Essen. . Die „Grauen Wölfe“ gewinnen immer mehr Einfluss auf türkische Jugendliche in NRW, warnen Experten. Sie ködern vor allem frustrierte junge Männer. Im Internet verbreiten sie ihre rassistische Propaganda - und gefährden die Integration.
Der Bochumer Stadtteil Dahlhausen ist als sozialer Brennpunkt bekannt. Hier leben viele Migranten. Genau das richtige Terrain für die „Grauen Wölfe“. Seit einigen Wochen haben die türkischen Rechtsradikalen in einer ehemaligen Gaststätte ihr Quartier bezogen. Sie besuchen Familien, knüpfen Kontakte in Moscheen und Vereinen. Ihr Werben zielt vor allem auf junge Männer, die enttäuscht sind von der deutschen Gesellschaft. Die Bochumer sind besorgt. Einige haben sich hilfesuchend an die Stadt gewandt, doch die kann nichts tun. Die ungeliebten Nachbarn werden zwar vom Verfassungsschutz beobachtet, doch verboten sind sie nicht.
Rund 70 Vereine der nationalistischen Bewegung mit mehr als 2000 Mitgliedern zählen die Verfassungsschützer in NRW. Beinahe in jeder größeren Stadt gibt es Vereinsheime der Grauen Wölfe. „Ihr Einfluss auf türkische Jugendliche hat deutlich zugenommen“, sagt der Bochumer Erziehungswissenschaftler Kemal Bozay, ein Kenner der Szene. Vor allem in der dritten Generation mache sich zunehmend Perspektivlosigkeit breit. „Die jungen Leute fühlen sich von der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt. Sie suchen nach einer Identität, nach einem Ort, an dem sie wahrgenommen werden“, erklärt Bozay. „Das nutzt die Organisation aus.“
Gefahr für die Integration
Die Grauen Wölfe, auch Ülkücü-Bewegung genannt, ködern die Jugendlichen mit einem reichhaltigen Freizeit-Angebot und Gemeinschaftsgefühl. Und ganz nebenbei wird ihnen in Kursen der rassistische Türken-Kult der Organisation eingeimpft. Das Ganze funktioniert nach dem Prinzip: Wir hier drinnen und die da draußen. Mit fatalen Folgen: „Das Erstarken eines übersteigerten türkischen Nationalbewusstseins gibt Anlass zur Sorge, da dies die Integration der Jugendlichen in die Lebens- und Gesellschaftsverhältnisse in Deutschland behindert“, warnen die NRW-Verfassungsschützer in ihrem jüngsten Bericht.
Von einer Integrations-Gefahr spricht auch der SPD-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel. „Da kommt ein Riesen-Problem auf uns zu. Wenn wir nicht gegensteuern, treiben wir ganze Bugwellen von Jugendlichen in die Arme türkischer Rechtsradikaler.“ Wissenschaftler Bozay und Politiker Yüksel sind sich einig: Die Migranten-Schelte von Thilo Sarrazin und die anschließende Debatte hätten den Grauen Wölfen noch zusätzlichen Auftrieb gegeben.
Gedankengut vergleichbar mit deutschen Neonazis
Auch von den Familien kommt zumeist wenig Widerstand. „Die türkischen Vereine holen die Kinder von der Straße“, sagt Cem Sentürk vom Zentrum für Türkeistudien in Essen. Deshalb sei es den Eltern durchaus angenehmer, wenn die Jugendlichen ihre Zeit im Vereinsheim als anderswo verbringen. Zumal die türkischen Rechten meist höflich und moderat auftreten. Politische Großveranstaltungen seien seltener geworden, sagt Sentürk. Stattdessen habe man sich auf soziales Engagement verlegt. Das mache es den Behörden schwerer, Einblicke zu gewinnen. Auch der Gewalt haben die Grauen Wölfe offiziell abgeschworen.
Doch die Saubermann-Fassade ist unecht. Dahinter verbirgt sich eine Ideologie, die es locker mit dem Gedankengut deutscher Neonazis aufnehmen kann: übersteigerter Nationalismus, Führer-Kult und die Überzeugung, dass die eigene Rasse überlegen ist. Selbst bei den Feindbildern gibt es Gemeinsamkeiten: Deutsche und türkische Rechtsradikale eint der Hass auf Juden und Homosexuelle. Auch der Traum von einem Großreich gibt es bei den Grauen Wölfen: Es soll „Turan“ heißen und sich von Zentralasien bis zum Balkan erstrecken.
Hasserfüllte Propaganda im Internet
Im Internet zeigen die türkischen Rechtsradikalen ihr wahres Gesicht. In Videos, Chats und Blogs werden Kurden, Juden und andere „Feinde“ zur Zielscheibe hasserfüllter und teils hochaggressiver Propaganda, wie eine Untesuchung des NRW-Verfassungsschutzes zeigt. Vor allem Portale wie Youtube und Facebook werden gezielt genutzt. Auf Facebook gibt es verschiedene Gruppenseiten, die jedoch nur auf Empfehlung eines Mitglieds aufgerufen werden können.
Vielfach stellen die Jugendlichen auch selbst eigene Videos ins Netz. Darin inszenieren sie sich „als ‚harte Männer’, die – notfalls mit ihrem Leben – die Türkei verteidigen“, schreiben die Verfassungsschützer. „ Die Stimme aus dem Untergrund, man nennt mich auch den grauen Wolf. (...) Wir sind stark wie 1000 Volt. Du willst mich batteln, Du hast einen Fehler gemacht! Und für die sechs in Mathe hab’ ich meinen Lehrer geklatscht. (...) Du willst mein Land beleidigen und ich geb’ Dir den Gnadenstoß“, rapt etwa eine grimmige Stimme, während im Hintergrund Bilder von türkischen Soldaten, Fahnen und anderen National-Symbolen vorbeiziehen.
„Problem unterschätzt“
Das Fazit des NRW-Verfassungsschutzes: „Es ist davon auszugehen, dass sich mittlerweile nicht zuletzt durch das Internet eine eigene Jugendkultur der Ülkücü etabliert hat. Diese Jugendszene scheint sich weiter zu radikalisieren.“ Über das Internet kämen viele Jugendliche zudem erstmals in Kontakt mit der Ideologie der Grauen Wölfe, sagt Bozay. Dieses Gedankengut tragen sie dann in Vereine und Schulen. Immer wieder hätten Lehrer in den vergangenen Jahren über heftige Auseinandersetzungen mit ideologisierten Jugendlichen geklagt.
Doch auch die Erwachsenenwelt ist vor den Grauen Wölfen nicht gefeit. Immer wieder wird davor gewarnt, dass sich türkische Radikale in etablierte deutsche Parteien einschleichen. In NRW sei das Deutsch-Türkische Forum der CDU und vereinzelt auch die SPD von Mitgliedern der Grauen Wölfe infiltriert, klagt Yüksel. „Es ist ihnen zudem gelungen, in erheblichem Maße die Integrationsräte zu unterwandern.“
Aus Unwissenheit werde das Problem in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft und Politik völlig unterschätzt, sagt Yüksel. Auch in der Jugendarbeit und den Schulen gebe es noch keine Konzepte, um den Einfluss der Grauen Wölfe wirksam zu bekämpfen, bestätigt Bozay. „Wenn in der Essener Grugahalle Tausende türkische Rechtsradikale zusammenkommen, machen wir uns keine Sorgen“, sagt Yüksel. „Aber wenn 100 NPD-Mitglieder aufmarschieren, organisieren wir sofort eine Gegendemo.“