Tobruk. Im Osten von Libyen, in Tobruk, hat „Revolutionsführer“ Gaddafi nichts mehr zu sagen. Hier verteilen desertierte Piloten Wasser und Kekse. Im 1500 Kilometer entfernten Tripolis dagegen lässt der Despot weiter auf Männer, Frauen und Kinder schießen.

Idris Kamiss ist Meteorologe. „Ich bin fünfzig Jahre alt. Vierzig Jahre habe ich auf diesen Tag gewartet“, ruft er inmitten der brodelnden Menge. Auf die Frage nach seiner politischen Wettervorhersage für Libyen zögert er keine Sekunde – es gibt noch einen schweren Sturm, sagt er. „Und dann scheint die Sonne“. Hinter ihm zieht ein junger Schüler durch die Menge mit dem Plakat „Schach matt für den König der Könige Afrikas“.

Muammar al Gaddafi

Auf den Straßen von Bengasi...
Auf den Straßen von Bengasi...
...feiern die Menschen den Einzug...
...feiern die Menschen den Einzug...
... der libyschen Rebellen nach Tripolis. Viele der feiernden Menschen...
... der libyschen Rebellen nach Tripolis. Viele der feiernden Menschen...
... dürften den gleichen Wunsch haben: Diese Männer bringen ihn mit einem selbst gemalten Plakat deutlich zur Geltung. 42 Jahre...
... dürften den gleichen Wunsch haben: Diese Männer bringen ihn mit einem selbst gemalten Plakat deutlich zur Geltung. 42 Jahre...
... Regierungszeit machten  Muammar al Gaddafi zu Afrikas dienstältestem Herrscher, er selbst nannte sich deshalb den
... Regierungszeit machten Muammar al Gaddafi zu Afrikas dienstältestem Herrscher, er selbst nannte sich deshalb den "König der afrikanischen Könige". Oberst Gaddafi, nach eigenen Worten 1942 in einem Beduinenstamm ... © AP/Sergei Grits
... in der Wüste nahe der Stadt Surt geboren, putschte sich im September 1969 unblutig an die Macht und rief wenige Jahre später den
... in der Wüste nahe der Stadt Surt geboren, putschte sich im September 1969 unblutig an die Macht und rief wenige Jahre später den "Staat der Massen" aus. Der regiert sich ... © AP/Francois Mori
... zumindest in der Theorie selbst und braucht folglich keinen Staatschef, weshalb Gaddafi sich nie so nennen ließ.
... zumindest in der Theorie selbst und braucht folglich keinen Staatschef, weshalb Gaddafi sich nie so nennen ließ. © REUTERS
Zu den harmlosen Sonderlichkeiten des Revolutionsführers gehört das berühmte Beduinenzelt, das er selbst zu Staatsbesuchen ins Ausland mitnimmt, weil er nicht in einem Haus schlafen mag. Eine weitere Schrulle ...
Zu den harmlosen Sonderlichkeiten des Revolutionsführers gehört das berühmte Beduinenzelt, das er selbst zu Staatsbesuchen ins Ausland mitnimmt, weil er nicht in einem Haus schlafen mag. Eine weitere Schrulle ... © REUTERS
... ist die frische Kamelmilch, auf die er morgens nicht verzichten mag, weshalb immer auch ein paar Kamelstuten mit ins Flugzeug müssen, wenn er auf Reisen geht.
... ist die frische Kamelmilch, auf die er morgens nicht verzichten mag, weshalb immer auch ein paar Kamelstuten mit ins Flugzeug müssen, wenn er auf Reisen geht. © REUTERS
Seine Herrschaft konnte Gaddafi aber nur mit eiserner Hand festigen. Politische Gegner wurden gnadenlos unterdrückt. Zugleich achtete er bei der Verteilung ...
Seine Herrschaft konnte Gaddafi aber nur mit eiserner Hand festigen. Politische Gegner wurden gnadenlos unterdrückt. Zugleich achtete er bei der Verteilung ... © REUTERS
... von Macht und Posten darauf, dass die komplizierte Stammesstruktur seines Landes nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ablehnung und Protest war Gaddafi daher während seiner Herrschaft bisher nur außerhalb seiner Heimat gewohnt.
... von Macht und Posten darauf, dass die komplizierte Stammesstruktur seines Landes nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ablehnung und Protest war Gaddafi daher während seiner Herrschaft bisher nur außerhalb seiner Heimat gewohnt. © REUTERS
Zum internationalen Paria wurde Gaddafi nach einer Serie von Anschlägen, die seinem Regime zugeschrieben wurden.
Zum internationalen Paria wurde Gaddafi nach einer Serie von Anschlägen, die seinem Regime zugeschrieben wurden. © REUTERS
Anfang der 90er Jahre verhängten die Vereinten Nationen ein Handelsembargo. Jahrelang hielt Gaddafi dem Druck stand, doch im Frühjahr 2003 entschädigte er dann die Opfer der beiden Flugzeuganschläge, ...
Anfang der 90er Jahre verhängten die Vereinten Nationen ein Handelsembargo. Jahrelang hielt Gaddafi dem Druck stand, doch im Frühjahr 2003 entschädigte er dann die Opfer der beiden Flugzeuganschläge, ... © REUTERS
... wenig später schwor er öffentlich seinem Rüstungsprogramm ab. Im darauffolgenden Jahr zahlte die Gaddafi-Stiftung auch Entschädigungen an die Opfer des La-Belle-Anschlags.
... wenig später schwor er öffentlich seinem Rüstungsprogramm ab. Im darauffolgenden Jahr zahlte die Gaddafi-Stiftung auch Entschädigungen an die Opfer des La-Belle-Anschlags. © AFP
Damit vollzog Gaddafi eine radikale Kehrtwende und streckte die Hand nach dem Westen aus. Libyen wurde wieder hoffähig, die UNO hob das Embargo auf. Internationale Konzerne standen ...
Damit vollzog Gaddafi eine radikale Kehrtwende und streckte die Hand nach dem Westen aus. Libyen wurde wieder hoffähig, die UNO hob das Embargo auf. Internationale Konzerne standen ... © REUTERS
... fortan in Tripolis Schlange, um Geschäfte mit dem viertgrößten afrikanischen Ölproduzenten einzufädeln. Die Europäer machten ihn zum Partner, um Flüchtlingsströme aus Afrika einzudämmen.
... fortan in Tripolis Schlange, um Geschäfte mit dem viertgrößten afrikanischen Ölproduzenten einzufädeln. Die Europäer machten ihn zum Partner, um Flüchtlingsströme aus Afrika einzudämmen. © REUTERS
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Gut eine Woche ist vergangen seit dem ersten „Tag des Zorns“ gegen Muammar al-Gaddafi, den „Führer der Führer Arabiens, König der Könige Afrikas und Imam aller Muslime“ – wie er sich selbst zu titulieren pflegt. Und die Stadt Tobruk feiert. Für ihre 160 000 Einwohner ist Gaddafis Regime bereits Geschichte. In der 1500 Kilometer entfernten Hauptstadt Tripolis dagegen lässt der blindwütige Despot weiter auf Männer, Frauen und Kinder schießen.

