Berlin. Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland läuft an den Armen vorbei. Gut 14 Prozent sind armutsgefährdet, heißt es im Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Im Ruhrgebiet sind es mehr als 20 Prozent.
Die Armen bleiben beim wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland außen vor. Seit Jahren ist der Anteil der armutsgefährdeten Menschen unverändert, wie der Armutsbericht 2011 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zeigt. Die Quote von gut 14 Prozent habe sich unabhängig vom Wirtschaftswachstum "festgefressen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Ulrich Schneider, am Mittwoch in Berlin. Er gab der Bundesregierung eine Mitschuld an den Verhältnissen.
Besonders schlimm steht es nach Schneiders Darstellung um das Ruhrgebiet. Der Ballungsraum sei in Sachen Armut das "Problemgebiet Nummer Eins". In Städten wie Dortmund und Duisburg sei die Armutsquote in den zurückliegenden Jahren immer weiter gestiegen auf deutlich mehr als 20 Prozent. Schneider warnte vor möglichen sozialen Unruhen, falls der "Perspektivlosigkeit" der Menschen nicht entgegengewirkt werde.
Positive Entwicklung in Brandenburg und Thüringen
2010 waren 14,5 Prozent der Bürger armutsgefährdet. Sie lebten also in Haushalten, die weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommen zur Verfügung hatten. Für einen Single-Haushalt lag die Grenze bei 826 Euro, für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 1.735 Euro nach Abzug von Steuern und Abgaben. Seit der ersten statistischen Erhebung des Verbandes für das Jahr 2005 lag die Quote der Betroffenen stets zwischen 14 und 14,7 Prozent, während das Wirtschaftswachstum stark schwankte.
Neben Nordrhein-Westfalen ist der Trend laut Bericht auch in Berlin negativ - die Armut nimmt zu. Dagegen erkennt der Wohlfahrtsverband in Hamburg, Brandenburg und Thüringen eine positive Entwicklung. Fast unverändert ist die Lage in den Ländern mit den höchsten Armutsquoten: Mecklenburg-Vorpommern (22,4 Prozent), Bremen (21,1) und Sachsen-Anhalt (19,8). Deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegen die Quoten in Bayern (10,8), Baden-Württemberg (11) und Hessen (12,1).
Langzeitarbeitslose müssen besser betreut werden
Schneider attackierte bei der Vorstellung der Zahlen die Bundesregierung. Die Daten belegten, dass "Aufschwünge seit Jahren nicht bei den Menschen ankommen". Armut sei "immer auch politisch beeinflusst", erklärte Schneider. Er kritisierte insbesondere die "familienpolitische Umverteilung von unten nach oben" und eine Verschlechterung der Perspektive für Langzeitarbeitslose. Jedes Jahr seien zusätzlich 20 Milliarden Euro notwendig, um die Armut wirksam zu bekämpfen, sagte er. Um den Betrag "kommen wir nicht herum".
Unter anderem müssten die Hartz-IV-Regelsätze an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst und Langzeitarbeitslose besser betreut werden. Zur Finanzierung müssten die "sehr Vermögenden" herangezogen werden - "ansonsten wird es keine wirksame Armutsbekämpfung geben", sagte Schneider. Auch der Präsident des Bundesverbands der Volkssolidarität, Gunnar Winkler, erklärte, hohe Einkommen, Vermögen und große Erbschaften müssten stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls herangezogen werden.
Schwarz-gelbe "Un-Sozialpolitik"
Die Linksfraktion im Bundestag interpretierte die Armutsdaten als Beleg für eine schwarz-gelbe "Un-Sozialpolitik". Als Beispiele für Fehler der Regierung nannte die Abgeordnete Diana Golze den "Verzicht auf einen anständigen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn", unzureichende Regelsätze bei Hartz IV und den "Kahlschlag bei der Arbeitsförderung". (dapd)