Essen. Schön, wenn zwei Menschen sich so sehr lieben, dass sie die materiellen und psychischen Kosten einer statistisch nicht unwahrscheinlichen Scheidung in den Wind schlagen - und heiraten. Doch wer, bitteschön, denkt an die Gäste? Zeit für eine Liste zuckersüßer Scheußlichkeiten.
Im Bekannten- und Verwandtenkreis grassiert die Hochzeitswut. Die Betroffenen wirken, meist angemessen beglückt und schrecken in diesem Zustand auch vor gröbsten Albernheiten nicht zurück. Für uns Hochzeits-Hopper jedoch, die im Lebensjahrzehnt zwischen Mitte 20 und Mitte 30 jedes Wochenende bei neuen Eheschließungen tief fliegenden Brautsträußen ausweichen müssen, wird der Spaß schnell zum Ernstfall.
Andere-Leute-Glücksmarathon
An einem lauwarmen Montag Ende Juni saß ich mit einem Schwarm leidgeprüfter Freundinnen im Freibad. Wir versuchten, uns von den Beschwernissen der jüngsten Eheschließungen zu erholen. So ein Andere-Leute-Glücksmarathon zehrt.
„Ich hasse Hochzeiten“, schimpfte Jule, die es offenbar in den vergangenen Wochen am schwersten getroffen hatte. „Diese Mistspiele dauernd. Topfschlagen war ja noch in Ordnung, auch wenn mir das Kleid eigentlich zu schade war. Aber die Schnitzeljagd quer durch den Ferkelstall!“ Sie schnüffelte an ihren Haaren. „Ich kann’s immer noch riechen. So ein Kindergarten!“
„Schnitzeljagd? Topfschlagen? Ich weiß gar nicht was du hast“, wiegelte Tine ab und wandte ihre blasse Rückseite seufzend der Sonne zu. „Als meine Cousine geheiratet hat, haben Freunde die Braut ‚entführt’. Leider war sie so gut versteckt, dass wir den Abend ohne Annette verbracht haben. Und ohne Hannes, der musste ja suchen….“
Hochzeit ohne Brautpaar?
„Eigentlich die perfekte Lösung“, überlegte ich laut. „Eine Hochzeit ohne das Brautpaar. In der besten aller Welten wäre das immer so.“
„Wäre. Wenn Hannes nicht irgendwann aufgegeben hätte, um sich einen schönen Abend ohne Annette zu machen. Und die fand das gar nicht lustig. Was meint ihr, was da später los war.“
„Jau!“, stimmte Jule zu. „Nach dem Schweinestall musste der Bräutigam der Braut das Strumpfband mit den Zähnen ausziehen.“
Hochzeiten – die unterschätzte Gefahr. Statt das Brautpaar zu beschenken, müsste man eigentlich die Teilnehmer entschädigen, dachte ich. „Mädels, ich hab’s!“, warf ich in die Runde. „Wer die schlimmste Feier erlebt dieses Jahr, der bekommt von den anderen einen Saunatag geschenkt. Zum Trost.“
Objektivität fällt schwer
„Das bin dann wohl ich“, bemerkte Jule lakonisch. „Die Schweine sind sicher kaum zu schlagen.“
„Wenn du Antonia kennen würdest, wüsstest du, warum das mit dem Strumpfband kein schöner Anblick war“, setzte Tine schaudernd nach. „Da kommen auch die Ferkel nicht mit.“
Ganz offenbar fallen objektive Vergleiche schwer. Und wenn ich an die bevorstehende Hochzeit meines schnöseligen Onkels Heinrich denke, habe ich durchaus noch Chancen auf die Sauna. Der vierte Bund fürs Leben mittlerweile und die Bräute werden mit jedem Mal jünger und blondierter. Der Sieg ist mir sicher.
„Wir brauchen einen objektiven Maßstab“, schlug ich vor. „Eine Punktetabelle vielleicht? Sonst wird das nie was.“
Wir schwammen nicht mehr viel an jenem Nachmittag, aber wir sind jetzt ein gutes Stück weiter, was die Verarbeitung unserer Eheglücks-Traumata angeht. Die Positiv-/Negativ-Liste jedenfalls harrt ihrer stetigen Erweiterung während der Saison.
Polonaise und Discofox
Minuspunkte, so entschlossen wir einstimmig, verdienen in jedem Fall die folgenden Patzer:
- Jede Rede über fünf Minuten. Abzüge in der B-Note für jeden Witz über den Nachnamen des Bräutigams.
- Polonaise. Jede Tanzschlange zählt einzeln – ein wahrer Punktegenerator im Laufe eines nicht enden wollenden Abends.
- Als Tribut an Jule: Schnitzeljagden an übelriechenden Orten.
- Nervige Tischnachbarn. Besonders leidig: Selbstdarsteller, Quasselstrippen, Besserwisser. Alkohol wirkt problemverschärfend.
- Alles, was den Sinn der Feier in Frage stellt, beispielsweise Eifersüchtige Ex-Freunde und Versagen beim „Wie-gut-kenne-ich-meinen-Partner-Spiel“.
Anzuerkennen und mit Pluspunkten honorierbar sind unter anderem:
- Jede Rede unter fünf Minuten.
- Hochzeitsspiele ohne Zwang.
- Nette Tischnachbarn. Alkohol wirkt als Weichzeichner.
- Erträgliche Musik – Küsse für den DJ, dem es gelingt Schwiegereltern, Discofoxer und Raver gleichermaßen zu beglücken.
- Brautstrauß-Vermeidung mit Geschick und vollem Körpereinsatz.
In punkto „Brautentführung“ wurden wir uns nicht einig. Schade für die Betreffende, wenn sie nicht gefunden wird. Kann allerdings, je nach Verhältnis zur Entschwundenen, für einige Beteiligte durchaus bereichernd wirken. Ebenfalls ungeklärt blieb die Frage, wie volltrunkene Partygäste einzuordnen sind, die sich auf der Damentoilette zum Arschgeweih-Fotoshooting zusammengefunden haben. Das Leben hält nicht für alle Fragen eine Antwort bereit. Aber immerhin eine Liste.
- Teil 11: Klappe halten kann Freundschaften retten
- Teil 10: Sabine Töpperwien zerstört mein Liebesleben
- Teil 9: Wenn ein Mann den Frauenabend ruiniert
- Teil 8: Ungleiche Paare - Von Blümchensex und Kamasutra
- Teil 7: Männer, Frauen und der Stress beim Urlaubsflirt
- Teil 6: Frau liebt Mann liebt Frau liebt Mann
- Teil 5: Keine Zeit für nix: Beziehung als Hauptberuf
- Teil 4: Ach ja, ich bin schon vergeben...
- Teil 3: Drei Männer, eine Frau und ein Berg Geschirr
- Teil 2: Männer - mit Kleidung besser als ohne
- Teil 1: Erster Blick durchs Schlüsselloch