Berlin. . FDP-Generalsekretär Christian Lindner hätte auch nach der Macht in der Partei greifen können. Er tat es nicht. Im Interview erklärt er, warum Philipp Rösler die richtige Wahl für die FDP ist.

Er hätte nach dem FDP-Vorsitz greifen können. Nicht mal versucht hat es Christian Lindner. „Wir haben uns für eine Teamlösung entschieden“, sagt der Generalsekretär. Er nennt die Lösung mit Philipp Rösler die „beste Aufstellung.“ Auch hielte er es für „unangemessen“, mit nur 32 Jahren, unverheiratet und kinderlos, eine Regierungspartei anzuführen. „Es passt nicht zu meiner Lebenssituation“. Ein Gespräch über eine neue FDP-Tugend: Bescheidenheit.

Herr Lindner, sind Sie erleichtert, weil der Wechsel ohne Verletzungen abläuft?

Christian Lindner: Ja. Es ist ein Zeichen von Stil und Anstand. Die Menschen achten auch auf Umgangsformen.

Ist es ein Wert an sich, keinem wehzutun?

Lindner: Es wäre sicher kein Wert an sich, wie im Wolfsrudel andere wegzubeißen.

Haben Sie am Mittwoch Zeitungen gelesen?

Lindner: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Wir sollten uns nicht danach richten, was an einem Tag die prägende Meinung der Leitartikler ist.

Die Hauptkritik lautet: Ist ein Parteichef, der mit dem Angriff auf alte Strukturen scheitert, überhaupt eine Empfehlung?

Lindner: Die Grundannahme stimmt nicht. Man kann eine FDP nicht ausschließlich mit unter 40-jährigen Politikern aufbauen. Es braucht auch erfahrene Persönlichkeiten wie etwa Rainer Brüderle.

Herr Rösler sagt, es sei wie vor einer Hochzeit: Wer Einwände hat, soll sich jetzt melden oder für immer schweigen. Bis zum FDP-Parteitag sind es sechs Wochen. Glauben Sie, dass Einwände kommen werden?

Lindner: Philipp Rösler bezog sich auf die Zusammensetzung des Kabinetts. Über die Zusammensetzung der FDP-Spitze wird der Bundesparteitag im Mai entscheiden. Dort wird Philipp Rösler ein Personaltableau, auch mit neuen Gesichtern, vorschlagen.

Aber Herr Brüderle bleibt Wirtschaftsminister. Das empfinden viele als eine halbherzige Lösung.

Lindner: Rainer Brüderle kümmert sich um den Mittelstand, hat bei Opel widersprochen und sorgt für Wachstum. Wir werden nicht zulassen, dass von außen Streit in die FDP hineingetragen wird.

Nehmen Sie die jüngste Umfrage zur Kenntnis? Die Grünen bei 28, die FDP bei bescheidenen drei Prozent.

Lindner: Die Umfrage ist aus einer alten Zeit. Jetzt stellen wir uns neu auf. Die Grünen sind eine Projektionsfläche. Viele halten sie für aufgeklärte Bürgerliche. Das sind sie nicht, wenn sie Rekordschulden machen und Einheitsschulen einführen. Sie stehen nicht für Maß und Mitte. Das sieht man ja in NRW.

Die Menschen sollen mit anderen Augen auf die FDP schauen. Was sollen Sie in Philipp Rösler erkennen?

Lindner: Er ist sympathisch und kompetent, gleichzeitig auch durchsetzungsstark. Ein starker Politiker muss kein Kotzbrocken sein. Er hat der Pharmabranche Einsparungen abverlangt wie kaum ein anderer vor ihm.

Wie will die FDP wieder relevant werden?

Lindner: Wir sind die Partei, die den Bürgern vertraut und sie nicht wie Kinder bevormundet. Das wird immer den Unterschied zu den anderen ausmachen. Liberale Politik soll wieder stärker im Alltag spürbar sein.

Auf den Punkt gebracht heißt das?

Lindner: In der Bildung wollen wir, dass die Länder untereinander und mit dem Bund enger zusammenarbeiten und mehr in Schulen investiert wird. Das erleichtert Eltern den Umzug über die Landesgrenze. Wir wollen einen Sozialstaat, der Aufstieg und nicht Ausstieg ermöglicht. Weniger Bürokratie zum Beispiel bei der Steuererklärung. Umweltpolitik ohne Bevormundung, sondern über den Markt. Wir haben etwa die Förderung der Photovoltaik reduziert. Das Ergebnis waren nicht weniger Solaranlagen, sondern billigere.

