Essen. Der Bundesgerichtshof verhandelt am Dienstag über die Klage einer Lehrerin gegen das Bewertungsportal Spickmich.de. Sie verlangt die Löschung ihrer Daten. Im Interview erklärt Spickmich-Chefredakteur Tino Keller, wie Lehrer von dem Online-Feedback ihrer Schüler profitieren können.

Seit zwei Jahren können auch Schüler ihren Lehrern Noten geben, auf dem Onlineportal Spickmich.de. Für registrierte Nutzer ist jede Bewertung im Netz einzusehen. Registrieren kann sich dabei jeder, ob Schüler oder Lehrer, denn alles funktioniert hier auf anonymer Basis. Im Interview mit DerWesten spricht Spickmich-Chefredakteur Tino Keller über die Glaubwürdigkeit der Bewertungen und die Wichtigkeit der Anonymität.

Heute verhandelt der Bundesgerichtshof über die Klage einer Lehrerin gegen Spickmich. Wie sinnvoll sind die Lehrer-Bewertungen auf Ihrem Portal?

Tino Keller: Bei Spickmich können Schüler ihre Lehrer bewerten und sich austauschen. Über die Bewertungskriterien haben wir von den Schülern abstimmen lassen. Da geht es um guten Unterricht, fachliche Kompetenz, Motivation oder auch Kriterien wie „menschlich“, „faire Prüfungen“ oder „vorbildliches Auftreten“. Diese Orientierung ist für Schüler gerade in der Oberstufe wichtig, da man durch die Wahl der Fächer ja auch Lehrer abwählen kann. Spickmich ist aber auch ein Feedback-Kanal für Lehrer. Vor kurzem habe ich noch eine E-Mail eines Lehrers bekommen, der sich sehr über Spickmich als innovatives Angebot freut.

Welches Urteil erwarten Sie?

Keller: Wir hoffen, dass der Bundesgerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigen wird. Dort wurde erklärt, dass Spickmich durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist.

Was würde mit Spickmich passieren, wenn Sie verlieren?

Keller: Die Lehrerbewertung ist ja nur ein Teil des Portals. Es gibt noch viele andere Funktionen, die stark genutzt werden. Änderungen und Anpassungen würden dann stark von den Aussagen der Richter abhängen. Wir hoffen aber, dass Spickmich so bestehen kann wie bisher.

Kann die freie Meinungsäußerung nicht auch in manchen Fällen Verleumdung sein?

Keller: Auf Spickmich kanalisieren wir ganz klar die Bewertungen Es gibt zum Beispiel keinen Freitext für Bewertungen sondern nur Schulnoten. Beleidigungen haben auf spickmich keinen Platz. Wenn aber ein Lehrer eine Bewertung mit einer „Vier“ unter „fachlich kompetent“ als Beleidigung empfindet dann ist das etwas anderes. Wenn Schüler so reagieren würden, kämen die Gerichte gar nicht mehr zum arbeiten.

Lehrer und Schüler können sich anonym auf Spickmich anmelden. Wie bewerten Sie die Glaubwürdigkeit des Portals?

Keller: Es ist ganz wichtig, dass man sich anonym anmelden kann. Gerade in den Anfängen von Spickmich war es so, dass Lehrer oder Schuldirektoren die Schüler aufgefordert haben: ‚Wenn Du Dich nicht von Spickmich abmeldest, dann melden wir Dich von der Schule ab.’ Das ist ein ganz klares Machtgefälle. Manche Lehrer versuchen das auch auszunutzen. Deshalb schützen wir die Schüler durch die Anonymität. Um Manipulationen vorzubeugen haben wir einen Algorithmus entwickelt der Spaß- und Frustbewertungen aussortiert. Mittlerweile haben wir aber auch eine große Community. Schüler melden dann andere Schüler, die nicht auf ihrer Schule sind und trotzdem Lehrer bewerten.

Gibt es auch Lehrer, die sich selber auf Spickmich positive Bewertungen geben?