Junge Leute schützten die Bank vor Plünderern

Auf dem ehemaligen Königsplatz im Zentrum von Tobruk braucht man sich nur ein Mal im Kreis zu drehen – und hat den gesamten Aufstand des Volkes vor Augen. So liegen vor dem Haus der Revolutionären Volkskomitees noch die Splitter von Gaddafis Grünbuch. Bilder von Demonstranten, die am ersten „Tag des Zorns“ die Betonskulptur vom Sockel stürzten, gingen um die ganze Welt. Auf dem Dach der völlig ausgebrannten Polizeistation tanzen Menschen und haben wieder die alte Landesflagge aus Zeiten der Monarchie aufgezogen. Der Hof liegt voll mit ausgebrannten Autos, alle Haftzellen und Büros im Inneren sind nur noch schwarze Löcher. Unter Gejohle und Gewehrsalven wird an der Außenwand eine Gaddafi-Puppe hochgezogen. Das Gebäude der Bankzentrale dagegen thront unbeschädigt über der Menge – genauso wie gegenüber am Rande des kleinen Mittelmeerhafens die Ölraffinerie der Stadt. Junge Leute hatten Tag und Nacht vor der hölzernen Flügeltür der Bank campiert, um eine Plünderung zu verhindern. Und ein Offizier verweigerte den Befehl aus Tripolis, die Ölanlage in ein Inferno zu verwandeln.

