Kairo. . Sicherheitskräfte und Demonstranten liefern sich in Syrien erneut heftige Kämpfe. Die Regierung hob die seit 50 Jahren geltenden Notstandsgesetze auf. Dennoch gehen Zehntausende auf die Straßen, um den Rücktritt von Präsident Assad zu fordern.
In Syrien finden die Protestmärsche gegen Präsident Bashar al-Assad immer stärkeren Zulauf. In allen Regionen des Landes kam es in den letzten Tagen zu Demonstrationen gegen das Regime, bei denen laut Amnesty International bisher mehr als 200 Menschen ihr Leben verloren.
Nun machte die Regierung ein erstes Zugeständnis an die Opposition: Das syrische Kabinett hob gestern die seit fast 50 Jahren geltenden Notstandsgesetze auf. Das meldete die amtliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Damit kam die Regierung einer Kernforderung der Oppositionsbewegung nach. Die Notstandsgesetze erlaubten es den Sicherheitskräften unter anderem, Menschen ohne Angabe von Gründen festzunehmen.
Schüsse auf Handyvideo
Zuvor hatten am Dienstag noch Sicherheitskräfte in der Stadt Homs erneut das Feuer eröffnet – diesmal auf ein Protestcamp, in dem mehrere tausend Menschen die Nacht auf dem Al-Saa-Platz im Zentrum verbracht hatten. Auf einem Handyvideo waren Schüsse zu hören sowie Rufe, die den Sturz des Regimes fordern. Wie viele Tote und Verletzte es bei dem brutalen Vorgehen der Uniformierten gab, ist unklar. Augenzeugen vor Ort sprechen von mindestens vier Toten, andere Quellen von zehn Opfern.
Am Montagabend hatten sich rund 20 000 Menschen zu einer Sitzblockade auf dem Al-Saa-Platz versammelt. „Der Protest wird so lange weitergehen, bis unsere Forderungen erfüllt sind“, sagte eine Demonstrantin. Man habe den Platz nach dem Vorbild Kairos in Tahrir-Platz umbenannt. „Dieses despotische Regime muss weg. Wir haben elf Jahre auf Reformen gewartet“, fügte sie hinzu.
„Solche Terrortaten werden nicht toleriert”
Inzwischen ist die Stadt Homs komplett von der Außenwelt abgeriegelt. Alle Telefon- und Internetverbindungen sind unterbrochen, alle Zufahrtswege blockiert. In den Straßen herrschte den Tag über gespenstische Ruhe. Alle Geschäfte, Banken und Schulen in der mit 700 000 Einwohnern drittgrößten Stadt Syriens waren geschlossen. Schon zwei Tage zuvor waren in Homs bei einem ähnlichen Schusswaffeneinsatz mindestens 20 Demonstranten getötet worden, die am Montag zu Grabe getragen wurden. „Von Gasse zu Gasse, von Haus zu Haus, wir wollen deinen Sturz, Bashar“, skandierte der Trauerzug und rief „Freiheit, Freiheit“.
Auch in anderen Städten wie Dara und Aleppo, den Küstenorten Latakia und Banias sowie den Außenbezirken von Damaskus gingen die Menschen auf die Straßen, enttäuscht von den vagen politischen Zugeständnissen, die das Regime bisher verkündet hatte.
Innenminister Mohammed Ibrahim al-Shaar warf den Demonstranten vor, einen „bewaffneten Aufstand“ anzuzetteln. Islamische Radikale würden Soldaten und Polizisten gezielt töten, hieß es in einer scharfen Erklärung des Ministeriums. „Solche Terrortaten werden nicht toleriert.”
Schwer misshandelt
Als Beleg zeigte das Staatsfernsehen eine Krankenstation in Homs, auf der angeblich mehrere Polizisten mit Schusswunden behandelt werden. Eine unabhängige Überprüfung dieser Angaben ist unmöglich, da seit Beginn der Unruhen vor vier Wochen keine Visa an ausländische Journalisten mehr erteilt werden.
Eine Hauptquelle von Informationen sind daher Amateurvideos von Demonstrationen, die Regimekritiker per Satellitenverbindungen ins Netz stellen. Auf einem Video sind zudem reihenweise junge Männer zu sehen, die nach ihrer Verhaftung von der Staatssicherheit übel zugerichtet wurden. Viele haben offene Wunden im Gesicht und blutunterlaufene Augen sowie Spuren schwerer Misshandlungen an Rücken und Beinen.