Berlin. Die Reitingers reisten mit nur einem Koffer zum schwerkranken Vater nach Deutschland. Nun haben die Feuer von LA ihnen alles genommen.

Es wird nie wieder so, wie es war. Karin Reitinger (55) versucht, es nüchtern zu betrachten. Denn mit den Bränden in Los Angeles wurden sie, ihr Mann Daniel Kahala und die 16-jährige Tochter endgültig herauskatapultiert aus ihrem Leben.

Der Feuersturm gehört wohl zu den verheerendsten der Geschichte der Stadt. Besonders betroffen ist Pacific Palisades, ein Wohnviertel direkt am Pazifik zwischen Santa Monica und Malibu, berühmt für herrliche Ausblicke auf den Ozean. Seit 35 Jahren ist der Ort die Heimat der Deutschen Karin Reitinger. Nun haben ihn die explosionsartigen Feuer, die sich seit dem 7. Januar ausbreiten, aufgefressen.

Auch interessant

Brände in Los Angeles: Ganze Straßenzüge sind nur noch Schutt und Asche

Schulen, Supermärkte, ganze Straßenzüge sind nur noch Schutt und Asche. 12.000 Häuser sollen im Großraum Los Angeles abgebrannt sein, mindestens 27 Menschen kamen dabei ums Leben. „Unsere Nachbarschaft existiert nicht mehr“, sagt Reitinger.

Es ist ein klassischer Berliner Januartag, als Karin Reitinger ihre Geschichte erzählt: grau, der Nebel kriecht durch die Winterkleidung, es wird gar nicht richtig hell. Sie sitzt auf einem roten Plastiksofa im Foyer eines Berliner Klinikums und zeigt auf ihrem Smartphone Fotos von ihrem zerstörten Zuhause. Darauf strahlt die Sonne Kaliforniens aus einem tiefblauen Himmel unbarmherzig auf zerborstene Gipskartonplatten, Trümmer, aus denen nur noch ein Schornstein herausragt. Ein ausgebrannter Gartengrill, Stahlgestelle, die von den Polstermöbeln übriggeblieben sind. Es ist eigentlich nur noch Haufen Schutt, wo mal eines dieser klassischen zweigeschossigen weißen Häuser stand, die das Stadtbild von Pacific Palisades prägten.

Karin Reitinger
Karin Reitinger hat in den Feuern von LA ihre ganze Existenz verloren. Aktuell kämpft sie um die Gesundheit ihres schwerkranken Mannse Daniel, der zurzeit im Vivantes Klinikum in Berlin-Spandau behandelt wird. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

„Wir wohnten dort zur Miete im Erdgeschoss mit Garten und Blick auf den Pazifik“, sagt Karin Reitliner und wischt weiter. Beim nächsten Bild schlagen Flammen aus den Gebäuden am Straßenrand, gehen über in dichten Rauch, der wie ein Vorhang über der Sonne liegt. Es ist ein Bild wie aus einen Apokalypse-Film. „Dort war mein Pilates-Studio“, sagt Karin Reitinger. Dann schweigt sie einen Moment, ringt um Fassung. Es ist eben alles weg. Die Wohnung, die Möbel, die Bilder, die Bücher und Fotoalben. Ihre Nachbarschaft, ihre Lebensgrundlage, das Pilates-Studio. „Es ist, als wäre eine Bombe eingeschlagen.“

Kampf ums Überleben: „Ärzte wollten Maschinen abstellen“

Dabei war das Schicksal schon vor einem Jahr gnadenlos: Bei einem Flug auf einer Reise von Utah nach Los Angeles kollabierte ihr Ehemann Daniel Kahala. Ein Aneurysma im Gehirn war geplatzt. Nach einer elfstündigen Notoperation kam es zu Blutungen im Bauch, er kollabierte erneut, bekam einen Schlaganfall.

Brandkatastrophe von Los Angeles: Zahl der Toten steigt weiter

weitere Videos

    „Die Ärzte wollten die Maschinen abstellen. Er würde nie wieder sprechen und laufen können, er würde gar nichts mehr können, erklärten sie mir“, erinnert sich Reitinger. Die Tochter ging zum Vater, um sich zu verabschieden. Sie hielt seine Hand, er drückte sie. „Mama, der Papa kommt nach Hause“ – diesen Satz vergisst Karin Reitinger nie. „Da wussten wir, er hört uns.“

