Essen. . Das DIW korrigiert seine Kinderarmuts-Quoten nach einer Panne in der Statistik deutlich nach unten. Politiker sehen nun die Glaubwürdigkeit der Erhebung beschädigt. Derzeit leben 1,7 Millionen Unter-15-Jährige in Hartz-IV-Haushalten.

Politiker argumentieren gern mit Zahlen. Mit harten Zahlen. Die wichtigsten Zahlen, auf die sich Sozialpolitiker aller Parteien seit fast 30 Jahren berufen, stehen im Sozioökonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das musste sich nun derart drastisch korrigieren, dass grundsätzliche Zweifel an dieser zentralen Statistik entstehen. Sie hat immerhin die sozialpolitischen Debatten der vergangenen Jahre maßgeblich beeinflusst, so bei der Kindergeld-Erhöhung und bei Hartz IV.

Was ist passiert? Die OECD hatte in ihrer jüngsten Familienstudie Deutschland für 2009 eine niedrige Kinderarmutsquote von 8,3 Prozent bescheinigt. Das sei im internationalen Vergleich sehr gering und das Ergebnis umfangreicher Familienförderung in Deutschland. Der Schönheitsfehler: Noch vor zwei Jahren klagte die OECD kurz vor der Bundestagswahl über eine dramatische Kinderarmutsquote von 16,3 Prozent. Damals bezog sie sich auf das Jahr 2004. Diese Zahl wurde vom DIW, das der OECD die Zahlen liefert, später auf zehn Prozent korrigiert.

Derzeit leben 1,7 Millionen Unter-15-Jährige in Hartz-IV-Haushalten.

Wie SOEP-Experte Markus Grabka gestern einräumte, hat das Verfahren des DIW zu falschen Kinderarmutsquoten geführt. Das DIW ruft seit 1984 jedes Jahr 11 000 Haushalte an und bittet sie um detaillierte Angaben zu ihren Einkünften und Lebensverhältnissen. Allerdings antworten immer weniger. Offenbar sind Arbeitslose und Geringverdiener besser erreichbar als Gutverdiener. Grabka betont aber, das Problem schon vor drei Jahren erkannt zu haben. Die OECD sei mehrfach gewarnt worden, die Zahlen würden revidiert.

„Schlamperei“ nennt das der Remagener Statistik-Professor Gerd Bosbach. „Stichproben ohne Auskunftspflicht sind immer ungenau, weil manche Gruppen sich mehr beteiligen als andere. Das weiß man und muss die Statistik entsprechend begradigen.“ Doch bezweifelt Bosbach auch die neue Quote: „Die Kinderarmut hat sich kaum verändert, das kann man an den konstanten Zahlen der Hartz-IV-Kinder ablesen.“ Derzeit leben 1,7 Millionen Unter-15-Jährige in Hartz-IV-Haushalten. Allein das sind 13 Prozent ihrer Altersgruppe. Auch DIW-Experte Grabka sagt: „Das Problem der Kinderarmut bleibt bestehen.“

„Prozentpunkte dürfen nicht der Gradmesser sein“

Die Sozialexpertinnen der großen Parteien kritisieren die Statistik-Panne einhellig, sehen darin aber keinen Grund, ihre Politik zu ändern. „Wir werden deshalb sicher nicht das Kindergeld wieder senken“, sagt Dorothee Bär (CSU), familienpolitische Sprecherin der Union. „Sozialpolitik muss sich um jedes einzelne Kind kümmern, Prozentpunkte dürfen nicht der Gradmesser sein“, meint Elke Ferner (SPD).

Doch ihr Vertrauen in die DIW-Umfragen ist dahin, beide Politikerinnen fordern eine Überarbeitung der Methoden, um „verlässliche Daten“ zu erhalten.