Berlin. .

Im Tarifstreit im Bahn-Nahverkehr hat es einen Durchbruch gegeben: Die Deutsche Bahn, die privaten Konkurrenten und die Verkehrsgewerkschaft EVG einigten sich auf einen Branchentarifvertrag.

Für die Beschäftigten im Schienenpersonennahverkehr gelten ab 1. Februar erstmals einheitliche Tarifstandards. Nach monatelangen Gesprächen einigten sich die drei Verhandlungsparteien in einem Schlichtungsverfahren unter Leitung des früheren SPD-Bundestagsfraktionschefs Peter Struck auf den Abschluss eines Branchentarifvertrags. Der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Alexander Kirchner, bezeichnete das Ergebnis am Montag in Berlin als „Meilenstein in der Tarifgeschichte der deutschen Eisenbahn“. Der Wettbewerb bei Ausschreibungen werde nun nicht mehr auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. „Das ist ein großer Erfolg.“

Mit dem Branchentarifvertrag verpflichten sich die führenden Bahnunternehmen - Abellio, Arriva, Benex, Keolis, Veolia und Hessische Landesbahn - bei Ausschreibungen im Nahverkehr ab Mai mit Personalkosten zu kalkulieren, die weitgehend dem Vergütungsniveau der Deutschen Bahn (DB) entsprechen. Der Abstand werde maximal 6,5 Prozent betragen, sagte Struck.

Tarifverträge, die heute bereits über dem Niveau des Branchentarifvertrags liegen, müssen zudem weiterhin gelten. Wo derzeit weniger gezahlt wird als im Branchentarif festgeschrieben, werden die Löhne schrittweise angepasst. „Die Zeiten, in denen versucht wurde, durch Lohndumping möglichst günstig anzubieten, um einen Auftrag zu bekommen, sind vorbei“, sagte Kirchner. Die Gewerkschaft verhandelte für 35.000 Beschäftigte. Der Vertrag gilt zunächst bis Ende Januar 2013.

Private Bahnunternehmen sehen Eigenständigkeit anerkannt

DB-Personalvorstand Ulrich Weber bezeichnete die Einigung als einen bedeutsamen Schritt zu deutschlandweit einheitlichen Beschäftigungsbedingungen im Regionalverkehr. „Damit ist die Branche ein Stück reifer geworden“, sagte er. Für die Tochtergesellschaften der DB Regio, auch „Billigtöchter“ genannt, gelten Weber zufolge mit Inkrafttreten des Branchentarifvertrags die Tarifverträge von DB Regio.

Mit der Einigung sei eine „neue Branche geboren“, sagte die Verhandlungsführerin für die sechs privaten Bahnunternehmen, Ulrike Riedel. Erstmals werde deren Eigenständigkeit anerkannt. Die zweite Verhandlungsführerin Ulrike Haber-Schilling sagte, es komme nun darauf an, den Branchentarifvertrag über die beteiligten Unternehmen hinaus verbindlich zu machen. Privatbahnen, Deutsche Bahn und Gewerkschaft würden Aufgabenträgern empfehlen, die vereinbarten Vergütungsstandards zur Grundlage für künftige Ausschreibungen zu machen und dadurch einen Mindeststandard für alle Unternehmen der Branche zu setzen.

Lokführer fehlen

Nicht mit im Boot sind die Lokführer. Struck forderte deren Gewerkschaft GDL auf, sich dem Schlichterspruch anzuschließen. Die GDL, die nach eigenen Angaben bundesweit fast 80 Prozent der Lokomotivführer vertritt, erklärte am Montag, das Schlichtungsergebnis sei für diese „nicht relevant“. Die GDL verhandele den Bundes-Rahmen-Lokomotivführertarifvertrag für alle Lokomotivführer, egal, ob im Nah-, Fern- oder Güterverkehr, sagte der GDL-Bundesvorsitzende Claus Weselsky. Deshalb sei ein Schlichtungsergebnis, das ohnehin nur für den Nahverkehr gelte, für die GDL „kein Thema“.

Bis 2. Februar verhandelt die Gewerkschaft nach eigenen Angaben mit Privatbahnen des Schienenpersonennahverkehrs, der Deutschen Bahn sowie Schienengüterverkehrsunternehmen über ein einheitliches Entgelt auf DB-Niveau. Die Bundestarifkommission der GDL werde den Verhandlungsstand am 3. Februar bewerten. „Sollten die Angebote der Arbeitgeber nicht ausreichend sein, sind Arbeitskampfmaßnahmen nicht auszuschließen“, sagte Weselsky.

Lohndumping eingeschränkt

Das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Klaus Matecki, begrüßte das Schlichtungsergebnis. „Der Abwärtstrend bei den Löhnen wurde durch den Abschluss des Branchentarifvertrages gestoppt“, sagte er. Michael Schlecht, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Partei Die Linke, sagte mit der Einigung werde Lohndumping erheblich eingeschränkt. Die Linke fordere einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn sowie die Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen.

Parallel zu den Schlichtungsverhandlungen führten EVG und Deutsche Bahn Entgeltgespräche. Zuletzt hatten die Gewerkschafter das Konzern-Angebot von drei Prozent mehr Geld positiv aufgenommen. Es gebe aber noch einige offene Punkte, so die von der Bahn vorgeschlagene lange Tarifvertragslaufzeit von 29 Monaten, sagte Kirchner nach der siebten Verhandlungsrunde in der vergangenen Woche. Die Gewerkschaft war mit einer Forderung von sechs Prozent mehr Einkommen in die Gespräche gegangen. (dapd)