    Seitdem kämpft sie um das Leben ihres Mannes, unterstützt von der ganzen Nachbarschaft. Immer war jemand da, der ihn besuchte, sich um die Tochter kümmerte, Essen brachte. „Die ganze Community half mit“, sagt sie. Und tatsächlich: „Im Juni konnte er wieder laufen und für seinen Freund ein Geburtstagslied singen“, erzählt Karin Reitinger und zeigt das Video dazu. „Er war wieder da.“

    Kurz vor Feuer in LA: Heimat mit nur einem Koffer verlassen

    Dann wurde er entlassen. Doch durch aspirierte Nahrung bekam er mehrfach Lungenentzündungen, sein Zustand verschlechterte sich rapide. Karin Reitinger erkannte: In den USA wird er nicht wieder gesund. Also zog sie die Notbremse, startete einen Spendenaufruf bei „GoFundMe“, eine Plattform, auf der private Spenden für Notfälle gesammelt werden, und organisierte die Ausreise nach Deutschland.

    „Die Ärzte in Berlin retteten sein Leben“, sagt Karin Reitinger nun, fünf Monate später. Das Vivantes-Klinikum in Spandau ist zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden. Die Tochter lebt in München bei den Großeltern, geht dort zur Schule. Bis zum 7. Januar gingen Mutter und Tochter davon aus, nach Kalifornien zurückkehren zu können.

    Karin Reitinger
    Karin Reitinger versucht, so viel Zeit wie möglich bei ihrem schwer kranken Ehemann zu verbringen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

    „Mein Herz war immer dort“, sagt Karin Reitinger. Sie schwärmt von der Gemeinschaft, der Hilfsbereitschaft. Dem Wetter: „Wenn morgens die Sonne scheint, dann beginnt der Tag ganz anders.“ Und von ihrem Pilates-Studio. „Es ist ein Geheimtipp im Ort.“ Auch für Prominente wie Harrison Ford. Oder den Entertainer Martin Short. Ehemann Daniel habe es erst vor zwei Jahren neu eingerichtet. Für einen kurzen Moment lässt der Stolz sie lächeln. „Ich liebe es. Fitness ist mein Leben.“

    Karin Reitinger wanderte vor 35 Jahren nach ihrer Ausbildung zur Reisebürokauffrau aus. 20 Jahre alt war sie damals und lebenshungrig. Sie wollte mehr als diesen Job im Reisebüro. Ihre Chefin in München organisierte ihr einen Praktikumsplatz in Pacific Palisades – „und von dort wollte ich nie wieder weg“.

    Paar hat in L.A. Haus durch Brand verloren
    Nur noch Trümmer: Das Wohnhaus von Karin Reitinger und ihrer Familie. © privat | Privat

    Feuer von Los Angeles: „Ich hatte mehr Angst vor Erdbeben“

    Durch Zufall kam sie mit Pilates in Kontakt, ließ sich zur Trainerin ausbilden. 13 Jahre später besuchte sie ein alter Bekannter: Daniel, ein Architekt aus München. Sie verliebten sich ineinander – und nahmen doch zunächst in Santa Monica Abschied. „Ich wollte nicht zurück nach Deutschland, er wollte nicht sein Leben in Deutschland aufgeben“. Doch die Liebe siegte: Daniel kehrte zurück und blieb, einige Jahre später kam die Tochter zur Welt.

    Dass diese Idylle von einem Feuer zerstört werden könnte – trotz mehrerer Evakuierungen in den vergangenen Jahren habe es sich Karin Reitinger nicht vorstellen können. Ihre Angst vor einem Erdbeben sei viel größer gewesen.

    Lage in LA dramatisch – viele Familien auf Suche nach neuem Zuhause

    Jetzt ist die Gegend abgesperrt vom Militär. Denn es drohen Erdrutsche, da das Löschwasser den Boden aufgeweicht hat. Und wenn es jetzt regnet, können Schlammlawinen weitere Schäden anrichten.

    Die Vermieter, die Nachbarn, die Freunde: Alle seien sie jetzt auf der Suche nach einem neuen Zuhause, die erste Familie sei bereits an die Ostküste gezogen.

    Ob sie selbst plane, mit der Familie zurückzukehren? Wohl kaum. „Ich muss der Realität ins Auge blicken“, sagt Karin Reitinger. Und die hänge von der Gesundheit ihres Mannes ab. Doch sein Weg ist noch lang. Immerhin: Wenn alles gut geht, kann er bald verlegt werden ­– in die Reha nach Bad Aibling.

    Familie Kahala/Reitinger plant einen Neuanfang in Bayern. Wer sie dabei unterstützen möchte, kann das bei GoFundMe tun.