Keller: Das ist das größere Problem bei den Manipulationen. Schüler wollen ihre Lehrer gar nicht runterputzen. Die durchschnittliche Note in ganz Deutschland ist 2,7, das ist eigentlich ganz gut. Die Schüler machen sich nämlich sehr viele Gedanken, wie sie ihre Lehrer benoten sollen. Es gibt dann aber Lehrer, die sich verabreden und das ganze Wochenende versuchen sich hochzuwerten. Da fällt es natürlich auf, wenn sich Leute an einer Stelle so massiv versuchen „Einsen“ zu geben.

Wie gehen Sie dagegen vor?

Keller: Wir beobachten das und löschen den entsprechenden Account und damit gehen auch die Bewertungen verloren.

Verstehen Sie den Protest der Lehrer gegen Ihr Portal?

Keller: Ja und nein. Viele Lehrer, die sich melden, finden es gut was wir machen oder sehen es ganz gelassen, nur wenige regen sich auf. Die machen dann aber eine große Welle. Da ist dann auch viel Angst dabei, gerade bei den älteren Lehrern, die nicht so im Internet zu Hause sind. Wenn man ihnen aber erklärt, wie Spickmich funktioniert, dann finden sie das meist gar nicht so schlimm. Wir glauben, dass diese Angst vor dem Internet oft auch mit einer unzureichenden Medienkompetenz der Lehrer zusammenhängt.

Frage nach Veränderung ist wichtiger als Bewertung

Wie können Bewertungen in den Schulalltag integriert werden?

Keller: Ich würde sagen, Spickmich ist so erfolgreich, weil Schulen und Kultusministerien es versäumt haben, ein Feedback-System zu installieren. Wir können dabei ein Anstoß für die Schulen sein. Denn noch wichtiger als die Bewertung ist natürlich die Frage, was man verändern kann. Das können wir aber nicht leisten. Deshalb sollte jeder Lehrer einmal im Halbjahr seine Schüler auffordern, ihn auf Spickmich.de zu bewerten und anonyme Fragebögen dazu verteilen. Ich denke jeder gute Lehrer will immer wissen, was er besser machen kann und sollte deshalb konkret in seiner Klasse nachfragen.

Sind Lehrer dann selber Schuld, wenn sie schlecht bewertet werden, weil sie das ja auch hätten früher abfragen können?

Keller: Bei Spickmich läuft es ja so, dass die Bewertung erst angezeigt wird, wenn zehn Bewertungen da sind. Und wenn jemand 80 Bewertungen hat und eine schlechte Note, dann stimmt irgendetwas nicht, dann sind die Schüler unzufrieden. Spickmich ist dann nicht der Grund für das schlechte Abschneiden. Wir zeigen es nur an. Wenn der Lehrer es durch uns zum ersten Mal erfährt, dann ist das eigentlich schade.

Bewertungsportale sind ein positiver Beitrag

Die AOK möchte jetzt auch von ihren Mitgliedern Ärzte bewerten lassen. Wie sehen Sie die Entwicklung der Bewertungsportale?

Keller: Bewertungsportale können ein positiver Beitrag sein. Vor allem in Systemen, die sich teilweise durch Intransparenz und Ineffizienz auszeichnen wie das Bildungssystem oder vielleicht auch das Gesundheitssystem. Da haben sie schon ihre Berechtigung. Man muss aber schauen, in welchem Rahmen man was bewertet. So sollten keine Bewertungen abgegeben werden, die auf die Person zielen, sondern eben nur auf die beruflichen Fähigkeiten. Lehrer oder Ärzte sind an solche Beurteilungen vielleicht noch nicht so gewöhnt. Sie können aber eine große Hilfe zum Beispiel auch für Patienten sein. Aus guten Ärzten werden dann ja nicht automatisch schlechte Ärzte, nur weil sie bewertet werden.

Haben Sie ihre ehemaligen Lehrer auch schon bewertet?

Keller: Ja. Da habe ich auch gesehen, dass Spickmich sehr gut funktioniert. Die Bewertungen der Lehrer haben alle meiner Einschätzung entsprochen.