„Gaddafi, hau ab“ flattert als Banderole an dem Minarett der Hauptmoschee. Autos mit jubilierenden jungen Männern kreisen als lärmende Konvois. Und in dem Gewühl schreien sich die Menschen vier Jahrzehnte Frust und Unterdrückung aus dem Leib. Sie überschlagen sich mit ihren Klagen über das Regime, keiner kann den anderen ausreden lassen. Jeder will seine Verachtung zu Protokoll geben. „Er hat uns Ratten genannt, er soll zum Teufel gehen“, rufen sie. „Wir sind ein reiches Land und eine armes Volk – wie kann das sein“, geht ein anderer dazwischen. „Es gab keine Freiheit, keine guten Kliniken, Schulen oder Universitäten“, deklamiert ein Dritter. Etwas Negatives über den großen „Bruder Führer“ zu sagen, sei tabu gewesen. Wer es dennoch tat, riskierte Prügel und Folter durch Gaddafis Revolutionswächter.

Piloten desertierten – jetzt reichen sie Kekse und Wasser

„Willkommen im freien Teil Libyens“, grüßen die neuen blutjungen Revolutionäre bereits an der Grenze. Der ganze Osten des Riesenlandes, fünfmal so groß wie Deutschland, ist inzwischen von Muammar al-Gaddafi abgefallen. Direkt hinter der Grenzstation bieten zwei Männer den Besuchern Kekse und Wasser an. Mit ihren betagten russischen MI-8 Hubschraubern hatten sie die Demonstranten angreifen sollen – da sind sie desertiert. Bereitwillig nennen die beiden Ex-Piloten ihre Namen und Handynummern. Einige Tage schon halten sie sich nahe der Grenze zu Ägypten auf, um notfalls schnell auf der andere Seite unterzutauchen. „Gaddafi ist ein Nachkomme Hitlers“, meint der eine in makellosem Englisch, die graue Fliegerjacke der Luftwaffe trägt er noch. Dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die 75 Minuten lange TV-Tirade des fauchenden Beduinenobersts „fürchterlich“ fand und mit Sanktionen droht, haben er und viele hier mitbekommen und dankbar registriert.

Junge Kerle in Jeans und rasch requirierten Armeejacken bemannen jetzt die libyschen Grenzposten zu Ägypten. Einer hat sich eine Schirmmütze aufgesetzt und salutiert burlesk. Einreisestempel gibt es keine mehr, die haben die regulären Wächter auf ihrer Flucht mitgenommen. Nur die Pässe wollen sie noch einmal sehen, dann geht es im Kleinbus mit halsbrecherischem Tempo in das 150 Kilometer entfernte Tobruk. Unterwegs postiert sind immer wieder Straßensperren der Aufständischen, ihre Disziplin und Freundlichkeit erinnert an die Selbstorganisation der Protestierer vor zwei Wochen auf dem Tahrir-Platz in Kairo.

Alles hier im Osten wirkt ärmlich

Alles hier in der Ostprovinz Cyrenaika allerdings wirkt ärmlicher als im reichen Westen der Provinz Tripolitana, wo Gaddafi jetzt die Reste seiner Anhänger um sich schart – die Revolutionären Komitees, die loyalen Teile der Armee sowie die politischen und finanzielle Profiteure seines Regimes. Jahrzehntelang wurde der Osten vernachlässigt. Das Land ist karg und sandig, die Arbeitslosigkeit liegt teilweise über 30 Prozent, manchmal sieht man einige Dutzend Schafe am Rand der zweispurigen Straße grasen, die immer wieder gähnende und lebensgefährliche Schlaglöcher hat.

