noch keine Entscheidung treffen", sagte der Angeklagte gereizt. Einen Verteidiger konnte der junge Mann im Gerichtssaal nicht zur Rate ziehen, denn er war erst gar nicht mit einem juristischen Beistand vor dem Jugendschöffengericht erschienen.

Aufgebrachte Menge versammelte sich vor Polizei-Präsidium

Der 18-Jährige hatte nach Ansicht des Gerichts zu einer Gewalttat aufgerufen. Ende März, wenige Tage nach dem Mord an der elfjährigen Lena, war ein 17-Jähriger als Tatverdächtiger festgenommen worden und wurde im Emder Polizeirevier verhört. Der Angeklagte nahm dies zum Anlass, um über sein Profil im sozialen Netzwerk Facebook zur Erstürmung der Polizeidienststelle und zum Lynchen des Verdächtigen aufzurufen. Anlass war nach eigenen Angaben Geltungsbedürfnis und die aufgewühlte Stimmung in der Stadt.

"Aufstand. Alle zu den Bullen. Da stürmen wir. Lasst uns das Schwein tot hauen", schrieb er sichtbar für seine 923 Facebook-Freunde. 33 reagierten auf den Eintrag und klickten den "Gefällt mir"-Button. Am selben Abend versammelte sich eine aufgebrachte Menge von etwa 50 Personen vor der Polizei und verlangte die Herausgabe des Verdächtigen. Dabei fielen Äußerungen wie "Bringt das Schwein raus". Zu Übergriffen kam es nicht.

Angeklagter entschuldigte sich mit Geschenkgutschein

Zur Prozesseröffnung am Mittwochmorgen schien es so, als könne der Tag für den Auszubildenden zum Konstruktionsmechaniker mit einem milden Urteil enden. Nachdem fast 20 Foto- und Fernsehjournalisten mit ihren Kameras den Saal verlassen hatten, nahm der 18-Jährige die Kapuze seines dunkelblauen Pullovers ab und sagte, dass ihm das alles "sehr Leid" tue.

Der Richter erwähnte lobend, dass der Angeklagte nach der Tat den Kontakt zu dem zu Unrecht Beschuldigten aufgenommen hatte und sich bei ihm mit einem Geschenkgutschein und einer Einladung zum Essen entschuldigte. Zudem sei er bislang nicht polizeilich und strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ein Polizist lobte den 18-Jährigen, weil er schon in der ersten Vernehmung nichts beschönigt habe. "Das hat man selten", sagte er.

Staatsanwalt nennt Tat "furchterregend"

"Er ist auf einem guten Weg", attestierte auch Annemarie Südhoff von der Jugendgerichtshilfe Emden. Er habe "keine schädliche Neigung" und arbeite mehr, als er müsse. Aus pädagogischer Sicht seien keine weiteren Schritte einzuleiten, ergänzte sie.

Staatsanwaltschaft und Gericht sahen das anders. Mit dem Plädoyer von Oberstaatsanwalt Klaus Visser kippte die Stimmungslage des Angeklagten. Der Eintrag bei Facebook sei "furchterregend" gewesen und müsse Folgen haben, forderte Visser. Schließlich sei zu einem Tötungsdelikt aufgerufen worden. Er plädierte auf eine Verwarnung und einen Dauerarrest von zwei Wochen.

Richter Bergholz entsprach dem geforderten Strafmaß in seinem Urteil. Ein öffentlicher Aufruf zu einer Straftat sei nicht hinnehmbar. Sein Urteil wolle er auch als "Warnschuss vor den Bug" und "Warnfunktion für andere" verstanden wissen. In einer Jugendarrestanstalt werde der 18-Jährige "spüren, wie es ist, wenn man hinter verschlossenen Türen sitzt". Die Frage, ob er sich nun doch einen Anwalt nehme, wollte der Verurteilte nicht beantworten. (dapd)