Essen. Meine Freundin Manuela führt ein beneidenswert müheloses Leben. Keinen Nagel schlägt sie selber ein, keinen Reifen hat sie jemals gewechselt. Wo sie geht und steht, springen ihr die Männer zur Seite und tragen die Sprudelkisten. Und das Schlimmste an allem: Sie tut gar nichts dafür!

Manuela ist eine emanzipierte Frau: beruflich erfolgreich, finanziell unabhängig, willensstark. Wenn einer entscheidet in Manuelas Leben, dann ist das Manuela. Sie nimmt die Dinge in die Hand. Allerdings gehört es zu ihrer Erfolgsstrategie, genau diese Tatsache zu verschleiern.

Die Herren eilen zu Hilfe

Manuela hat, da bin ich mir sicher, ihr Leben lang nicht ein Bild selber aufgehängt, kein einziges Ikea-Regal aufgebaut. Wo sie geht und steht trifft sie auf Mitmenschen, die offenbar nur auf die Gelegenheit gewartet haben, ihr ihre Hilfe anzubieten. Wie sie das macht? Es geht fast von alleine.

Letzten Freitag waren wir fürs Kino verabredet. „Sag mal, können wir deinen Wagen nehmen? Meiner ist heute Abend anderweitig vergeben“, wollte sie wissen, als ich die Tür aufmachte.

„Kein Geld mehr für’s Tanken übrig diesen Monat?“, erkundigte ich mich.

„Doch, doch“, bekräftigte sie munter. „Aber der kriegt heut die Winterreifen aufgezogen.“

„Jetzt schon?“, fragte ich.

„Man soll die Feste feiern, wie sie fallen“, grinste Manu.

"Onkel Heinz schaukelt das"

Als wir aus der Haustür traten, stand Manus alter Ford im Hof, in leichter Schieflage, und streckte ein Hinterrad in die Luft. Daneben, eifrig kurbelnd, Heinz, Nachbar und Nervensäge.

„Klappt’s?“, erkundigte sich Manu holdselig und trat an seine karierte Seite.

„Alles klar, Kleine!“, versicherte Heinz und verzog seinen nikotinvergilbten Bart zu einem Lächeln. „Der Onkel Heinz schaukelt das schon.“

Ich würgte unauffällig, während Manu Dank und einen Abschiedsgruß flötete.

„Sag mal, Ela, wie hast du das denn wieder gemacht?“, fragte ich mit aufrichtiger Neugier, als der werkelnde Heinz langsam aus dem Rückspiegel verschwand.

„Och, ich hatte die Reifen im Kofferraum“, erzählte Manuela. „Ich hab sie ja neulich schon von meinen Eltern mit nach Hause genommen und wollte sie demnächst mal wechseln lassen.“

„Ja – und?“

„Na, das hat der Mensch gesehen und mich gefragt, warum ich denn die Reifen spazieren fahre. Dann meinte er noch, dafür brauche ich doch keinen Werkstatttermin. Du, wirklich nett, dein Nachbar.“

Ich brummte. Mit mir sprach Heinz eigentlich nur, um sich zu beschweren: Über besuchende Freunde mit Hund. Über die abends ins Schloss fallende Haustür. Über die sonntäglich rotierende Waschmaschine. Als ich beim letzten Reifenwechsel vor dem Wagen kniete, stand er neben mir und erteilte ungefragte Ratschläge. Aber warum wunderte ich mich eigentlich?

Kopierversuche

Als ich Manuela zum ersten Mal begegnete, waren wir beide sehr jung, ein wenig eingeschüchtert und hegten beide eine fanatische Liebe zu Pferden. Es war für uns beide der erste Schultag unseres Lebens. Sie setzte sich neben mich, drehte sich um und schenkte ihrem blonden Begleiter ein kurzes Lächeln. Er war sechs und trug ihr die Schultüte. Bis zum Platz. Dann nahm er mit großen Augen am Nachbartisch Platz.

Ich habe versucht, sie zu kopieren. Nein, nicht grundsätzlich, ich hänge schon an mir. Aber ich habe versucht, meine Beobachtungen strategisch zu nutzen: Mir das Haar auf ihre Art aus dem Gesicht gestrichen, als ich mit schweren Sprudelkisten vor dem Kofferraum stand – nichts. Nachbar Heinz habe ich mein, nein Elas, strahlendstes Lächeln geschenkt, als die Heizung im November ausfiel. Betont atemlos habe ich einen Karton durch die Ikea-Kasse geschleppt. In allen Fällen nichts, nichts und wieder nichts.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Jahrelang habe ich vergeblich versucht, hinter das Geheimnis ihres mühelosen Erfolges zu gelangen – ohne Erfolg. Der Augenaufschlag? Wirkt nur bei Ela. Ist es die Stimme? Keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie sie das macht. Wäre sie bei all dem wenigstens noch zickig, man könnte sie hassen. Würde sie das Mäuschen spielen, man könnte sie belächeln. Wenn sie wenigstens dumm wäre – aber nein. Manuela hat einfach nur diese herzgewinnende Gabe Manuela zu sein. Es funktioniert im Hosenanzug wie im Kapuzenpulli und, wie neulich beobachtet, sogar mit ungewaschenen Haaren und Zahnpasta am Kinn. Es ist zutiefst unfair.

Eigentlich ist sie meine Freundin, aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Eines Tages sind alle Nachbarn unterwegs, die Freunde im Urlaub und alle Zufallsbekanntschaften unempfänglich. Dann bleibt sie mitten im Wald mit einer Reifenpanne liegen. Und wenn sie nach einem ausgedehnten Fußmarsch nach Hause kommt, erwarten sie aufgerissene Möbelkartons und unbekannte Bauanleitungen. Und wenn sie mich dann anruft, geh ich einfach nicht dran.

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