Essen. . Die Wehrpflicht wird ausgesetzt, zugleich hat die Armee Nachwuchssorgen. Experte Michael Wolffsohn befürchtet nun, dass die Bundeswehr immer mehr zum Auffangbecken für Arme wird. Im Extrem-Fall könne es sogar zum Militär-Putsch kommen.

Die Wehrpflicht wird zum 1. Juli ausgesetzt, die Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee umgebaut. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Michael Wolffsohn: Nur ein geringer Teil der Bürger geht freiwillig zu den Streitkräften. Es sei denn, es werden hohe materielle oder ideelle Anreize geschaffen. Das ist gegenwärtig nicht möglich. Das bedeutet, dass diejenigen verstärkt zum Militär gehen werden, die woanders nicht unterkommen. Der Militärdienst ist kein Beruf wie jeder andere. Dieser sichere Beruf ist manchmal todsicher.

Sie warnen schon länger davor, dass sich die Bundeswehr zu einer Unterschichten-Armee entwickelt. Wird diese Tendenz jetzt verschärft?

Michael Wolffsohn ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Foto: Jakob Studnar
Michael Wolffsohn ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Foto: Jakob Studnar © WAZ / Jakob Studnar

Wolffsohn: Eindeutig ja. Das belegen auch die Erfahrungen anderer Länder, die die Wehrpflicht bereits abgeschafft haben. Die Bundeswehr wird zu einer Parallelgesellschaft, völlig abgekapselt von der bürgerlich-zivilen Gesellschaft. Das bedeutet eine völlige Umkehrung ihres Selbstverständnisses. Bisher wollte man den ‚Büger in Uniform’ , also fast jeden männlichen Bürger in Uniform. Künftig wird das fast nur noch für Unterschichten gelten.

Die Armee wird zum Auffangbecken für Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Chancen mehr haben?

Wolffsohn: Leider ja. Vor allem in den Manschafts-Graden. Und ich halte das für einen gesellschaftspolitischen Skandal. Das heißt doch ganz klar: ‚Weil du arm bist, musst du früher sterben.’ Und wenn wir erfolgreiche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik betreiben, werden wir letztlich noch weniger Personal für die Streitkräfte begeistern können. Deutschland wird somit mittelfristig nicht daran vorbei kommen, auch ausländische Unterschichten für die Bundeswehr anzuwerben.

Diese Idee gibt es bereits im Verteidigungsministerium. Im Öffentlichen Dienst würden schließlich schon Migranten ohne deutschen Pass beschäftigt, lautet die Begründung.

Wolffsohn: Es ist ein großer Unterschied, ob jemand Bleistifte spitzt oder eine Waffe in der Hand hat. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Streitkräften der Zukunft um eine Parallelgesellschaft handeln wird, ist auch eine politische Abkopplung möglich. Diese Verselbstständigung kann im Extremfall sogar zum Militär-Putsch führen. Aus der Geschichte kennen wir zahlreiche Beispiele.

Wie hoch sehen Sie die Gefahr, dass künftig auch Söldner, wie etwa bei der französischen Fremdenlegion, angeworben werden könnten?

Wolffsohn: Diese Gefahr sehe ich mittel- und langfristig auf jeden Fall auf uns zukommen.

Müssen wir uns Sorgen um das Ansehen der deutschen Soldaten machen, gerade auch bei Auslandseinsätzen?

Wolffsohn: Wenn es den ‚Bürger in Uniform’ nicht mehr gibt, gibt es auch keine Bürgerlichkeit in Uniform mehr. Und mit Bürgerlichkeit ist auch ein gewisses moralisches Verhalten verbunden. Wenn wir das nicht mehr voraussetzen können, dann müssen wir auch bei Kampfeinsätzen Schlimmes befürchten. Der Folterskandal von Abu Ghraib und andere Exzesse sind die Folge davon, dass es keine allgemeine Wehrpflicht in den amerikanischen Streitkräften mehr gibt.

Auch die Ostdeutschen sind in der Armee deutlich überrepräsentiert, sagen Sie.

Wolffsohn: Das wird vom Verteidigungsministerium öffentlich bestritten. Aber ich habe die aktuellen Zahlen aus dem Ministerium und die sind eindeutig: Rund dreißig Prozent der Bundeswehr-Angehörigen stammen aus den neuen Bundesländern. In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil der Ostdeutschen jedoch nur bei knapp 16 Prozent. Und je höher der Rang, desto niedriger ist der Anteil der Ostdeutschen in der Bundeswehr. Das ist wiederum ein Indiz für die ökonomische Ungleichheit zwischen Ost und West.

Zurzeit hat die Bundeswehr große Probleme, Interessenten für den Freiwilligendienst zu finden. Mit höheren Löhnen, besseren Karrierechancen und Familienfreundlichkeit will man junge Leute unter anderem ködern. Reicht das, um den Soldatenberuf für Gutausgebildete wieder attraktiv zu machen?

Wolffsohn: Die Militärgeschichte zeigt: Soldaten hat man nur durch Zwang oder durch gute Bezahlung und hohes Prestige gewinnen können. Niemand riskiert gerne den Tod, es sei denn der materielle Anreiz ist so hoch, dass man das Risiko auf sich nimmt. Oder man ist hochidealistisch. Es war und ist schwierig, Gutausgebildete für den Dienst an der Waffe zu finden. Erstens sind hervorragende Arbeitsbedingungen notwendig, die den Soldatenberuf trotz der immensen Gefährdung attraktiv machen. Zweitens ist es wichtig, dass man wirklich überzeugend vermitteln kann: ‚ Ihr riskiert euer Leben für die Verteidigung einer besseren, moralischeren Gesellschaft.’ Wenn die Gesellschaft aber nur noch als funktionierendes und nicht mehr als sinnstiftendes Ganzes gesehen wird, dann ist es auch schwer, Gutausgebildete und Idealisten für einen so gefährlichen Job zu gewinnen.

Es müsste also ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden.

Wolffsohn: Und das muss natürlich vorgelebt werden von den Führungskräften, der Politik, den Medien, der Wirtschaft, an den Universitäten und den Schulen. Jeder sollte sich selbst wieder als Teil eines größeren Ganzen begreifen. Jeder ist dazu aufgerufen, für diese Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen uns an unsere Ideale erinnern: Wofür stehen wir. Und wofür sind wir notfalls bereit zu sterben.

Sie sprechen auch die moralischen Maßstäbe in der Politik und an den Universitäten an. Da gibt unser Bundesverteidigungsminister derzeit ja leider kein so gutes Bild ab.

Wolffsohn: Ich halte das für ein Riesen-Problem, vor allem moralisch, möchte aber nicht nachtreten. Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung als Professor sagen: Es gibt immer wieder aktive Politiker aus allen Parteien, die gerne einen Doktortitel haben möchten, ohne die dafür notwendige Arbeit zu investieren. Ich habe sie immer abgewiesen.