Die CSU will ein Konzept für den Atomausstieg vorlegen, die SPD auch. Bei den Grünen gehört es zum Erbgut der Partei. Sie treten für eine Verständigung mit der Industrie ein. In Wahrheit kommt es zu einem Rechtsstreit. Wie geht es weiter?

Lindner: Wir wollen schneller raus aus der Atomenergie. Aber es muss rational, realistisch zugehen. Bis Ende des nächsten Jahrzehnts werden wir die neuen Kraftwerke weiter benötigen. Ich sage voraus: Die alten Atommeiler werden nahezu ausnahmslos nicht mehr ans Netz gehen. Das stärkt die Akzeptanz für die neueren, die wir länger brauchen.

Das große Gesinnungsthema haben die Grünen. Fehlt das der FDP?

Westerwelles Weg

1985: Ein neues Gesicht in der Politik. Der damals 23-jährige Guido Westerwelle hält als Vorsitzender der Jungen Liberalen eine Rede anlässlich des fünfjährigen Bestehens des FDP-Jugendverbandes. 1983...
1985: Ein neues Gesicht in der Politik. Der damals 23-jährige Guido Westerwelle hält als Vorsitzender der Jungen Liberalen eine Rede anlässlich des fünfjährigen Bestehens des FDP-Jugendverbandes. 1983... © WNM
...war der Jurastudent zum Bundesvorsitzenden der
...war der Jurastudent zum Bundesvorsitzenden der "Julis" gewählt worden. In dieser Funktion... © imago stock&people WNM
...hatte er früh Kontakt zu den führenden Köpfen der Partei. Hier spricht er mit dem damaligen FDP-Vorsitzenden und Außenminister Hans-Dietrich Genscher beim Parteitag 1986. Westerwelle rückte 1988 in den Bundesvorstand auf und...
...hatte er früh Kontakt zu den führenden Köpfen der Partei. Hier spricht er mit dem damaligen FDP-Vorsitzenden und Außenminister Hans-Dietrich Genscher beim Parteitag 1986. Westerwelle rückte 1988 in den Bundesvorstand auf und... © imago stock&people WNM
...bekleidete ab 1994 den Posten des Generalsekretärs. In dieser Funktion...
...bekleidete ab 1994 den Posten des Generalsekretärs. In dieser Funktion... © WNM
...musste Westerwelle die Wahlniederlage 1998 und das Ende der schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl akzeptieren. Seinem persönlichen Aufstieg tat dies keinen Abbruch. 2001...
...musste Westerwelle die Wahlniederlage 1998 und das Ende der schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl akzeptieren. Seinem persönlichen Aufstieg tat dies keinen Abbruch. 2001... © WNM
...wurde er als Nachfolger von Wolfgang Gerhardt (l.) zum bis dato jüngsten Parteivorsitzenden der FDP gewählt. Westerwelle machte sich daran,...
...wurde er als Nachfolger von Wolfgang Gerhardt (l.) zum bis dato jüngsten Parteivorsitzenden der FDP gewählt. Westerwelle machte sich daran,... © WNM
...den Liberalen neue Schlagkraft zu verleihen. Im Wahlkampf 2002...
...den Liberalen neue Schlagkraft zu verleihen. Im Wahlkampf 2002... © WNM
...wollte er der Partei ein junges, hippes, spaßiges Image verpassen. Zum Markenzeichen seiner Kampagne wurde sein Wahlkampfbus, das
...wollte er der Partei ein junges, hippes, spaßiges Image verpassen. Zum Markenzeichen seiner Kampagne wurde sein Wahlkampfbus, das "Guidomobil." Mit der ungewöhnlichen Strategie... © WNM
...peilte Westerwelle ein Wahlergebnis von 18 Prozent an. Doch der Plan ging nicht auf, die FDP erntete viel Hohn und Spott aber zu wenig Stimmen. Trotzdem hielt sich Westerwelle nicht nur im Amt sondern stellte klar,...
...peilte Westerwelle ein Wahlergebnis von 18 Prozent an. Doch der Plan ging nicht auf, die FDP erntete viel Hohn und Spott aber zu wenig Stimmen. Trotzdem hielt sich Westerwelle nicht nur im Amt sondern stellte klar,... © WNM
...wer Koch und wer Kellner in der FDP ist. Im parteiinternen Machtkampf setzte er sich erneut gegen Wolfgang Gerhardt durch und übernahm von ihm Anfang 2006 auch das Amt als Fraktionsvorsitzender. Sein Status...
...wer Koch und wer Kellner in der FDP ist. Im parteiinternen Machtkampf setzte er sich erneut gegen Wolfgang Gerhardt durch und übernahm von ihm Anfang 2006 auch das Amt als Fraktionsvorsitzender. Sein Status... © WNM
...als Alleinherrscher über die FDP stieß innerhalb der Partei auf überraschend wenig Widerstand. Die verbliebenen Kritiker verstummten,...
