Leinfelden. . Islamfeindlichkeit ist nur eine Facette von Fremdenfeindlichkeit, urteilen Sozialpsychologen. Wer Vorurteile gegen Muslime hege, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch feindlich eingestellt gegenüber Juden, Schwulen oder Obdachlosen. Es gehe meist nicht um eine spezielle Gruppe, sondern um Fremde an sich. Persönliche Kontakte könnten helfen, Vorurteile aufzubrechen.

Islamfeindlichkeit ist nur eine Facette von Fremdenfeindlichkeit, urteilen Sozialpsychologen. Wer Vorurteile gegen Muslime hege, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch feindlich eingestellt gegenüber Juden, Schwulen oder Obdachlosen. Es gehe meist nicht um eine spezielle Gruppe, sondern um Fremde an sich. Persönliche Kontakte könnten helfen, Vorurteile aufzubrechen.

Demonstrationen gegen den Bau von Moscheen, ein Bestseller über die angeblich fehlende Integration von „Menschen mit Migrationshintergrund“, eine Prügelei zwischen jungen Türken und ihren deutschstämmigen Altersgenossen, eine abwertende Bemerkung dem marokkanischen Arbeitskollegen gegenüber - Vorurteile gegenüber Fremden haben viele Gesichter. Besonders ausgeprägt sind die Ressentiments aktuell gegen „die Muslime“, Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen, die eigentlich nur eine einzige Gemeinsamkeit haben: ihre Religion.

Vorbehalte in ganz Europa

Diese Vorbehalte sind in ganz Europa verbreitet. Erst kürzlich hat eine repräsentative Studie unter der Leitung des Bielefelder Sozialpsychologen Andreas Zick in acht europäischen Ländern ergeben: Mehr als 44 Prozent der insgesamt rund 8.000 Befragten sind der Ansicht, es gebe in ihrem Land zu viele Muslime. Allerdings steckten nur selten negative persönliche Erfahrungen hinter dem negativen Islambild, berichtet das Magazin „bild der wissenschaft“ in seiner März-Ausgabe. Vielmehr scheint Islamfeindlichkeit lediglich eine Facette eines grundlegenderen Problems zu sein: einem „Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, wie Sozialpsychologen das Phänomen nennen.

„Wer Vorurteile gegenüber Muslimen hat, pflegt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch Vorbehalte gegenüber Juden, Schwarzen, Einwanderern, Frauen, Homosexuellen, Obdachlosen, Behinderten und Langzeitarbeitslosen“, erläutert Zick. Offenbar sind es also nicht spezielle Besonderheiten wie etwa das Kopftuch, die von den Menschen abgelehnt werden, sondern die fremde Gruppe an sich - solange sie sich von der eigenen abgrenzen lässt.

Schubladendenken angeboren

Die Grundlage für diese Neigung zum Schubladendenken ist angeboren: Menschen müssen, um in ihrer komplizierten Umwelt zurechtzukommen, alles um sich herum inklusive ihrer Mitmenschen in Kategorien einordnen. Dann werden den Kategorien automatisch und unbewusst typische Eigenschaften zugeschrieben. Die Folge: Es entsteht ein Stereotyp.

So weit, so unproblematisch. In vielen Situationen ist man jedoch gezwungen, auch sich selbst einer Kategorie zuzuordnen. Man wird vom Individuum zum Gruppenmitglied - und in diesem Moment beginnen zwei Mechanismen zu greifen: die Gruppendynamik und eine Veränderung des eigenen Selbstkonzeptes.

Die eigene Gruppe gegen die andere

Erstere kann erstaunliche Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Welt haben. Gezeigt hat das bereits in den 1960er-Jahren ein polnisch-britischer Sozialpsychologe mit einem einfachen Experiment: Er ließ Freiwillige die Länge von acht Hölzchen schätzen, wobei er die kürzeren vier mit dem Buchstaben A bezeichnete und die längeren vier mit dem B markierte. Das Ergebnis: Allein diese völlig willkürliche Gruppeneinteilung ließ die Probanden die Längenunterschiede der Hölzchen innerhalb der Gruppen unter- und die zwischen den Gruppen überschätzen.

