Berlin. Martin Delius bekommt den bislang wohl aufregendsten Job seines Lebens: Der Pirat soll den Skandal um den neuen Berliner Großflughafen aufklären, dessen Eröffnung sich durch Pannen immer wieder verzögert. Der 28-Jährige bezweifelt, dass das milliardenschwere Großprojekt jemals fertig wird.
Martin Delius ist 28 und Physiker. Er ist Pirat, Mitglied im Abgeordnetenhaus von Berlin und bald bekommt er wohl den vorerst aufregendsten Job seines Lebens: Er soll den Skandal um den neuen Großflughafen aufklären, der die Hauptstadt erschüttert. Pannen verzögern die Eröffnung. Die Kosten explodieren. Seine Partei erhält den Vorsitz im Untersuchungsausschuss.
„Ich will nicht auf Teufel komm raus Wowereit stürzen“, sagt Delius. Es gehe doch noch um andere Dinge als den Regierenden Bürgermeister und seine Rolle. Darum, was schief gelaufen sei in der Planung, beim Bau und zwischen Parlament und Flughafengesellschaft. Auch darum, wie man solche Debakel nicht nur in Berlin, sondern bei anderen Großprojekten in Deutschland verhindern könne.
Es klingt, als wollten Pirat Delius und sein Ausschuss eine bundesweite Blaupause für die Verhinderung von Skandalen auflegen – alle die, die die Republik verärgern oder verärgert haben: das Duisburger Landesarchiv oder das Freizeitzentrum am Nürburgring, Hamburgs gigantische Elbphilharmonie oder Stuttgart21.
Eröffnungstermin schon zweimal verschoben
Schief gelaufen ist viel beim Flughafen mit dem Rufzeichen BER, 22 Kilometer südöstlich vom Brandenburger Tor. Die Bauzeit ist eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Die Länder Berlin und Brandenburg hatten beschlossen, den drittgrößten Airport der Republik in eigener Regie und Koordination anzulegen, nachdem sie die Bewerbung des Essener Konzerns Hochtief als Generalunternehmer versenkt hatten.
Dann verloren sie die Kontrolle. Planungen wurden geändert, die Bauzeit exzessiv überschritten. Ein erster Eröffnungstermin musste 2011 verschoben werden. Doch vor dem zweiten an diesem 3. Juni offenbarte sich erst das ganze Desaster: Bodenplatten waren nicht verlegt, Treppen gerade im Rohbau fertig. Ganz wesentliche Dinge funktionierten nicht - die Gepäckbeförderung darunter und, vor allem, der Brandschutz. Gleich an zwanzig Stellen wies die Entrauchungs-Anlage Mängel auf.
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Wusste Wowereit von den Defiziten?
Die Behörden des Landkreises Spree-Dahme versagten schließlich die Genehmigung. Kanzlerin und 11 000 Gäste mussten zum zweiten Mal ausgeladen werden. Seit gestern ist klar: Auch der nächste anvisierte Termin, an dem Maschinen zum ersten Mal abheben sollen, der März 2013, war nur Wunschvorstellung: Vor Herbst des nächsten Jahres fliegt nichts.
Hatten nicht die Bauunternehmen schon vor Jahresfrist vor einem „Chaos“ gewarnt? Was wusste Wowereit, was wusste der Flughafenchef Rainer Schwarz von den Defiziten der Bauleitung? War ihnen bekannt, dass der Bauleiter nebenher seine Doktorarbeit schrieb – Thema: Wie optimal man einen Flughafen baut? Alle diese Fragen wird Delius und sein Ausschuss klären müssen.
Jeder Tag Verzögerung kostet Millionen
Bauleiter Körtgen musste inzwischen gehen. Aber auch für Partylöwe Wowereit, der bis zum Schluss kritische Stimme gerne lautstark abgebügelt hatte, wird es eng. Seine Beliebtheit in der Bevölkerung ist um 18 Punkte abgestürzt. 50 Prozent der Berliner sagen heute, er macht den Job schlecht.
Mit dem neuen Aufschub wird alles schnell zu einer Frage des Geldes. 4,6 Milliarden Euro statt veranschlagter 3,4 Milliarden kostet das gigantische Projekt heute schon. Die fällig werdenden Lärmschutzinvestitionen in den Wohngegenden der märkischen Umgebung kommen dazu, für dies sich neuerdings Brandenburgs Ministerpräsident gerne stark macht. Jeder Tag Verzögerung kostet weitere Millionen.
Öffentliche Hand muss Geld nachschießen
Dabei ist es auf der größten Baustelle Deutschlands derzeit stiller als noch im Frühjahr. Statt im Dreischichten-Betrieb arbeiten die Firmen in nur einer Schicht. Weil es keine Bauabnahme gibt, werden Rechnungen nicht bezahlt. Angeblich warten alleine die Firmen, die die Parkhäuser errichteten, auf 60 Millionen Euro. Viele der 150 Laden-Mieter, die schon zweimal vergeblich auf einen Start setzen mussten, sind wegen des entgangenen Gewinns erbost oder geraten selbst in die Klemme. Einige haben aufgegeben.
Der Potsdamer Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) musste als erster im Landtag einräumen, dass das Geld in der Kasse der gemeinsamen Flughafengesellschaft nur noch bis Dezember reicht. Dann müssen die öffentlichen Anteilseigner, auch der Bund, aus Steuermitteln nachschießen. Was die nächste Klemme bringt: Die EU muss zur öffentlichen Förderung Ja sagen. Wann und ob die das tun würde, das ist offen.
Martin Delius, der designierte Aufklärer, sagt: „Je mehr ich mich einlese und mit Fachleuten spreche, desto mehr zweifele ich, dass der Flughafen fertig wird“.