...als Alleinherrscher über die FDP stieß innerhalb der Partei auf überraschend wenig Widerstand. Die verbliebenen Kritiker verstummten,... © ddp
...als die FDP bei der Bundestagswahl 2009 mit 14,6 Prozent das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Westerwelles großes Vorbild...
...als die FDP bei der Bundestagswahl 2009 mit 14,6 Prozent das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Westerwelles großes Vorbild... © ddp
...Hans-Dietrich Genscher (l.) gratulierte zu dem historischen Erfolg, der die Liberalen...
...Hans-Dietrich Genscher (l.) gratulierte zu dem historischen Erfolg, der die Liberalen... © ddp
...zurück auf die Regierungsbank beförderte. In der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel übernimmt Westerwelle das Amt des Vizekanzlers...
...zurück auf die Regierungsbank beförderte. In der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel übernimmt Westerwelle das Amt des Vizekanzlers... © ddp
...sowie das des Außenministers. Hier verabschiedet er seinen SPD-Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (r.). Westerwelles Ambition ist es, in die Fußstapfen großer FDP-Außenminister wie Walter Scheel und eben Genscher zu treten. Zum ersten Schaulaufen...
...sowie das des Außenministers. Hier verabschiedet er seinen SPD-Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (r.). Westerwelles Ambition ist es, in die Fußstapfen großer FDP-Außenminister wie Walter Scheel und eben Genscher zu treten. Zum ersten Schaulaufen... © ddp
...ging es für ihn zum EU-Gipfel nach Brüssel - sein erster Auftritt auf internationalem Parkett in seinem neuen Amt. Im Anschluss begab er sich...
...ging es für ihn zum EU-Gipfel nach Brüssel - sein erster Auftritt auf internationalem Parkett in seinem neuen Amt. Im Anschluss begab er sich... © AFP
...auf seine Vorstellungsrunde quer durch Europa. Westerwelle traf sich in Paris mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (m.) und...
...auf seine Vorstellungsrunde quer durch Europa. Westerwelle traf sich in Paris mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (m.) und... © AP
...Außenminister Bernard Kouchner (r.), in den Niederlanden...
...Außenminister Bernard Kouchner (r.), in den Niederlanden... © AP
...mit Premierminister Jan Peter Balkenende (r.) und...
...mit Premierminister Jan Peter Balkenende (r.) und... © AFP
...in Polen mit Präsident Lech Kaczynski (r.). Während sich Westerwelle als deutscher Chefdiplomat zunächst Anerkennung erarbeiten muss,...
...in Polen mit Präsident Lech Kaczynski (r.). Während sich Westerwelle als deutscher Chefdiplomat zunächst Anerkennung erarbeiten muss,... © AFP
...ist seine Homosexualität längst akzeptiert. 2001 outete sich Westerwelle (hier mit Lebensgefährte Michael Mronz, r.) als zweiter deutscher Spitzenpolitiker nach Klaus Wowereit.
...ist seine Homosexualität längst akzeptiert. 2001 outete sich Westerwelle (hier mit Lebensgefährte Michael Mronz, r.) als zweiter deutscher Spitzenpolitiker nach Klaus Wowereit. © ddp
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Lindner: Wir haben nicht das Feuer einer sozialen Utopie, an dem sich alle wärmen können. Wir sind nüchterner, rationaler als die Grünen. Unser großes Thema ist die Offenheit für ein selbstbestimmtes Leben. Soviel Staat wie nötig und so wenig möglich, um die Freiheit des Einzelnen zu stärken. Da die Balance zu finden, ist die Identität der FDP.

Ihnen wie Philipp Rösler wird unterstellt, dass sie eher als Westerwelle eine Antenne für SPD und Grüne hätten. Sind Sie auch nur eine Projektionsfläche oder reden Sie mit denen?

Lindner: Philipp Rösler und ich kommen aus erfolgreichen schwarz-gelben Koalitionen. Aber natürlich gibt es Gesprächsfäden mit den Grünen und mit der SPD und eine Offenheit der FDP für alle demokratischen Parteien. Das ist aber keine Offerte. Wir machen Koalitionen von Gemeinsamkeiten in der Sache abhängig. Wenn SPD und Grüne zum Beispiel auf Distanz zur Agenda 2010 gehen,entfernen sie sich auch von uns.