Berlin. Wie war die Todesfahrt über den Magdeburger Weihnachtsmarkt möglich? Laut Experte wurden im Vorfeld Fehler gemacht. Wo genau haperte es?

Aus Sicht des Zufahrtsschutzexperten Christian Schneider wurden bei der Vorbereitung des Magdeburger Weihnachtsmarktes Fehler gemacht. Im Sicherheitskonzept werde zwar mehrfach auf die Gefahr von Überfahrtaten hingewiesen, sagte Schneider. Es werde aber nicht beschrieben, wie dieser Bedrohung regelkonform zu begegnen sei.

„Fakt ist: Der Ersteller hat sich nicht an die Regeln gehalten und dabei ganze Flanken offengelassen.“

Auch interessant

Kurz vor Weihnachten war ein 50-Jähriger mit einem Auto über den Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast. Ein neunjähriger Junge sowie fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren kamen dabei ums Leben. Der Täter war an einem breiten Gehweg zwischen einer Fußgängerampel und einer Betonblocksperre hindurchgefahren.

Experte: „Diese Zufahrt hätte man mit Pollern absichern müssen“

Dieser Bereich hätte aus Sicht von Schneider besser gesichert sein müssen, zum Beispiel mit Pollern, die man öffnen und schließen kann. Fluchtwege müssten zwar freigehalten werden, so Schneider. Aber: „Freihalten heißt nicht, dass 5 oder 6 Meter breite Lücken klaffen dürfen. Diese Zufahrt hätte man also beispielsweise mit Pollern absichern können und müssen, sodass in der Zufahrt keine Lücken verbleiben, die breiter als 1,2 Meter sind.“ Im Einsatzfall könne man solche Zufahrten für Feuerwehr- und Rettungskräfte öffnen.

Nach Todesfahrt auf Weihnachtsmarkt in Magdeburg
Straßenblockade am Weihnachtsmarkt in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) © DPA Images | Matthias Bein

Magdeburger Weihnachtsmarkt: „Ganze Flanken offengelassen“

Schneider erstellt Zufahrtsschutzkonzepte, er hält Betonblöcke um den Weihnachtsmarkt für ungeeignet. Zudem habe man in Magdeburg ganze Flanken offengelassen. „Denn wir haben ja nicht nur eine Zufahrt, die genutzt werden konnte, sondern sogar mehrere.“ Der Angreifer habe eine Zufahrt zum Einfahren genutzt und eine andere zum Herausfahren.

„Der Täter hätte auch entlang der Straßenbahnschienen zur Straßenbahn-Haltestelle vorfahren und dann schräg auf den Alten Markt abbiegen können – zumal dort ja sogar der Bordstein abgesenkt ist.“

Landeshauptstadt-Sprecher warnt vor „Spekulationen und voreiligen Schuldzuweisungen“

Es liegen mehrere Anzeigen vor. Die Landeshauptstadt teilte auf Anfrage mit, Autor des Sicherheitskonzepts sei die „Gesellschaft zur Durchführung der Magdeburger Weihnachtsmärkte“. Man werde die Ermittlungen der zuständigen Behörden zu Fragen rund um das Sicherheitskonzept vollumfänglich unterstützen, sich aber nicht an Spekulationen und voreiligen Schuldzuweisungen beteiligen, sagte ein Sprecher der Stadt.

Experte zum Magdeburger Sicherheits-Konzept: „Nein, es hat nie funktioniert“

Christian Schneider erinnert sich die Reaktion der Verantwortlichen unmittelbar nach dem Anschlag: „Ich war völlig entsetzt, als ich die Pressekonferenz gesehen habe und gesagt wurde, das Konzept sei gut – nachdem Menschen gestorben sind! Rettungswege mussten frei bleiben – offensichtlich hat man ihnen nicht erklärt, was freibleiben überhaupt bedeutet. Und zum Schluss wurde gesagt, es hat jahrelang funktioniert. Nein, es hat nie funktioniert, es war nur bis zum Anschlag nie dem Ernstfall ausgesetzt worden.“

Staatsanwaltschaft Naumburg prüft mögliche „nicht vollständige Absicherung des Marktes“

Die Betreibergesellschaft äußerte sich auf Anfrage nicht. Auch das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt will aktuell keine Fragen dazu beantworten. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg sagte, man prüfe, ob die Tat möglicherweise durch eine nicht vollständige Absicherung des Marktes begünstigt worden sei. „Vom Weihnachtsmarkt selbst geht keine Gefahr aus“, sagte der Sprecher. Die Gefahr sei vom Vorsatz des Täters ausgegangen. Bei den Ermittlungen gehe es darum, inwieweit eine solche Tat vorhersehbar sei und ob und wie diese sicher hätte verhindert werden können.

Experte rät: Kommunen müssen Zufahrten zu Märkten und Fußgängerzonen dauerhaft sichern

Schneider sieht die Kommunen in Deutschland gefordert, mehr beim Zufahrtsschutz zu tun. Es gehe dabei aber nicht darum, einzelne Veranstaltungen zu schützen. „Beim Zufahrtsschutz geht es vielmehr darum, nachhaltig eine Örtlichkeit zu schützen, auf der dann viele Veranstaltungen geschützt stattfinden können.“ Er kenne auch viele kleine Gemeinden, die diese Entscheidung bereits trafen und etwa ihren Marktplatz oder ihre Fußgängerzonen schützen wollen.

Zufahrtsschutz sei kein triviales Anhängsel der Veranstaltungssicherheit, sondern der qualifizierte Schutz von Örtlichkeiten gegen Vorsatz- oder Unfallfahrten, sagte Schneider. „Hätte der Konzeptersteller von Magdeburg dies berücksichtigt, wäre dieser tragische Anschlag nicht möglich gewesen.“