Auch im Alltag schlägt dieses Phänomen zu: Es reicht beispielsweise aus, eine Nationalität zu erwähnen - und schon sind für das Gehirn „die Türken“ eine ganz homogene Gruppe, die sich deutlich von „den Deutschen“ unterscheidet.

Triebkraft Angst

Dazu kommt noch eine Art Umbau des Selbstkonzeptes: Sobald man sich einer Gruppe zuordnet, wird diese Gruppe automatisch zur Konstruktion des Selbstbildes herangezogen. Für ein positives Selbstbild ist es daher wichtig, die eigene Gruppe so gut wie möglich dastehen zu lassen - entweder, indem man sie aufwertet oder, was meist einfacher ist, indem man alle anderen Gruppen abwertet, ihnen unangenehmen Eigenschaften zuschreibt oder Gutes abspricht. Ein Vorurteil ist geboren.

So vielfältig diese Mechanismen und Prozesse erscheinen, im Grunde steckt Angst als einzige Triebkraft dahinter. Angst, dass die Stellung der eigenen Gruppe infrage gestellt wird, dass Ressourcen wie Arbeitsplätze oder auch kulturelle Werte verloren gehen könnten, dass die Überlegenheit anderer das Selbstkonzept in Scherben gehen lässt.

Test mit Kindern

Der Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim hat die Verknüpfung einer derartigen sozialen Angst mit Vorurteilen eindrucksvoll illustriert: Er ließ Kinder Zeichnungen anschauen, auf denen dunkelhäutige und hellhäutige Personen zu sehen waren, und erzählte dazu eine Geschichte, in der positive und negative Charaktereigenschaften vorkamen. Die Kleinen sollten anschließend sagen, welche der gezeichneten Figuren sie für clever oder freundlich oder aber für gemein und dumm hielten.

Der Clou dabei: Meyer-Lindenberg testete nicht nur gesunde Kinder, sondern auch solche mit einer genetischen Störung namens Williams-Beuren-Syndrom. „Diese Kinder kennen keine soziale Angst, weil das Angstzentrum in ihrem Gehirn nicht die richtigen Steuersignale bekommt“, sagt der Experte gegenüber „bild der wissenschaft“. Im Test zeigte sich das in einer völlig anderen Zuordnung der Eigenschaften zu den Figuren: Während die gesunden Kinder dazu neigten, die positiven Merkmale den Personen mit ihrer eigenen Hautfarbe zuzuordnen, wählten die Williams-Kinder die Zuordnung völlig zufällig aus. „Das ist die erste Gruppe überhaupt, die in diesem Test keine ethnischen Vorurteile gezeigt hat“, betont Meyer-Lindenberg.

Kontakte bauen Vorurteile ab

Studien wie diese haben vor allem ein Ziel: Das Entstehen von Vorurteilen zu verstehen und damit auch Strategien dagegen zu finden. Denn Vorurteile sind nur sehr schwer abzubauen, vor allem, wenn sie gesellschaftlich toleriert werden. Hilfreich sei alles, was dazu beitrage, die Grenzen zwischen der Eigen- und der Fremdgruppe aufzulösen oder neu zu definieren, sagt Zick - etwa ein gemeinsamer „Feind“, wie er bei einem Arbeitskampf entsteht.

Hier kämpften Ausländer und Deutsche als „Arbeitnehmer“ häufig harmonisch Seite an Seite gegen „den Arbeitgeber“. Auch persönliche Kontakte sind unverzichtbar. Schlussendlich müssen aber auch gesellschaftliche Prozesse angestoßen werden, die Vorurteilen den Boden entziehen. Ein Beispiel dafür ist die Gleichstellung von Homo- und Heterosexuellen vor dem Gesetz: Seitdem es sie gibt, nehmen auch die Vorurteile messbar ab. (Ilka Lehnen-Beyel,dapd)