Giglio. . Die Arbeiten am havarierten Kreuzfahrtschiff Costa Concordia haben begonnen. Doch die Bergung verschiebt sich immer weiter. Die italienische Insel Giglio fürchte um ihre Feriengäste. Das Wrack aber zieht viele zusätzliche Tagestouristen an.

Dass diese hellbraunen Granitklippen zum Liegen sonderlich bequem wären, hat noch niemand behauptet. Die Leute schreckt’s nicht. Viele kommen hierher. Sie breiten ihre Badetücher aus, wo immer der Fels es zulässt, sonnen sich, springen ins glasklare Wasser, schnorcheln bunten Fischen hinterher. Fröhliche Szenen sind das vor der Insel Giglio – wie es idyllischer nicht geht.

Im Bogen der Klippen ist zum ruhigen Plantschen sogar ein richtiger Pool entstanden. Große Wellen kommen hier nicht rein. Dafür sorgen die gelb-roten Ölsperren, die sich kilometerweit durchs Wasser ziehen. Eine Vorsichtsmaßnahme. Denn draußen, keine hundert Meter vor der Badebucht, liegt in immer noch blendendem Traumschiff-Weiß das Wrack des Jahres: die Costa Concordia.

Aber wie klein sie geworden ist! Sieben Monate lang, seit der Havarie am 13. Januar, hat der Kreuzfahrtriese mit seinen 290 Metern Länge und seiner Hochhaushöhe das Bild der winzigen Insel beherrscht. Diese Woche nun ist eine bullige Arbeitsplattform vor der Costa Concordia aufgefahren, selber mehr als hundert Meter lang. Turmhohe Kräne überragen das Wrack und rahmen es auch von der Landseite her ein. Derart in die Zange genommen sieht das Schiff plötzlich aus wie Spielzeug. Bei genauem Hinsehen zeigen sich gar erste Rostspuren. Es ist Zeit geworden. Die Arbeiten zur Bergung haben definitiv begonnen.

„Gut geht’s voran“, sagt Ingenieur Alessandro Vettori, der im tief aufgeknöpften weißen Hemd vor der Bar „Fausto“ an der Hafenpromenade sitzt. Es gebe keine Verspätung. Nur hätten – zum Besten von allen – die technischen, die geologischen und die Umwelt-Sondierungen eine „ingenieurtechnische Verfeinerung“ der Pläne nach sich gezogen. Und, so fügt Vettori hinzu, bis alle Materialien, alle Spezialisten, alle Sub-Unternehmer beieinander gewesen seien für diese größte Bergung der Weltschifffahrtsgeschichte...

Endgültiger Aktionsplan vorgelegt

Diesen Montag bekamen die Bürger von Giglio den „endgültigen Aktionsplan“ vorgelegt. Nun wissen sie, dass es mit dem erhofften Abschleppen der Costa Concordia zum ersten Jahrestag der Havarie nichts wird. „Ende Frühjahr 2013“ lautet der neue, „definitive“ Termin, und selbst wenn das Schiff dann die Insel verlassen hat, soll es noch einmal vier Monate dauern, bis der Meeresboden aufgeräumt und wieder mit Seegras begrünt ist.

Und deshalb sieht die Insel Giglio auch noch ihre zweite Touristensaison gefährdet. Aber was heißt gefährdet? „So viele Tagestouristen wie dieses Jahr hatten wir noch nie“, sagt eine alte Verkäuferin von Badetextilien am Hafen. „So richtig trauen sie es sich zwar nicht zu sagen, aber alle kommen, um die Costa Concordia zu sehen.“

Die Ausflüge vom Festland auf die 15 Kilometer vorgelagerte Insel seien „ein richtiges Business“ geworden, sagt die Wienerin Gertraud Lang-Schildberger, die seit Jahrzehnten an der Hafenpromenade Häuser vermittelt. „Früher war Giglio sehr elegant, sehr ruhig, eine Sache für Einzeltouristen, für Dauermieter, die vier Wochen blieben. Heute kommen die Leute gruppenweise, für einen halben Tag, nur wegen der Costa Concordia.“

Keine Angst vor Umweltverschmutzung

Anfangs hatten die „Gigliesi“ befürchtet, der Blick auf eine Schiffsruine – diese tägliche Erinnerung an eine Katastrophe mit 32 Toten und mit Todesangst für mehr als 4200 Reisende – könnte Gäste abschrecken. Heute erzählt Lang-Schildberger, Stammkunden äußerten keinerlei Besorgnis hinsichtlich des Wracks und schon gar keine Angst vor einer Umweltverschmutzung, sondern darüber, dass die Insel überlaufen sein könnte. Zwei- bis dreitausend Besucher kommen Tag für Tag auf die Insel, bekleidet nur mit dem, was ein Badegast so braucht. Hoteliers und Geschäftsleute, sagt Samantha Brizzi, Tourismuschefin der Insel, profitierten nicht davon: „Die Leute bringen ihr Picknick teils kofferweise mit, kaufen hier höchstens eine Pizza und kaum Souvenirs.“ Dafür belagern sie die Strände so dicht wie nie.

Seit Anfang Juli zieht die Inselgemeinde ein Eintrittsgeld von einem Euro bei jedem Tagesgast ein, auch – wie Bürgermeister Sergio Ortelli ausdrücklich sagte – um Wracktouristen „abzuschrecken“. Diesen Effekt hat die Gebühr wohl verfehlt.