Tagsüber wirkt Tobruk eigentlich wieder relativ normal. Die Geschäfte sind offen, die Menschen arbeiten, der Verkehr fließt. Nur die durchfahrenden hochbeladenen und voll gequetschen Minibusse erinnern daran, dass in anderen Teilen des Landes weiter gekämpft und gestorben wird. Zehntausende ägyptische Arbeiter sind inzwischen auf der Flucht. Ihren ganzen Hausrat schleppen sie mit zurück in die Heimat – Teppiche, Lampen, Wolldecken, Gaskocher und Kleinmöbel. Fünf Kilometer hinter dem Schlagbaum zu Libyen hat Ägyptens Roter Halbmond ein Notlazarett errichtet, um verletzten Flüchtlingen sofort helfen zu können. Die Armee orderte hunderte großer und kleiner Busse herbei, die in langen Schlangen auf die erschöpften Passagiere von drüben warten.

Im Westteil halten die Kämpfe an

Ähnliche Szenen gibt es aber auch in Tripolis. Der kleine und total veraltete Flughafen wird von den Fliehenden belagert, am Fährhafen herrschen Tumult und Chaos. Die EU will in den nächsten Tagen zehntausend Bürger per Luftbrücke evakuieren, asiatische Nationen sogar 100 000 Menschen, die auf den Großbaustellen des Landes geackert hatten. China und Russland holen 30 000 ab, die meisten bauen an Gaddafis Eisenbahn, die einmal von der tunesischen bis zur ägyptischen Grenze gehen soll. Und die Türkei, ganz groß im libyschen Baugeschäft, holt einen Großteil ihrer 5000 Ingeniere und Facharbeiter ab. Die Ölproduktion des Landes, zu 95 Prozent Einnahmequelle des Regimes, ist nahe dem Zusammenbruch. Weltweit schnellen die Preis für Rohöl nach oben. Die einzige Gaspipeline zur früheren Kolonialmacht Italien ist gekappt. Und in Rom befürchtet man nach einem Sturz Gaddafis eine Fluchtwelle aus Libyen von „biblischen Ausmaßen“.

