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Für Medikamente, die der Arzt nicht mehr verschreibt, fehlt Hartz-IV-Empfängern oft das Geld. Sie verzichten auf notwendige Arzneien, auch wenn sie sich schaden. In Dülmen springt die Tafel ein und ermöglicht ihren Kunden Medikamente zum halben Preis. Im Ruhrgebiet findet die Idee keine Nachahmer.

Seit Oktober 2009 bekommen Kunden der Dülmener Tafel nicht nur günstige Lebensmittel, sondern auch apothekenpflichtige Medikamente zum halben Preis. Jedenfalls dann, wenn ihnen der Arzt ein „grünes Rezept“ ausgestellt hat. Dieses müssen die Kunden in der Tafel abstempeln lassen, um anschließend in einer der Dülmener Apotheken das Rezept einzulösen. Der Vorteil: Die Tafelkunden bekommen 50 Prozent Rabatt, die andere Hälfte übernimmt als Sponsorin die Tafel-Schirmherrin Herzogin von Croy. Das gilt bislang für etwa 50 Medikamente, die die Tafel zusammen mit Apothekern und Ärzten ausgesucht hat – darunter Schleimlöser, Fieber- und Schmerzmittel sowie Präparate gegen Allergien und Kopfläuse.

„Für viele unserer Kunden ist das eine Wahnsinnserleichterung“, sagt die Dülmener Tafel-Chefin Yvonne Redmann. Die Krankenkassen erstatteten immer weniger Medikamente, worunter besonders chronisch kranke Menschen und Eltern von Kindern ab zwölf Jahren litten: Ihnen darf der Arzt Nasenspray und Hustensaft nicht mehr auf Kassenrezept verordnen. Viele Hartz-IV-Empfänger scheuten daher den Kauf solcher Arzneimittel, die in der Regel zwischen 10 und 30 Euro kosten. „So aber kann sich eine zunächst schwache Erkältung, wenn man sie aus Geldmangel nicht behandelt, leicht zu einer Lungenentzündung auswachsen“, sagt Redmann. „Was, nebenbei bemerkt, für die Krankenkassen am Ende teurer ist.“

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Von DerWesten

Bundesweit soll es vier Tafeln geben, die ihren Kunden Hilfe beim Medikamentenkauf anbieten. Genau kann man es nicht sagen, weil jede Tafel ein eigener Verein oder ein Projekt in Trägerschaft ist und niemandem über ihre Angebote Rechenschaft ablegen muss – auch nicht gegenüber dem Bundesverband Deutsche Tafel, der sich eher als Interessenvertretung versteht. In Nordrhein-Westfalen gibt es in Steinfurt allerdings noch eine zweite Tafel, die ihre Kunden in der Apotheke entlastet. Dort gehen die Patienten mit ihren grünen Rezepten in eine der vier Partnerapotheken, zeigen ihren Tafel-Ausweis und bekommen die Medikamente 30 Prozent günstiger. Der Unterschied zu Dülmen: In Steinfurt übernehmen die Apotheker die Kosten, „quasi als Beitrag zur Solidargemeinschaft“, sagt Tafel-Chef Josef Schräder.

Bei den großen Tafeln im Ruhrgebiet dagegen wird es für die Kunden in absehbarer Zeit keinen Rabatt auf Arzneien geben. In Essen, Dortmund und Duisburg winkt man ab. „Wir sind mit der Lebensmittelausgabe gut ausgelastet“, sagt beispielsweise der Chef der Dortmunder Tafel, Ansgar Wortmann. Grundsätzlich sei solch ein Angebot zwar denkbar, aber momentan reichten die personellen Kapazitäten nicht. Die Chefin der Dülmener Tafel widerspricht: „Das ist kein zusätzlicher Aufwand. Unsere Mitarbeiter stempeln die Rezepte ab, wenn die Kunden zur Lebensmittelausgabe kommen“, sagt Yvonne Redmann.

Etwa 3000 Kunden hat die Dortmunder Tafel momentan. Ansgar Wortmann geht davon aus, dass wöchentlich etwa 10.000 Menschen, vor allem Familienmitglieder, mit den Lebensmitteln aus der Tafel versorgt werden. „Mit dem Angebot, Rabatte auf Medikamente zu ermöglichen, gehen wir ein bisschen vom Tafel-Prinzip weg. Denn wir geben ja Lebensmittel aus, die sonst weggeworfen würden und am Rande des Haltbarkeitsdatums sind“, so Wortmann. „Bei Arzneimitteln ist das nicht möglich. Das ist normale Ware, die einwandfrei sein muss.“

Der Geschäftsführer der Duisburger Tafel, Günter Spikofski, geht sogar noch einen Schritt weiter. „Wir müssen gucken, wo unsere Grenzen sind. Wir können das Angebot der Tafeln nicht ständig erweitern und so auch Armut zementieren.“ In seiner Brust schlügen zwei Herzen: „Wenn Lebensmittel in Supermärkten vergammeln und Menschen nichts zu essen haben, ist das natürlich schlimm. Auf der anderen Seite ist es die Aufgabe des Sozialstaates, sich um seine Bürger zu kümmern, ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und Arbeitsplätze zu schaffen.“

In Dülmen und Steinfurt bekommen Tafel-Kunden Rabatt auf apothekenpflichtige Medikamente.
In Dülmen und Steinfurt bekommen Tafel-Kunden Rabatt auf apothekenpflichtige Medikamente.

Nicht nur in Duisburg arbeiteten die Argen oft langsam, und es komme immer wieder vor, dass am Freitagnachmittag ein Fallmanager bei der Tafel anrufe und diese um Hilfe bitte. „Dieser Kunde erhält dann seine Leistungen nicht zeitnah, und wir sollen deshalb für seine Verpflegung am Wochenende sorgen“, sagt Spikofski. Er warnt: „Wir dürfen uns nicht in Richtung Wohlfahrtsstaat entwickeln, der nur noch Leistungen bereit stellt – und das im schlimmsten Fall von der Sympathie gegenüber dem Bedürftigen abhängig macht.“

Allerdings beschränkt sich die Duisburger Tafel auch nicht allein auf die Lebensmittelausgabe. Vor einiger Zeit boten Mülheimer Augenärzte dort kostenlose Untersuchungen an, um frühzeitig den Grünen Star zu erkennen. Im Juni ist geplant, dass Zahnärzte Tafel-Kunden untersuchen und bei möglichem Zahnersatz – in Zusammenarbeit mit einem Dentallabor – auf den Eigenanteil verzichten.

Yvonne Redmann, Chefin der Dülmener Tafel, kennt die Argumente, dass zuviel Fürsorge der Tafeln die Eigeninitiative der Kunden und ihre Lust auf einen neuen Job hemme. „Alle, die das vom Schreibtisch aus sagen, sollen mal eine Woche hier bei der Tafel mitarbeiten“, sagt Redmann. „Wir sehen hier viel Elend und traurige Schicksale. Die Armut steigt, und deshalb müssen wir zu allererst an die Menschen denken.“