Ruhrgebiet. . Es war genau in den Stunden, da die Menschen zur Arbeit wollten. Von 6 bis 8 Uhr legten 200 Lokführer die Arbeit nieder. Das Ergebnis: 330 Züge blieben beim Bahnstreik liegen. Und die Verspätungen zogen sich bis in den Nachmittag.

Es ist 5 Uhr 53, das Ruhrgebiet schaut in einen verfrorenen Morgen, doch im Bochumer Hauptbahnhof greifen schon die erprobten Rädchen eines anhebenden Arbeitstages ineinander. Die Leute strömen zu ihren be­kannten Gleisen, die Buchhandlung verkauft Zeitungen, der Bäcker Kaffee zum Mitnehmen, wie es scheint, aus Togo. Nur oben auf der Anzeigetafel, über den Köpfen der Leute, deutet sich das Unheil an, das gerade aufzieht: „Verspätung circa 10 Min“ steht plötzlich hinter der S-Bahn von 6 Uhr.

Und dann geht alles ganz schnell mit der Langsamkeit. Ein Zug nach dem anderen wird vertagt, und eine offenbar vorbereitete Durchsage geht auf Dauersendung: „Derzeit kommt es bundesweit zu Verspätungen und Zugausfällen aufgrund von Streikaktionen. Wir bitten um Entschuldigung.“ Die nicht mehr wegkommen von den Bahnsteigen, die ziehen sich zurück in den windgeschützten Gang. „Wir frieren selbst hier unten, ich hab gedacht, ich geh’ ein“, sagt Ursula Wefer aus Herne.

S-Bahnen bleiben liegen

Die Lokführer streiken. Menschen bleiben hängen. Schüler, Lehrer, Männer, Frauen, Urlauber, Pendler. Natürlich nicht alle, es trifft nie alle – aber sehr viele. Dieses Mal sind es besonders die S-Bahnen, bei denen an Rhein und Ruhr nichts mehr geht.

Rund 330 Züge bleiben laut Deutscher Bahn in den Bahnhöfen stehen oder erreichen nur mit Verspätung ihr Ziel. Teilweise kommt der Bahnverkehr zum Erliegen. Auf den Autobahnen entstehen lange Staus. „Alles ‘n Witz hier“, sagen Reisende in ihre Mobiltelefone, „Ich ruf in einer Stunde wieder an“ oder: „Nö, wird auch nichts durchgesagt.“

Manche werden sozusagen kalt erwischt: „Kann ich doch nicht ahnen, dass die heute streiken.“ Andere wollten noch durchschlüpfen vor der angekündigten Blockade, wie die Designerin Susanne von Poblotzki (31) auf dem Weg von Düsseldorf nach Münster: „Es ist ärgerlich, da steht man extra um vier auf, und jetzt hängt man doch hier.“ Sie will jetzt sehen, dass sie wenigstens nach Dortmund kommt: „Da ist der Bahnhof größer.“

Unverständnis für den GDL-Streik

Dortmund, das Gleiche in größer. „Verspätung ca 120 Min“ – „Delay approx 120 min“ steht hier gleichlautend hinter den nächsten acht Zügen.

Nichts geht, und die Meinung der Versetzten zum Streik umfasst die ganze Breite. Von: „Kann man verstehen, dass die gleiches Geld für gleiche Arbeit wollen.“ Bis: „Zum Kotzen. Ich wundere mich immer, wenn ich dann die Leute im Radio höre, die da alle Verständnis für haben.“

Der Regionalexpress nach Hamm schafft es gerade noch nach Dortmund, doch als er zum Stehen kommt, laufen schon drei Streikposten mit weiß-grüner GDL-Fahne neben der Lok her und sprechen den Fahrer an: „Hör’ mal, Kollege.“

So, mit diesem Zug ist jetzt auch Schluss, drinnen steht Günter Mayer, dessen Berufsleben reine Logistik ist: Er überführt Autos und Laster und knüpft sich die Wege so, dass sie aneinanderpassen. „Verpassen tu’ ich jetzt nichts, die Autos fahren ja nicht selbst“, sagt der Dortmunder.

Derweil wird der Bahnhof voller und voller, die Leute frieren, die Leute ziehen die Schals ins Gesicht, wenn sie nicht telefonieren: „Ich wollte nur Bescheid sagen, wir schreiben in der ersten Stunde Chemie, aber ich sitze noch fest.“ Hier in der Halle steht sogar die Bahnhofsuhr. Auf 7 Uhr 22. Aber das ist jetzt auch egal.

Verspätungen bis in den Abend

Frank Schmidt, Bezirksvorsitzender der GDL in NRW, in seinem Büro. (Foto: Studnar/WAZ FotoPool)
Frank Schmidt, Bezirksvorsitzender der GDL in NRW, in seinem Büro. (Foto: Studnar/WAZ FotoPool) © WAZ

Nach 8 Uhr kommt der Bahnverkehr langsam wieder in Gang. Die Verspätungen ziehen sich aber noch mehrere Stunden lang durch den Fahrplan. Zumindest der Regionalverkehr ist mittags wieder einigermaßen im Plan, auf den Fernverkehr wirkt sich der Streik noch bis in den Abend hinein aus. Schleppnetz, wenn man so will.

Die Lokführergewerkschaft GDL wertet den Streik als Erfolg. Mehr als 200 Lokführer der Deutschen Bahn und fast aller Privatbahnen haben sich beteiligt, sagt Frank Schmidt, Vorsitzender der GDL in Nordrhein-Westfalen. „Das ist ein deutliches Zeichen an die Arbeitgeber. Wir wollen zurück an den Verhandlungstisch.“

Nur eine Privatbahn habe vor dem Streik Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Sie habe jedem Lokführer, der „unter Verdacht steht, ein GDL-Sympathisant zu sein“, einen Ersatzmann quasi als Aufpasser an die Seite gestellt. Streiken unmöglich.

Die Gewerkschaft kündigt für die nächste Zeit weitere Warnstreiks an. Bis dahin soll das Ergebnis einer Urabstimmung über einen regulären Streik stehen. Der könnte sogar mehrere Tage dauern.