Gaddafi in Rom

Einst war Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi der Schrecken der westlichen Welt.
Einst war Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi der Schrecken der westlichen Welt. © AP
Doch seit der selbst ernannte Revolutionsführer ankündigte, sein Land werde die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen stoppen, ...
Doch seit der selbst ernannte Revolutionsführer ankündigte, sein Land werde die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen stoppen, ... © AP
... ist er auf Kuschelkurs mit dem Westen.
... ist er auf Kuschelkurs mit dem Westen. © AFP
Silvio Berlusconi empfing den 67-Jährigen in Rom.
Silvio Berlusconi empfing den 67-Jährigen in Rom. © AFP
Gaddafi wird für drei Tage in Italien bleiben.
Gaddafi wird für drei Tage in Italien bleiben. © AFP
Das Treffen besiegelt die Annäherung zwischen den beiden Staaten.
Das Treffen besiegelt die Annäherung zwischen den beiden Staaten. © AFP
Die italienische Regierung hat einen Vertrag unterschrieben und wird in den nächsten 25 Jahren 3,5 Milliarden Euro an Libyen zahlen - als Entschädigung für die Kolonialzeit.
Die italienische Regierung hat einen Vertrag unterschrieben und wird in den nächsten 25 Jahren 3,5 Milliarden Euro an Libyen zahlen - als Entschädigung für die Kolonialzeit. © AFP
Libyen stand von 1911 bis 1947 unter der Kolonialherrschaft von Italien.
Libyen stand von 1911 bis 1947 unter der Kolonialherrschaft von Italien. © AFP
Rom erhofft sich von den besseren Beziehungen, den Flüchtlingsstrom aus Libyen nach Italien einzudämmen.
Rom erhofft sich von den besseren Beziehungen, den Flüchtlingsstrom aus Libyen nach Italien einzudämmen. © AP
Den Auftritt in Rom nutzt der Libyer, um sich selbst zu inszenieren.
Den Auftritt in Rom nutzt der Libyer, um sich selbst zu inszenieren. © AP
Nicht nur dass er sich von schwer ...
Nicht nur dass er sich von schwer ... © AP
... uniformierten Damen begleiten ließ.
... uniformierten Damen begleiten ließ. © AP
Während seiner Ankunft ...
Während seiner Ankunft ... © AFP
... trug er auf seiner eigenen Uniform ...
... trug er auf seiner eigenen Uniform ... © AP
... ein polarisierendes Schwarzweiß-Foto aus dem Jahr 1931. Es zeigt Omar al Muktar, der den Spitznamen
... ein polarisierendes Schwarzweiß-Foto aus dem Jahr 1931. Es zeigt Omar al Muktar, der den Spitznamen "König der Wüste" trug, bei .... © AFP
... seiner Verhaftung durch Soldaten des italienischen Faschisten-Regimes.
... seiner Verhaftung durch Soldaten des italienischen Faschisten-Regimes. © AP
Der libysche Held wurde von den Italienern hingerichtet.
Der libysche Held wurde von den Italienern hingerichtet. © AFP
Am Mittwochnachmittag traf sich ...
Am Mittwochnachmittag traf sich ... © AFP
... Gaddafi mit dem italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano.
... Gaddafi mit dem italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano. © AP
Gemeinsam gaben sie ...
Gemeinsam gaben sie ... © AP
... im Präsidenten-Palast eine Pressekonferenz.
... im Präsidenten-Palast eine Pressekonferenz. © AP
Die Gegend um die Villa Pamphili in Rom, wo der Staatschef übernachtet, wird von der Polizei überwacht. Obwohl die Gastgeber dem Libyer diese schicke Unterkunft zur Verfügung gestellt haben, bestand der ...
Die Gegend um die Villa Pamphili in Rom, wo der Staatschef übernachtet, wird von der Polizei überwacht. Obwohl die Gastgeber dem Libyer diese schicke Unterkunft zur Verfügung gestellt haben, bestand der ... © AP
... darauf, dass dieses Zelt im Park der Villa errichtet wurde. Auch das gehört zur Inszenierung von Gaddafi. Er ist der Sprössling einer Beduinenenfamilie.
... darauf, dass dieses Zelt im Park der Villa errichtet wurde. Auch das gehört zur Inszenierung von Gaddafi. Er ist der Sprössling einer Beduinenenfamilie. © AP
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Doch noch hat der selbst ernannte Revolutionsführer nicht aufgegeben. Bis zum letzten Tropfen Blut werde er kämpfen, drohte er. Sich selbst ernannte der 68-Jährige kurzerhand zum „Revolutionsführer für immer“. Die Aufständischen beschimpfte er als Ratten und Drogensüchtige. „Haus um Haus“ und „Meter um Meter“ werde man von ihnen säubern. Und wieder ließ er Hubschrauber und Kampfjets Angriffe auf die eigenen Bürger fliegen, während das Staatsfernsehen stundenlang und unverdrossen ein Häuflein Regimeanhänger zeigte, die Fahnen schwenkend über den Grünen Platz in Tripolis zogen. Mehr als tausend Menschen sind in den acht Tagen des Aufstands bisher ums Leben gekommen, die meisten gestorben durch Scharfschützen oder die gefürchteten afrikanischen Söldner, die Gaddafi aus Tschad, Nigeria und Mali einfliegen ließ. Allein in den letzten 48 Stunden seien über 4000 weitere dieser eilig angeheuerten Todesschwadrone mit Militärtransportern ins Land geschafft worden, berichtete ein Luftwaffenoffizier aus Benghazi. „Darum hat sich die Armee dann auch gegen das Regime gestellt“. 130 Soldaten bezahlten dafür mit dem Leben allein in Benghazi, das als Epizentrum des Volksaufstandes gilt. Sie wurden in den Kasernen hingerichtet, weil sie nicht auf ihre Landsleute feuern wollten.

„Hier ist niemand gestorben“

Im 500 Kilometer entfernten Tobruk saß Salma Faradsh in dem dramatischen Moment mit am Tisch, als der Militärkommandeur Gaddafis Befehl aus Tripolis erhielt, sofort auf alle Demonstranten in der Stadt schießen zu lassen. Perfekt geschminkt trägt die 31-Jährige ihre beige Offiziersuniform im Rang eines Hauptmanns, als sie auf dem ehemaligen Königplatz bei der Frauendemo mitmischt. Ihr Chef habe den Befehl verweigert, Gaddafi daraufhin ein Killerkommando auf ihn angesetzt, sagt sie. Und heute? „Er lebt, hier ist niemand gestorben und ich bin weiter in der Armee.“